David Vinckboons, Kopie

Jahrmarkt

Die Dorfkirmes geht auf eine 1602 datierte Zeichnung Vinckboons in Kopenhagen zurück, seine früheste Darstellung des Themas.1 Die Zeichnung wurde noch im selben Jahr von Nicolaes de Bruyn durch eine Radierung vervielfältigt;2 1634 erschien ein zweiter Nachstich von Boetius A. Bolswert.3 Beide Radierungen geben die Komposition, wie Inv. 193, seitenverkehrt wieder. Auf einem Dorfanger sind vor einem hohen Gebäude mit Turm (irrtümlich als Rathaus von Oudenaarde identifiziert) Verkaufsstände mit Haushaltswaren, Waffen, Kleidern, Musikinstrumenten und Gemälden errichtet. Vorn tanzen Bauern einen Reigen zu den Klängen eines Dudelsackpfeifers.4 Eine vornehm gekleidete Gesellschaft schaut dem Treiben zu, zwei Paare tanzen. An beiden Seiten stehen Gasthäuser unter Bäumen. Auf der aufgesteckten Fahne ist ein Bogenschütze zu erkennen, aus dem Fenster daneben lehnt ein Mann mit einem Krug voller Pfeile; vermutlich handelt es sich um den Treffpunkt einer Schützengilde. Ganz rechts wird ein Narr verfolgt.
Der Vergleich mit frühen Gemälden Vinckboons', etwa seiner Bauernkirmes von 16045 oder dem Bild in München, um 1605 datiert,6 schließt die Eigenhändigkeit von Inv. 193 aus, vor allem wegen der Wiedergabe der Figuren. Die große Beliebtheit des Themas zeigt sich in der Vielzahl von Gemälden, die nach den beiden Radierungen entstanden sind, keines stammt von Vinckboons selbst. Datierte Fassungen der Dorfkirmes befinden sich in Braunschweig (1608),7 Antwerpen (1610)8 und in einer Privatsammlung (1612).9 Undatierte Fassungen sind in Brügge,10 Lissabon,11 Wien, Sammlung Harrach, im Kunsthandel oder in weiteren Privatsammlungen.12 Eine auf Kupfer gemalte Version von Bartholomeus Grondonck stammt von 1617.13 Die verschiedenen Fassungen unterscheiden sich in den Maßen und in der Anordnung der Figuren. Die Altersbestimmung der Tafel von Inv. 193 schließt eine Entstehung kurz nach Erscheinen von De Bruyns Radierung nicht aus.
Eine andere Zeichnung Vinckboons' mit einer Bauernkirmes hat Willem van Swanenburgh nachgestochen.14 Einzelne Motive wie der Reigen der Bauern oder die Schaubühne im Mittelgrund wurden wiederaufgegriffen.15 Dort erinnert eine moralisierende Inschrift an die verhängnisvollen Folgen der Bauernfeste.16 Vorbilder können Pieter Bruegels Kirmes von Hoboken und St.-Georgs-Kirmes gewesen sein, die beide durch Stiche bekannt waren.17 Auf der St.-Georgs-Kirmes ist vorn links dieselbe Kindergruppe, rechts ebenfalls ein Gasthaus mit der Fahne der Bogenschützen (hl. Georg) und der Aufschrift Laet de boren haer kermis houuvan dargestellt.18 Die Gegenüberstellung von Standesunterschieden mittels des Tanzes findet sich auch auf zwei Radierungen von Theodor de Bry.19

Thomas Ketelsen 2001

1 450 x 711 mm, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Kopenhagen, Inv. SK 18.7; Pieter Bruegel d. Ä. als Zeichner. Herkunft und Nachfolge, Ausst. Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin 1975, S. 179, Nr. 280, Abb. 313; Wegner/Pee 1980, S. 63 f., Nr. 16, S. 61, Abb. 16. Auf drei, ebenfalls datierten Zeichnungen von 1603, 1604 und 1605 hat Vinckboons das Thema der Kirmes aufgegriffen; ebd., S. 39-41, Nr. 18, 19, und S. 72, Nr. 27.
2 Radierung, 448 x 705 mm (Hollstein 171).
3 Radierung, 420 x 675 mm (Hollstein 320, 321).
4 W. Salmen, Tanz im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1988 (Musikgeschichte in Bildern, 4/4), S. 104 f., Abb. 75; zum Dudelsack s. R. D. Leppert, The Theme of Music in Flemish Paintings of the Seventeenth Century, 2 Bde., München/Salzburg 1977,
Bd. 2, S. 163, Nr. 739.
5 Holz, 29,5 x 46,5 cm, Slg. Vittorio Duca, Mailand; Goossens 1966, S. 71-74, Abb. 4, mit Hinweis auf weitere Kirmesdarstellungen.
6 Holz, 42,7 x 60,1 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv. 4927; Adriaen Brouwer und das niederländische Bauerngenre 1600-1660, bearb. v. K. Renger, Ausst. Kat. Alte Pinakothek, München 1986, S. 29, Abb. 13, S. 137, Nr. 54.
7 Holz, 115 x 141 cm, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Inv. 90; Katalog Braunschweig 1983, S. 215 f.; ferner E. Greindl u. a., XVIIe siècle. L'age d'or de la peinture flamande, Brüssel 1989, S. 281, Taf. 239.
8 Holz, 110 x 167 cm, bez. Dv ft. 1610, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen, Inv. 495; Katalog Antwerpen 1988, S. 394.
9 Holz, 103 x 139 cm, dat. 1612, Privatslg. Schweiz 1956 (Foto RKD).
10 Lw., 144 x 231 cm, Stedelijk Musea, Groeningemuseum, Brügge, Inv. 0.243; Catalogus Schilderijen. 17de en 18de eeuw, bearb. v. H. Vlieghe, Brügge 1994, S. 221.
11 Holz, 53 x 75,5 cm, Museo Nacional de Arte Antiga, Lissabon, Inv. 1477.
12 Vgl. die folgenden Gemälde: Lw., 111,8 x 170,1 cm, ehem. A. Brouwer zugeschrieben, 1922 (Foto RKD). - Verst. Köln (Lempertz), 6. 11. 1928, Nr. 250, (vermutlich identisch mit der Fassung in der Kunsthandlung Heinemann, München 1952, Foto RKD und Galerieakte). - 61 x 94 cm, Kunsthandlung Jac. Muller, Den Haag, ca. 1943 (Foto RKD). - 101,2 x 124,3 cm, Kunsthandlung M. Knoedler & Co., New York, vor 1946 (Foto RKD). - 110 x 182 cm, Kunsthandlung K.W. Bachstitz, Den Haag 1949 (Foto RKD). - Holz, 76 x 107 cm, Kunsthandlung H. Terry-Engell Gallery, Eleventh Annual Catalogue Collection 1968/69, London 1968, Nr. 25 (identisch mit Verst. Zürich [Koller],
25 f. 11. 1972, Nr. 5240). - 106,7 x 152,3 cm, Verst. London (Christie's), 8. 7. 1977, Nr. 14. - 60 x 89,5 cm, Verst. London (Sotheby's), 28. 3. 1979, Nr. 58. - Verst. New York (Sotheby Parke Bernet), 4. 6. 1980, Nr. 96. Klessmann in Katalog Braunschweig 1983, S. 216, verweist auf zwei Gemälde in Privatbesitz, Schloß Wacklum bei Balve/Westfalen sowie Wuppertal, 1948.
13 Kupfer, 18 x 26 cm, bez. B. Grondonck 1617, Kunsthandlung De Jonckheere, Paris; Maere/Wabbes 1994, Bd. 2, S. 512, Abb.
14 Kupferstich, 442 x 711 mm (Hollstein 28); The Mirror of Everyday Life. Genreprints in the Netherlands 1550-1700, Ausst. Kat. Rijksmuseum, Amsterdam 1995, S. 104-107, Nr. 15.
15 Zur Bedeutung der Theateraufführung W. M. H. Hummelen, Toneel of de kermis, van Bruegel tot Bredero, in: Oud Holland 103, 1989, bes. S. 14-21.
16 Die Inschrift (auf niederländisch und lateinisch) lautet: »Jene Orgien, die einst die Bacchantinnen begingen, feiern heute die Bauern. Sie sind scharf auf's Saufen, sie raufen, sie grölen, sie kotzen. Und eine jede tanzt mit ihrem Gespons. Sieh dies Bauernvolk, siehe diese Diener des Bacchus. Der eine ißt, trinkt und schenkt ein, der andere kotzt auf den Boden. Der eine singt und tanzt voll Freude, der andere zetert und will raufen. Und immerzu gehen Geld und Gesundheit dabei drauf«.
17 Zu Bruegels Kirmesdarstellungen s. A. Monballieu, De Kermis van Hoboken bij P. Bruegel, J. Grimmer en G. Mostaert, in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1974, S. 139-169; H.-J. Raupp, Bauernsatiren. Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der deutschen und niederländischen Kunst, Niederzier 1986, S. 223-244; A. Monballieu, Nog eens Hoboken bij Bruegel en tijdgenoten, in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1987, S. 185-206; The Mirror of Everyday Life 1995 (wie Anm. 14), S. 44-48, Nr. 1, mit Hinweis auf frühere Darstellungen.
18 Zur Identifizierung des hl. Georg s. A. Klein, Graphic Worlds of Peter Bruegel the Elder, London 1963, S. 107-109,
Nr. 22; ferner M. A. Sullivan, Bruegel's Peasants. Art and Audience in the Northern Renaissance, Cambridge 1994, S. 41 f.
19 Vgl. The Mirror of Everyday Life 1995 (wie Anm. 14), S. 116 f., Abb. 4, 5; ferner Sullivan 1994 (wie Anm. 18), S. 22-28, Abb. 26, 27; zur politischen Bedeutung der Bauernkirmes zusammenfassend M. D. Carroll, Peasant Festivity and Political Identity in the Sixteenth Century, in: Art History 10, 1987, S. 289-314.

Lit.: Verzeichnis 1853, S. 46; H. Riegel, Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte, 2 Bde., Berlin 1882, Bd. 2, S. 67; Katalog 1918, S. 179; Katalog 1921, S. 186; Katalog 1930, S. 176 f.; C. L. van Balen, Het probleem Vinckboon - Vingboons opgelost, in: Oud Holland 56, 1939, S. 98; Jorgen Sthyr, David Vinckboons, in: Old Master Drawings 14, 1939/40, Nr. 53, S. 8-10; Kornell Goossens, David Vinckboons, Antwerpen/Den Haag 1954, S. 66, 147; Katalog 1956, S. 164; Katalog 1966, S. 171; Wolfgang Wegner, Herbert Pée, Die Zeichnungen des David Vinckboons, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3. F., 31, 1980, S. 63 f., mit Hinweis auf Inv. 193.

Details zu diesem Werk

Eichenholz Geschenk von Frau Carr, geb. Sloman, 1851 Inv. Nr.: HK-193 Sammlung: Alte Meister

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