Marco Palmezzano

Hl. Sebastian, 1493 (?)

Sollte der alte Hinweis auf die heute verschwundene Bezeichnung und Datierung stimmen, dann handelt es sich hier um ein Frühwerk, das ein Jahr nach dem riesigen Fresko des Crocifisso con la Madonna e quattro santi in Forlì, das bislang als das dritte seiner Werke gilt, entstanden wäre. Inv. 762 weist allerdings nicht die bis dato bekannte Himmelsgestaltung mit den kleinen, wattebauschartigen Wölkchen auf und ist auch in dem Zusammenspiel von der Figur, den architektonischen Details und der Landschaft wesentlich ruhiger und stärker von der Idee eines Raumkontinuums bestimmt als die unmittelbar folgenden Arbeiten. Der Pinselstrich des Hamburger Gemäldes scheint aufgrund des aktuellen Zustands härter, in den Konturen durch Weißhöhungen eher metallischer als jener der übrigen Werke.
Hinsichtlich der Raumauffassung spricht somit einiges für Übereinstimmungen mit Arbeiten der Jahre zwischen 1525 und 1534. Hierzu gehören mehrere Darstellungen des hl. Sebastian (in Karlsruhe, Esztergom und der Slg. Mazzoni in Forlì), aber auch eine Taufe Christi (in Forlì), die jedoch sämtlich ebenso ungesichert in der Zuschreibung und Datierung sind. In den Figuren dagegen muss an Palmezzanos andere Darstellungen des Sebastian gedacht werden. Zwar repräsentieren sie den Typus des erhobenen linken Arms, wogegen in Inv. 762 die Arme mit dünnen Stricken an eine Säule angebunden sind, wie in der Verkündigung von 1494/95 in der Pinacoteca Civica in Forlì zu sehen. Auch sind die Gestaltung des Gesichts und der zart angedeutete Heiligenschein in der Incoronazione della vergine in der Pinacoteca di Brera zu beobachten, für die, allerdings auf unsicherer Basis, eine Entstehung um 1496 in Venedig vermutet wird.4 Nahe steht dem Sebastian das Gesicht des Jünglings in der Kreuztragung in der römischen Galleria Spada, die auch Indizien enthält, welche für eine Datierung der Hamburger Tafel in das Jahr 1493 sprechen.5
Bei einer 2002 abgeschlossenen Restaurierung des Gemäldes der Galleria Spada kamen bezüglich der Gestaltung der Landschaft, des Bodens und der Felsen maltechnisch noch weitere Parallelen zu Inv. 762 zum Vorschein, die eine Zuschreibung an Palmezzano und eine Entstehung in der gleichen frühen Schaffensperiode nahelegen. Übereinstimmungen der Hintergrundgestaltung, insbesondere der Felsen und Berggipfel in der Ferne, mit einer 1493 entstandenen Altartafel, ebenfalls in der Brera aufbewahrt, bekräftigen die Zuschreibung und frühe Datierung von Inv. 762.6 M. S.

1 Vgl. R. Papini, Autonomia di Marco Palmezzano, in: Catalogo della mostra delle opere dal Palmezzano in Romagna, Ausst.-Kat. Forlì 1957, S. 8: »Noi non troviamo alcuna traccia nelle opere di Marco Palmezzano posteriori al suo presunto discepolato«. Zur Biographie siehe auch G. Toscano, Marco Palmezzano, in: The Dictionary of Art, hrsg. v. Jane Turner, 34 Bde., New York/London 1996, Bd. 23, S. 889.
2 Fast gleichgroß ist mit 65 x 42 cm die ebenfalls in Tempera ausgeführte Madonna col Bambino (Madonna del Grano) in Bologna, die ein Fragment eines größeren Altarensembles gewesen sein muss und vor 1895 verkauft wurde; siehe G. Viroli, Pittura del Cinquecento a Forlì, Bologna 1991, S. 39, 106,
Abb. 31.

Details zu diesem Werk

Pappelholz x (Rahmen) Treuhandvermögen der Freien und Hansestadt Hamburg, vormals Stiftung Siegfried Wedells Inv. Nr.: HK-762 Sammlung: Alte Meister Bildnachweis: Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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