Julius Schnorr von Carolsfeld
Sitzender Jünglingsakt mit Schalmei, 1822
Die deutschen Lukasbrüder hatten sich nach ihrer Konstitution in Wien und anschließend in Rom intensiv mit dem Zeichnen nach der Natur beschäftigt. Es war das Studium des menschlichen Aktes gewesen, das ihnen an der streng klassizistisch orientierten Wiener Akademie fehlte. Da dort zunächst allein das Kopieren nach Kupferstichen und das Zeichnen nach dem Gips erlaubt war, fühlten sie sich zum Protest ermuntert. Auch die zweite Generation der nach Rom gepilgerten deutschen Künstler führte diese Zeichentradition fort. Durch Johann David Passavant erhielten sie die Möglichkeit, in einem angemieteten Lokal eine Art „Deutscher Akademie“ zu unterhalten, in der gemeinsam nach einem Modell gezeichnet wurde.
Die mit dünnen, sehr präzisen Federstrichen äußerst fein erfasste Aktstudie Schnorrs entstand laut der eigenhändigen Datierung im Januar 1820. Sie zeigt den damals fünfzehnjährigen Knaben Carluccio, der häufiger von den deutschen Künstlern zum Modellsitzen herangezogen wurde. In derselben Sitzung wurde jener Carluccio auch von Friedrich Olivier und Theodor Rehbenitz gezeichnet; beide waren Hausgenossen Schnorrs im Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol. Oliviers Blatt, das den Knaben aus einer etwas anderen, sich durch die abweichende Position des Zeichners ergebenden Haltung zeigt, befindet sich heute in der Graphischen Sammlung des museum kunst palast in Düsseldorf (Ausst-Kat. Düsseldorf 1965, S. 65, Nr. 127). Die Zeichnung von Rehbenitz ist im Behnhaus zu Lübeck zu finden (vgl. Hasse 1962, S. 97, Anm. 2). Schnorr nutzte diesen Jünglingsakt, der ohne Bezüge zum realen Raum auf dem Papier zu schweben scheint, im Jahr 1833 für eine seiner zahlreichen Figuren in den Wandbildern der Münchner Residenz (vgl. Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 1977, S. 191, Nr. E 14).
Andreas Stolzenburg