Victor Emil Janssen, Zeichner

Kopf eines schreienden Jungen, 1834

Der mit Janssen befreundete Maler Friedrich Wasmann, der mit ihm die meiste Zeit in München und Rom verbracht hatte, bezeugte in seinen Erinnerungen, dass er "ein scharfes Auge für Naturwahrheit zeigte" (zit. nach F. Wasmann: Ein deutsches Künstlerleben, von ihm selbst geschildert, hrsg. v. B. Grönvold, Leipzig 1915, S. 48). In Rom, wo Janssen sich seit 1833 aufhielt, führte ihn dieses scharfe Auge zu Darstellungen von nahezu skulpturaler Präsenz. Der aus starker Untersicht aufgenommene Kopf eines schreienden Jünglings erscheint in seinem Übernaturalismus und seiner plastischen Prägnanz wie erstarrt. Fast künstlich wirkt, wie mit graphischer Genauigkeit jedes Detail wiedergegeben ist. Mit sezierendem Blick ist das ganze Gesicht erfasst: der vor Schreck weit geöffnete Mund, in den man tief hineinsehen kann, die furchtvoll verdrehten Augen, die aufs äußerste angespannte Stirn und die wilden, einer Löwenmähne ähnelnden Haare.
Die von Klée Gobert geäußerte Vermutung, der Kopf gehe auf das Studium des mondsüchtigen Knaben in Raffaels "Verklärung Christi" (Rom, Vatikanische Museen) zurück, vermag nicht zu überzeugen. Stattdessen ist die Annahme vertreten worden, bei dem Kopf, der von Ferne an ein Medusenhaupt erinnert, könnte es sich um das naturalistische Abbild eines Epileptikers handeln. Möglich erscheint, dass Janssen wie auch andere Künstler für seine Ausdrucksstudien auf das Vorbild eines Epileptikers oder von psychisch Kranken zurückgriff, um die Übersteigerung menschlicher Leidenschaften darzustellen. Wilhelm von Kaulbach etwa benutzte seine physiognomischen Studien, die er in den zwanziger Jahren beim Besuch eines Heims für Geisteskranke in Düsseldorf angefertigt hatte, 1830 für sein berühmtes Blatt "Das Narrenhaus" (Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett).

Peter Prange

Details zu diesem Werk

Bleistift und schwarze Kreide 233mm x 218mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 38755 Sammlung: KK Zeichnungen, Hamburg, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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