Anonym (niederländisch, 19. Jh.)
Jan Ruijscher, Nachahmer

Panoramalandschaft, Blick über eine weite Ebene, 1645 - 1652

Diese Zeichnung kam unter dem Namen des Philips Koninck in die Hamburger Kunsthalle, wurde jedoch von Hans Beenken mit dem mutmaßlichen Rembrandt-Schüler Jan Ruyscher (um 1625-nach 1675) in Verbindung gebracht.(Anm.1) Lugt sah einen Kontext zu zwei Zeichnungen der Kunsthalle Bremen, die traditionell ebenfalls als Arbeiten Ruyschers gelten und wie unser Blatt auf graublauem Papier gezeichnet sind. Auch in der knappen Linienführung und dem summarisch angelegten Lavis lassen sich verwandte Züge feststellen.(Anm.2) Allerdings sind die Bremer Blätter von alter Hand „J[o] Spielbergh“ bezeichnet, womit nach Lugt ein ernstzunehmender Hinweis auf die Hand des vorwiegend als Bildnismaler tätigen Flinck-Nachfolgers Johannes Spilberg (1619–1690) gegeben wäre. Auch Welcker schloss Spilberghs Hand für die Bremer Blätter nicht aus, sah jedoch deutliche Unterschiede in der stilistischen Ausführung und hielt für die Hamburger Zeichnung an der Hand Ruyschers fest. In den jüngsten Publikationen stehen sich verschiedene Meinungen gegenüber: Während Sumowski weder unser Blatt noch die Bremer Zeichnungen in den kleinen Corpus der als eigenhändig akzeptierten Landschaftszeichnungen Ruyschers aufnahm, wurden sie von Röver-Kann (Ausst.-Kat. Bremen 2000/01) wieder unter dem Namen Ruyschers publiziert.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das zeichnerische Œuvre des Künstlers kaum feste Anhaltspunkte bietet: Auch bei dem von Sumowski erfassten Corpus handelt es sich lediglich um Zuschreibungen. Die einzigen bekannten Zeichnungen mit eigenhändiger Signatur befinden sich in Berlin, stammen jedoch aus der Zeit seiner Tätigkeit für den Großen Kurfürsten (ab 1652) und zeigen keine stilistischen Berührungspunkte zu unserem Blatt.(Anm.3)
Mit den stärker verwandten Panoramazeichnungen aus der von Rembrandt beeinflussten Stilphase um 1645/52 verbinden das schmale Querformat und das streifenartig angelegte Gelände mit den zwickelartig ineinander geschobenen Gründen. Ruyschers radierte „Rheinlandschaft bei Rhenen“ (H. 16) erinnert nicht nur in der Strukturierung des Geländes und den schematisch erfassten Bäumen an das vorliegende Blatt, sondern auch in der Verwendung getönten Trägermaterials.(Anm.4) Zeichnungen wie die traditionell Ruyscher zugeschriebene, 1648 datierte „Rheinlandschaft“ oder die ebenfalls farbig überarbeitete „Ansicht von Naarden“ sind allerdings deutlich differenzierter gearbeitet.(Anm.5) Diese Spannung zwischen Nähe und Abweichung lässt sich am ehesten auflösen im Sinne Robert-Jan te Rijdts, der das Blatt als fälschende Nachahmung des 19. Jahrhunderts bestimmen würde.(Anm.6)

Annemarie Stefes

1 Nach einer Karteinotiz Paulis im Archiv des Kupferstichkabinetts; vgl. Gustav Pauli: Zeichnungen alter Meister in der Kunsthalle zu Hamburg. Niederländer, hrsg. von Hamburger Kunsthalle, Veröffentlichungen der Prestel-Gesellschaft., Bd. 8, Frankfurt am Main 1924.
2 Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett (Kriegsverlust), Inv.-Nr. 622 und Inv.-Nr. 1186, Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, Nr. 92 und A 43; ein drittes Blatt, 1942 bei einer Revision im alten Bestand der Kunsthalle Bremen gefunden, ist dieser Gruppe anzuschließen: Inv.-Nr. 42/5, ebd. Nr. 93.
3 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 3800 und Inv.-Nr. KdZ 15313, Wolfgang Schulz: Die holländische Landschaftszeichnung 1600-1740. Hauptwerke aus dem Berliner Kupferstichkabinett, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin 1974, Nr. 154 und 155.
4 Vgl. einen Abzug in London, British Museum, Department of Prints and Drawings, auf blassgrün gefärbtem Papier, Inv.-Nr. S.5530.
5 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. Oo,9.91 und Oo,9.92, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 10, Roghman - Wolfhagen, hrsg. von Walter L. Strauss, 1992, Nr. 2309 xx und 2301 xx; vgl. auch Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1889-A-2425, ebd. Nr. 2300 xx. Der breite und flüssige Federstrich erinnert auch an eine Anthonie van Borssom zugeschriebene „Panoramalandschaft“ in der Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1922/100, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 2, Borssom - Dorsten, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1979, Nr. 366 xx.
6 Freundliche Mitteilung am 23. 2. 2008 im Anschluss an das Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.

Details zu diesem Werk

Pinsel in Schwarz, Grau, Ocker und Deckweiß auf graublauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 133mm x 461mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22089 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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