
Philipp Otto Runge
Der Morgen (erste Fassung), 1808
Bereits im Zuge seiner Beschäftigung mit dem vierteiligen, in zwei Auflagen erschienenen Graphikzyklus der Zeiten (1805, 1807), seinem künstlerischen Hauptwerk, schwebte Runge eine Umsetzung der Kompositionen als Gemälde vor. Seine Darstellung des Morgen, in zwei gemalten Fassungen realisiert, sollte die einzige Komposition des Zyklus bleiben, die er in Öl umsetzte. Runges ungewöhnliches Gemälde setzt sich aus einer arabesken Rahmenkomposition sowie einem Binnenbild zusammen, dessen kompositorisches und konzeptuelles Zentrum die Figur der Aurora, die Göttin der Morgenröte, bildet, die über einer weiträumigen Landschaft schwebt und deren Präsenz vom Anbruch des Tages kündet. Während Runge über das Binnenbild einen naturmystisch und kosmisch aufgeladenen Bezugsrahmen eröffnete, zielte er mit der Rahmenarabeske darauf ab, die christliche Fundierung der Bildaussage zu transportieren, die vom Aufstieg der Seele zu Gott handelt. Mit seiner arabesk-allegorischen Bildsprache verfolgte Runge das Anliegen einer Erneuerung der christlichen Kunst.
Markus Bertsch