Caspar David Friedrich

Ruine Oybin, um 1812

Im Sommer 1810 unternahm Caspar David Friedrich mit seinem Künstlerfreund Georg Friedrich Kersting eine Wanderung in das Riesengebirge. Auf dem Weg dorthin bestiegen die beiden am 4. Juli in der Oberlausitz den südwestlich von Zittau gelegenen, in eine malerische Landschaft eingebetteten Berg Oybin. Auf dessen Gipfelplateau stießen sie nicht nur auf eine Burgruine und einen Friedhof, sondern auch auf die baulichen Überreste eines Cölestinerklosters. Der ruinöse Sakralbau zog Friedrich sofort in seinen Bann. Noch an Ort und Stelle entstand eine aquarellierte Bleistiftzeichnung, die den Blick in die Sakristeikapelle der Klosterkirche zeigt (Hamburger Kunsthalle). (1) Fasziniert von dem Motiv und seiner bildhaften Wirkung, widmete der Künstler diesem schließlich ein Gemälde. (2) Der Vergleich mit der Vorstudie macht deutlich, auf welche Weise Friedrich die vorgefundene Situation modifizierte.
Mittels Überhöhung verlieh der Maler dem Baukörper einen dezidierten Vertikalakzent. Deutlich ist dies den Öffnungen der drei gotischen Maßwerkfenster zu entnehmen, die nun weitaus schlanker in Erscheinung treten und den aufstrebenden Charakter der Kapelle betonen. Im Gegensatz zum Aquarell bereicherte Friedrich das Gemälde außerdem um drei bedeutungshaltige Details, die den christlichen Gehalt des Motivs unterstreichen: Links befindet sich ein Kruzifix am Gemäuer, im Zentrum steht der Altartisch, und rechts findet sich die gotische Skulptur einer stehenden Madonna mit Kind. Diese ist in Form einer Bleistiftstudie von Friedrich überliefert, (3) allerdings wissen wir nicht, um welche bildhauerische Arbeit es sich dabei handelt und wo der Künstler diese sah. Mittels natursymbolischer Setzungen betonte Friedrich darüber hinaus den religiösen Gehalt dieser Elemente: Die der Skulptur zugeordnete Lilie ist als Mariensymbol geläufig, das auf dem Altar wachsende Getreide verweist auf das Sakrament der Eucharistie, und das Kruzifix erwacht durch die Rankenpflanzen zu neuem Leben.
Der Himmel mit seinen nuancenreichen, von kalten zu warmen Tonen übergehenden Farbabstufungen hat maßgeblichen Anteil an der besonderen Stimmung, die von dem Bild ausgeht. Mit dem warmen Orangeton im unteren Bereich der Fenster assoziieren wir die auf- oder untergehende Sonne, die jedoch unserem Blick entzogen bleibt.
Gut zehn Jahre später suchte Friedrich mit seinem in politischer Hinsicht programmatischen Gemälde Huttens Grab (Klassik Stiftung Weimar) die erneute motivische Auseinandersetzung mit dem Blick in die Sakristeikapelle der Klosterkirche, wobei er die architektonischen Elemente weitestgehend übernahm.

Markus Bertsch

(1) Grummt 2011, Bd. 2, S. 587–589, Nr. 612.
(2) Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 325, Nr. 203; Ausst.-Kat. Hamburg 1983, S. 452, Nr. 338; Ausst.-Kat. Zittau 2019, S. 41–43.
(3) Grummt 2011, Bd. 2, S. 641, Nr. 668.

Details zu diesem Werk

Öl auf Leinwand 65cm x 47cm (Bild) 85cm x 66cm (Rahmen) Hamburger Kunsthalle, Dauerleihgabe von Manfred Brockhaus, erworben 2018 Inv. Nr.: HK-200926 Sammlung: 19. Jahrhundert Anzahl Teile: 1 © Privatsammlung in der Hamburger Kunsthalle Foto: Christoph Irrgang

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