Franz Seraph Hanfstaengl
Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler
Hl. Barbara / "SANTA BARBARA"
Es waren zunächst wohl eher Repräsentationsgründe gewesen, die den Besitz eines Werkes von Raffael für die Dresdener Königliche Gemäldegalerie am Neumarkt unabdingbar gemacht haben. Und so ist es schwierig zu beurteilen, ob und wie sehr August III. die Sixtinische Madonna wirklich schätzte, auch wenn zeitgenössische Quellen besagen, dass er das Bild sehr gerne empfangen habe. (Anm. 1) Dennoch wird seine Wertschätzung zunächst vor allem auf den großen Namen des Künstlers zurückzuführen gewesen sein. Denn immer noch galt Correggios Heilige Nacht als das Hauptwerk der Gemäldegalerie, musste sich die Sixtinische Madonna zu diesem Zeitpunkt noch ihre hervorgehobene Position in der Wahrnehmung und der Präsentation der Gemäldesammlung erobern. Erst Johann Joachim Winckelmann würdigte die Sixtinische Madonna als einer der Ersten 1755 in seiner Publikation über die Nachahmung der griechischen Werke: „Die Königliche Gallerie der Schilderyen in Dresden enthält nunmehro unter ihren Schätzen ein würdiges Werck von Raphaels Hand, und zwar von seiner besten Zeit, wie Vasari und andere mehr bezeuge. […] Sehet die Madonna mit einem Gesichte voll Unschuld und zugleich einer mehr als weiblichen Grösse, in einer seelig ruhigen Stellung, in derjenigen Stille, welche die Alten in den Bildern ihrer Gottheiten
herrschen liessen. Wie groß und edel ist ihr ganzer Contour!“ (Anm. 2)
Zeitgleich setzte die druckgraphische Reproduktion der Sixtinischen Madonna ein, die wesentlich zur Verbreitung ihres Ruhmes, zur Bildung ihres Mythos und ihrer Rezeption beitrug und ihre frühe Wahrnehmungsgeschichte entscheidend beeinflusste. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entdeckten die Vertreter der Romantik die Sixtinische Madonna für sich. Nun widmeten die Frühromantiker dem Künstler und seinem Werk zahlreiche Gedichte und zeigten so ihre Verehrung. So schrieb Philipp Otto Runge 1801 an seinen Bruder Daniel: „[…] ich muss bekennen, daß mich seine Madonna hier bis in’s Innerste meiner Seele erschüttert hat.“ (Anm.3)
Im 19. Jahrhundert gehörte eine Reproduktion der Sixtinischen Madonna fast schon selbstverständlich zur Ausstattung der bürgerlichen Wohnräume, aber sie befand sich auch in Amtsstuben, Bibliotheken und sogar in Gasthäusern. Nun wurde Raffaels Gemälde nicht nur in Form von Kupferstichen und Radierungen vervielfältigt, sondern auch vermehrt als Lithographie. Die damals noch relativ junge Drucktechnik ermöglichte höhere Auflagen, so dass sich das Motiv fast beliebig oft vervielfältigen ließ. Zudem überzeugte sie durch ein rasches Verfahren im einfacheren und schnelleren Flachdruck und günstige Kosten in der Herstellung.
Einige der besten Lithographien nach der Sixtinischen Madonna schuf der Münchner Franz Seraph Hanfstaengl. Dieser hatte sich nach dem Studium an der Münchner Akademie zunächst als Porträtlithograph einen Namen gemacht. 1833 gründete er eine Lithographische Anstalt, die binnen kurzer Zeit große Erfolge erzielte. Ab den 1850er Jahren wandte sich Hanfstaengl dann intensiv der Fotografie
zu und erlangte auch auf diesem Gebiet enormes Renommee. (Anm. 4) Hanfstaengls Beschäftigung mit der Sixtinischen Madonna begann wohl schon in den frühen 1830er Jahren, als er offenbar im Auftrag
der Ebnerschen Kunsthandlung in Augsburg eine Reproduktion anfertigte. (Anm. 5) Möglicherweise erhielt Hanfstaengl aufgrund dieser qualitätvollen Graphik den spektakulären Großauftrag der Direktion der
Königlichen Gemäldegalerie in Dresden. Diese wünschte ein Galeriewerk, dessen Abbildungen dem Zug der Zeit folgend keine Kupferstiche, sondern Lithographien sein sollten. Diese technische Neuausrichtung
wurde sicherlich forciert durch das zuvor erschienene, mit Lithographien ausgestattete Galeriewerk der Bayerischen Gemäldesammlung. (Anm. 6) Zwischen 1835 und 1852 stellte die Firma Hanfstaengl 194 Steindrucke der Meisterwerke der Dresdener Gemäldegalerie her. Davon führte Franz Hanfstaengl allein 134 direkt und ohne Zwischenzeichnung auf dem Stein aus. Dies belegt nachdrücklich sein enormes Einfühlungsvermögen in unterschiedliche Stillagen. Für die rund zehn Jahre andauernde Arbeit wurde Hanfstaengl mit 21.000 Gulden entlohnt. Seine Lithographien der Dresdener Hauptwerke wurden aufgrund ihrer großen Qualität in der technischen Ausführung hoch gelobt. Dies gilt im speziellen auch für die Reproduktion der Sixtinischen Madonna, die Hanfstaengl in souveräner Beherrschung der Technik wiedergab. Hier erweist sich die Lithographie als besonders geeignet zur Wiedergabe der weichen Gesamtwirkung des Bildes.
Der Druck bildete in der ursprünglichen Konzeption das 120. Blatt und damit den Abschluss und Höhepunkt des imposanten Galeriewerks. (Anm. 7) Aufgrund des großen Erfolgs der Edition wurde dessen Umfang aber erweitert, so dass am Ende drei Bände mit 194 Werken vorlagen. (Anm. 8)
Während der intensiven Beschäftigung mit der Sixtinischen Madonna schuf Hanfstaengl noch weitere Wiedergaben des Gemäldes. Von besonderem Interesse sind zwei Lithographien, die jeweils ausschließlich die Hl. Barbara und den Hl. Sixtus9 zeigen. Über die nähere Funktion dieser außergewöhnlich großformatigen und qualitätvollen Druckgraphiken ist nichts bekannt. (Anm. 10)
Sandra Pisot/David Klemm
LIT (Auswahl): Gebhardt 1984, S. 258
1 „Che il quadro sia giunto a Dresda […]. Aggiungo io, che la Pittura è gradita da S.M. in estremo grado“, vgl. Brink/Henning 2005, S. 130.
2 Winckelmann 1755, S. 46; vgl. Heres 1991, S. 114–115.
3 Runge 1841, S. 75.
4 Vgl. Gebhardt 1984, S. 58–66.
5 Putscher 1955, S. 273. Dieses Werk wies bereits die 1826 freigelegte Vorhangstange auf.
6 Vgl. Krause/Niehr/Hanebutt-Benz 2005, S. 280.
7 Putscher gibt an, dass die Lithographie der Sixtinischen Madonna im Galeriewerk von dem Franzosen Antoine Maurin stammen soll; vgl. Putscher 1955, S. 276; dies lässt sich aber mit dem Befund des in Hamburg bewahrten Mappenwerks nicht vereinbaren. Dort stammt die hier vorliegende Lithographie der Sixtinischen Madonna eindeutig von Hanfstaengl. Auch Höper 2001, S. 315, bei Nr. D 34.7, ordnet Maurins Lithographie dem Dresdner Galeriewerk zu, obgleich die von ihr angeführte französische Beschriftung des Blattes nicht zu der im Galeriewerk üblichen passt.
8 Vgl. Krause/Niehr/Hanebutt-Benz, S. 280.
9 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 45220.
10 Beide Blätter werden in Gebhardts Werkverzeichnis aufgeführt, jedoch ohne jeglichen Zusatz und mit keinerlei Verweis auf Raffael.