Ernst Ludwig Kirchner

Das Wohnzimmer, 1923

Nach einem Zusammenbruch während der Ausbildung zum Soldaten im Jahr 1915 und einigen Sanatoriumsaufenthalten zog sich der Maler Ernst Ludwig Kirchner in die politisch neutrale Schweiz zurück. In Davos hielt er sich erstmals 1917 zur Genesung auf, im Oktober 1918 durfte er sich dort niederlassen. Das hochalpine Bergdorf, ein »Weltkurort« mit internationaler Klientel, wurde ihm zur neuen Heimat, in die auch seine Partnerin Erna Schilling aus Berlin nachzog.

Zwischen 1918 und 1923 lebte Kirchner in einem Haus der Hofgruppe »In den Lärchen« in Davos Frauenkirch. Von dort ergaben sich nicht nur Ausblicke auf das Landwassertal und die Berglandschaft als eindrucksvolle Motive für seine Bilder. Wie bereits in Dresden und Berlin widmete der Künstler sich der Gestaltung der eigenen Wohnräume, schuf Skulpturen sowie Möbel aus Holz und entwarf Kissen und Wandteppiche, die von Davoser Frauen umgesetzt wurden. Im Gemälde "Das Wohnzimmer" zeigt er sich in seinem neuen Zuhause konzentriert bei der Arbeit an einer Zeichnung oder einem Holzschnitt, während Erna Schilling im Hintergrund näht oder stickt. Mit Kamin und schlafendem Kater wirkt das Ambiente bürgerlich-gemütlich. Die kräftigen Farben, auffälligen Textilien und von außereuropäischer sowie Volkskunst inspirierten Figuren sollen aber auch unbegrenzte Kreativität vermitteln.

Kirchner war zwar Gründungsmitglied der Künstlergruppe Brücke gewesen, hatte sich aber mit deren Auflösung 1913 zunehmend vom Expressionismus distanziert und strebte in Davos einen »Neuen Stil« an.1 Inspiriert dazu wurde er unter anderem von der Webkunst als einem festen Gefüge von Farbfeldern, welches er auch in dieses Gemälde übertrug.2 In einem seiner Fotoalben datierte der Maler das Bild auf 1923: Im selben Jahr hatte er eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel, womit vermehrt Schweizer Künstler auf ihn aufmerksam wurden, und so gründete sich in der Silvesternacht 1924/25 die Gruppe Rot-Blau als Schüler- und Freundeskreis Kirchners. Er selbst blieb gut informiert über die deutsche Kunstszene, beäugte sie aber kritisch und hielt sich bis zu seinem Freitod fern von den politischen Wirrungen seines Geburtslandes.

Karin Schick

1 Vgl. »Der Neue Stil«. Ernst Ludwig Kirchners Spätwerk, hrsg. von Björn Egging und Karin Schick, Ausst.-Kat. Lyonel-Feininger-Galerie, Quedlinburg / Kirchner Museum Davos, Bielefeld 2008.
2 Vgl. »Der Neue Stil«. Ernst Ludwig Kirchners Spätwerk, hrsg. von Björn Egging und Karin Schick, Ausst.-Kat. Lyonel-Feininger-Galerie, Quedlinburg / Kirchner Museum Davos, Bielefeld 2008.

Details about this work

Öl auf Leinwand Technik Verso: Frau mit Hut und zwei Akte (Fragment, verworfen), Öl auf Leinwand 90cm x 150cm (Bild) 111.5cm x 172cm (Rahmen) cm x cm (Rahmen) Hamburger Kunsthalle, erworben 1957 Inv. Nr.: HK-5012 Collection: Klassische Moderne © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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