Samuel van Hoogstraten, Zeichner

Die Anbetung der Hirten, 1646-1647

Der aus Dordrecht stammende Samuel van Hoogstraten gehörte zu den begabtesten Zeichnern des Rembrandt-Kreises, machte sich darüber hinaus aber auch als Dichter, Kunstschriftsteller und Politiker einen Namen. Nach dem Tode seines Vaters, des Genre- und Landschaftsmalers Dirck van Hoogstraten (1596–1640), wurde er um oder nach 1640 Lehrling bei Rembrandt in Amsterdam. Bis 1648 blieb er im Atelier seines Meisters, zum Schluss vermutlich selbständig als Gehilfe arbeitend. Anschließend ließ er sich vorübergehend in seiner Heimatstadt nieder, bevor er 1651 nach Wien und Italien aufbrach.
Die Hamburger Zeichnung wird in die Zeit um 1646/47 datiert. In Lichtwirkung und zeichnerischer Ausführung ist sie noch deutlich Rembrandt verpflichtet, doch bleiben die Hell-Dunkel-Effekte der erzählerischen Klarheit untergeordnet.(Anm.1) Ähnlich wie Rembrandt spielte auch sein Schüler mit den verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten des Federstrichs, von feiner Schraffur bis hin zu breit modellierenden Linienzügen. Allerdings sind bei ihm die geschlossenen Konturen viel stärker an die Form gebunden. Charakteristisch für Van Hoogstraten ist zudem die genreartige Interpretation des biblischen Themas (Lukas 2, 15–17), die ebenso wie der bühnenhafte Raum an Zeichnungen Gerbrandt van den Eeckhouts erinnert (vgl. Inv..-Nr. 21918).
Von verschiedenen Autoren wurde die Komposition der Hamburger Zeichnung zurückgeführt auf Rembrandts gemalte Fassungen des Themas aus dem Jahre 1646, womit ein Anhaltspunkt für die Datierung gegeben wäre.2 Eine gezeichnete Kopie nach diesem Gemälde wurde kürzlich ebenfalls Van Hoogstraten zugeschrieben.(Anm.3) Unserem Blatt gingen weitere Zeichnungen wohl als Vorarbeiten voraus: Als direkter Vorentwurf, mit dem auch noch einzelne Pentimenti der Hamburger Zeichnung übereinstimmen, wird die „Hirtenanbetung“ in New York gewertet,(Anm.4) der eine noch kleinere Federskizze vorangestellt werden kann.(Anm.5) Am Ende dieses Bildfindungsprozesses, der sich auch auf unserem Blatt in zahlreichen Korrekturen niederschlägt, stand ein Gemälde aus dem Jahre 1647.(Anm.6) Gleichwohl ist die Hamburger Zeichnung durch die Signatur als unabhängiges Kunstwerk klassifiziert. Stilistisch verwandte Arbeiten befinden sich in Frankfurt am Main, Paris und Cambridge.(Anm.7)

Annemarie Stefes

1 Vgl. Robinson, in: Holm Bevers, Lee Hendrix, William W. Robinson, Peter Schatborn: Drawings by Rembrandt and His Pupils. Telling the Difference, Ausst.-Kat. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum 2009-2010. Dort wird unser Blatt mit Rembrandts „Heiliger Familie in der Werkstatt“ aus den mittleren 1640er Jahren verglichen, London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1900,0824.144, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 3, Nr. 516, Martin Royalton-Kisch: Drawings by Rembrandt and his School in the British Museum, Online-Publikation 2009, Nr. 39. Das Thema der Londoner Zeichnung wurde von Van Hoogstraten ebenfalls variiert in einer Zeichnung der Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 1882, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 5, Gelder - Horst, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 1189 x, Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, Nr. 36. – Aus stilistischer Sicht kann der Ansatz um 1646 bestätigt werden durch den Vergleich mit Hoogstratens 1646 datierter Zeichnung in London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1895,0915.1175, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 5, Gelder - Horst, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 1101.
2 Schaar, in: Eckhard Schaar: Rembrandt und sein Jahrhundert, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1994, Röver-Kann, in: Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000 und Robinson, in: Holm Bevers, Lee Hendrix, William W. Robinson, Peter Schatborn: Drawings by Rembrandt and His Pupils. Telling the Difference, Ausst.-Kat. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum 2009-2010, S. 149; m. E. steht die Fassung in London, National Gallery, Inv.-Nr. NG 47 unserer Zeichnung näher als das Gemälde in München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. 393.
3 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1895,0915.1203. Die Zuschreibung der bei Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 8, Maes - Mair, hrsg. von Walter L. Strauss, 1984, Nr. 1792 x Nicolaes Maes gegebenen Zeichnung an Samuel Van Hoogstraten erfolgte durch Royalton-Kisch 2009, Hoogstraten, Nr. 3.
4 New York, Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 41.21.2 (Feder in Braun, laviert, über schwarzer Kreide, 73 x 106 mm), Sumowski 5, 1981, Nr. 1137; wie auf dieser Zeichnung war der Stützpfeiler ursprünglich rechts von Joseph platziert, gut zu erkennen an den Kreidekonturen der Erstanlage.
5 Standort unbekannt (60 x 85 mm), Sumowski 5, 1981, Nr. 1135. Eine noch summarischer angelegte Federskizze ist ebd., Nr. 1136 erwähnt (Standort unbekannt).
6 Dordrecht, Dordrechts Museum, Inv.-Nr. DM/980/567, Werner Sumowski: Gemälde der Rembrandt-Schüler, 6 Bde., Landau 1983, Bd. 2, Nr. 823.
7 Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 851, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 5, Gelder - Horst, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 1182**, Annette Strech: "Nach dem Leben und aus der Phantasie". Niederländische Zeichnungen aus dem Städelschen Kunstinstitut, Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Städel Museum, Mainz 2000, S. 156; Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 1971-T.52, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 5, Gelder - Horst, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 1126*, Mària van Berge-Gerbaud: Rembrandt et son école. Dessins de la collection Frits Lugt, Paris 1997, Nr. 69; Cambridge, Fitzwilliam Museum, Inv.-Nr. PD.417-1963, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 5, Gelder - Horst, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 1176*, David Scrase: Das goldene Jahrhundert. Holländische Meisterzeichnungen aus dem Fitzwilliam Museum Cambridge, Ausst.-Kat. München, Staatliche Graphische Sammlung; Heidelberg, Kurpfälzisches Museum; Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum; Cambridge, The Fitzwilliam Museum, 1995/96, Nr. 100.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide, stellenweise Rötel und Graphit, Feder und Pinsel in Braun; Einfassungslinien (Feder in Braun) 153mm x 204mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22050 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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