Franz Radziwill
Kanal mit gelber Brücke, 1928
Mitte der 1920er Jahre nahm Radziwill nach expressionistischen Anfängen die klaren und nüchternen Stilmittel der Neuen Sachlichkeit auf und entwickelte daraus einen „magischen Realismus“. Von einer Schleusenanlage aus betrachtet, ist Kanal mit gelber Brücke eine von Ingenieuren gestaltete Landschaft, in der diagonale Fluchten und gerade Linien vorherrschen. Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten liegt ein einmastiges Segelschiff am Ufer. Als zentrales Mittel der Bildgestaltung setzt Radziwill eine virtuose Lichtregie ein: Der Vordergrund ist wie von einem imaginären Scheinwerfer gleichmäßig und ohne Schattenwurf ausgeleuchtet. Hinter der gelben Stahlbrücke und der Eisenbahntrasse, die den Kanal kreuzt, herrscht dagegen die Schwärze eines nahezu undurchdringlichen Nachthimmels. Durch die übersteigerte Darstellung der Wirklichkeit lässt der Maler sein Unbehagen angesichts der von der Technik zergliederten Natur in das Bild einfließen. Statt Zuflucht zu bieten, ist die moderne Landschaftsansicht von einer kalten, bedrohlichen Atmosphäre geprägt.
Daniel Koep