Hendrick ter Brugghen, Werkstatt

Musizierende Frau am Penorcon

Diese Zeichnung wurde noch von Bernt (1957) unter ihrer alten Zuschreibung an Gerard van Honthorst publiziert. Zu diesem Zeitpunkt war sie jedoch bereits von Judson (1956) mit Hendrick ter Brugghen in Verbindung gebracht worden. Nicolson (1958) akzeptierte diese Zuschreibung und hielt das Blatt für ein eigenständiges Kunstwerk; Slatkes (1988) publizierte es als Studie zu einem verlorenen Bild und hielt an Judsons Datierung um 1628/29 fest. In seiner posthum erschienenen Ter Brugghen-Monographie (2007) hatte Slatkes seine Meinung dahingehend geändert, dass er das Blatt nun als mutmaßlichen „ricordo“ einer Gemäldefigur klassifizierte.(Anm.1) Dies stützt sich u. a. auf eine fragmentarisch erhaltene Kopie nach wohl der gleichen gemalten Vorlage.(Anm.2)
Damit ist jedoch nicht die Frage nach der Autorschaft geklärt. Im Gegensatz zu der von Slatkes vertretenen positiven Auffassung, äußerte dessen Herausgeber Franits an gleicher Stelle Zweifel an der Eigenhändigkeit und hielt eine Beteiligung der Werkstatt für wahrscheinlicher.(Anm.3)
Eine in gleicher Weise beschnittene Darstellung eines männlichen Lautenspielers befindet sich in Brüssel, unserem Blatt auch vergleichbar in Motiv, Format und Technik.(Anm.4) Diese Zeichnung wurde von Slatkes als mutmaßliche Kopie nach einer verlorenen Originalzeichnung Ter Brugghens klassifiziert, und auch Franits zog eine Entstehung im Umfeld der Ter Brugghen-Werkstatt in Betracht.(Anm.5) Möglicherweise stammen beide Zeichnungen von gleicher Hand.(Anm.6)
Die Gesichtszüge der hier dargestellten Musikerin lassen sich auf einigen Gemälden des Künstlers wiederfinden und folgen vermutlich der Physiognomie eines weiblichen Modells.(Anm.7) Bei dem dargestellten Musikinstrument handelt es sich nicht um eine Laute, wie vormals angenommen, sondern um ein Penorcon.(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 279.
2 „Kopf eines Mädchens“, Fredericton (New Brunswick, Canada), Beaverbrook Art Gallery, Inv.-Nr. 1961.49, Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 279, Nr. R 142.
3 Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 279.
4 „Lautenspieler“, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts, Sammlung De Grez, Inv.-Nr. 4060/1634 (schwarze und weiße Kreide, wohl von späterer Hand grau laviert, auf grauem Papier), Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 197, Nr. D 4, als Werkstattwiederholung einer verlorenen Zeichnung mit Gemäldebezug, Stuttgart, Staatsgalerie, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 2225, Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, Nr. A 78.
5 Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 197; der Kommentar von Franits steht dort unter Anm. 8.
6 Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 279. In jedem Falle zweifelhaft und als stilistische Anhaltspunkte ungeeignet sind die beiden anderen von Slatkes als eigenhändige Zeichnungen Ter Brugghens aufgeführten Blätter in Rouen, Musée des Beaux-Arts, Cabinet des Dessins, Inv.-Nr. 975.4.4450, ebd. S. 139–140, Nr. D 1, Abb. 55 (vgl. hierzu Marijn Schapelhouman, Peter Schatborn: Dutch Drawings of the Seventeenth Century in the Rijksmuseum Amsterdam. Artists born between 1580 and 1600, London 1998, Bd. 1, S. 11) und englischem Privatbesitz, ebd. S. 162, Nr. D 2, Abb. 56.
7 Z. B. „Lautenspieler und Sängerin“, 1628, Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr. RF 1954-1, Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 208, Nr. A 87 (der Lautenspieler ist als Typus identisch mit dem der unter Anm. 5 erwähnten Brüsseler Zeichnung); „Duett“, 1629, Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Barberini, Inv.-Nr. 2334, Leonard J. Slatkes, Wayne Franits: The paintings of Hendrick ter Brugghen (1588-1629): catalogue raisonné, Amsterdam 2007, S. 211–212, Nr. A 89; als Typus ist diese Mädchenfigur wohl abzuleiten von Manfredi, vgl. ebd. S. 212.
8 Darauf verwies erstmals Benedict Nicolson: Hendrick Terbrugghen, Den Haag 1958 mit Bezug auf E. Winternitz vom Metropolitan Museum of Art, New York, der das Instrument als Penorcon identifizierte. Abweichungen von der Laute finden sich u. a. in den mehrfach eingebuchteten Zargen und den schräg gestellten Bünden; vgl. Gert-Dieter Ulferts: Führer durch die Sammlung Historische Musikinstrumente, Braunschweig 1997, Nr. 83.

Details zu diesem Werk

Schwarze und weiße Kreide auf braungrauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Schwarz), teilweise über schwarzer Kreide 257mm x 203mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22048 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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