Dasha Shishkin, Radiererin
Robbie Guertin, Drucker
Galamander Press, New York, Drucker
Grimm/Rosenfeld Gallery, Verleger

Monkey, 2004

Aus: "400 series", 9 Radierungen, 2004, Blatt 3

Das Medium der 1977 in Moskau geborenen Künstlerin Dasha Shishkin, die seit 1993 in den USA lebt und arbeitet, ist die Zeichnung, gleichgültig ob auf Papier oder der Radierplatte. Angeregt durch die „Wimmelbilder“ Pieter Bruegels d. Ä. und Assoziationen an ihr russisches Herkunftsland, entfaltet sie in der Radierfolge 400 series – der Titel spielt auf den selbstgesetzten Anspruch an, jede Platte der Serie innerhalb von vier Stunden zu beenden – eine bizarre Bilderwelt. Die Blätter gehören zum Themenkomplex „Gewalt auf Papier“ und dienen dazu, sich den geheimnisvollen und ambivalenten Phantasien und Träumen der menschlichen Psyche in ihrem Facettenreichtum zu stellen. Die Künstlerin selbst bezeichnet ihre Werke als Veranschaulichung eines „[…] abstrakten Kampfes von Kräften innerhalb eines Individuums“. (Anm. 1) Ein Gefühl von Unbehagen und Angst herrscht in ihren Arbeiten. Gleichzeitig jedoch sind sie durchdrungen von Ironie, was sich auch in den Werktiteln wie Horse in Bed oder Poop Table widerspiegelt. Die zum Teil komplexen und feingliedrigen Szenarien der Gewalt und des Grotesken entwickeln sich ohne Vorzeichnung direkt aus dem kreativen Impuls der radierten Linienführung heraus: Sie verdichten sich, brechen ab, werden zu amorphen Kreaturen, Körperfragmenten oder auch Hybrid- und Fabelwesen. Offene und fragmentarische Darstellungen wechseln sich mit einer chaotisch-verschlungenen Erzähldichte ab: Die Motivarabesken reichen von einem Pferd und einer Prostituierten, die im Bett mit Champagner anstoßen, über menschliche und tierische Figurenketten, angeführt von einem mit Federhut geschmückten Affen, die sich teils in akrobatischer Manier ineinander verschlingen und durch die Luft wirbeln, und einer Festgesellschaft aus glatzköpfigen Figuren mit deformierten Körpern, die mit den Exkrementen aus den massigen Gesäßen von Frauen mit dekorativer Kopfbedeckung genährt werden, bis hin zum apokalyptischen Chaos. Shishkins Arbeiten erzählen keine zusammenhängenden Geschichten, sondern reflektieren einen immerwährenden Zustand des Prozessualen, der die unbegrenzte individuelle Freiheit des Arrangements und der Entschlüsselung ermöglicht.


The artist Dasha Shishkin, who was born in 1977 in Moscow and has lived and worked in the USA since 1993, has chosen drawing as her medium, whether on paper or the etching plate. Inspired by Pieter Bruegel the Elder’s paintings that resemble “hidden object pictures” as well as associations with her Russian homeland, she unfurls a bizarre image cosmos in the etchings of her 400 series, whose title alludes to how she challenged herself to finish each plate within four hours. The sheets belong to a larger theme the artist describes as “violence on paper”, which confronts the enigmatic and ambivalent fantasies and dreams of the human psyche in all their many facets. Shishkin says these works “serve as literal illustrations to the abstract struggle of the forces within an individual”. (Anm. 1) A feeling of unease and anxiety pervades her imagery. At the same time, however, the motifs are imbued with irony, reflected in work titles such as Horse in Bed or Poop Table. The violent and grotesque scenarios, some of them intricate and delicately rendered, emerge directly from the creative impulse of the etched lines, without any preliminary drawing. The lines condense and break off, giving shape to amorphous creatures, body fragments and even hybrid and mythical creatures. Open and fragmentary depictions alternate with a chaotically intertwined narrative density; the motif arabesques range from a horse and a prostitute in bed together, toasting with champagne; to chains of human and animal figures led by a monkey wearing a feathered hat, which at times intertwine and acrobatically whirl through the air; to a festive company of bald figures with deformed bodies who are feeding on excrement from the massive buttocks of women with decorative headgear; all the way to apocalyptic chaos. Rather than telling coherent stories, Shishkin’s works reflect a perpetual state of flux, which leads to unlimited individual freedom in both arrangement and interpretation.

Leona Marie Ahrens


Lit.: IDEA. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 2005–2007 (Im Fokus: Kunst um 1800), hg. von | ed. Uwe Fleckner und | and Hubertus Gaßner. Hamburg 2009, S. | pp. 217–218.
Christoph Heinrich: Gegenwärtig. Geschichtenerzähler, hg. von | ed. Uwe M. Schneede, Ausst.-Kat. | exh. cat. Hamburger Kunsthalle. Hamburg 2005, S. | pp. 29–31, 63.

1 Dasha Shishkin. Zeichnungen und Radierungen, Ausstellung | exhibition at Galerie Grimm/Rosenfeld. 2004. Übersetzung der Autorin | German translation by the author.

Details zu diesem Werk

Radierung, Papier 448mm x 605mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Geschenk der Jungen Freunde der Kunsthalle, 2005 Inv. Nr.: 2005-93-3 Sammlung: KK Druckgraphik, 20.-21. Jh. Anzahl Teile: 9 © Dasha Shishkin / Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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