Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Zeichner

Die Vergötterung Homers, 1818/19

Die aus dem Nachlass Tischbeins erworbenen Blätter gehören zu einem ursprünglich rund fünfzig Pinselzeichnungen umfassenden Bilderzyklus, der in enger Verbindung zu Tischbeins Sammelwerk „Homer nach Antiken gezeichnet“ steht.(Anm. 1) In dem Werk sind Szenen aus Homers Ilias und Odyssee vereinigt, die Tischbein nach antiken Vorlagen zeichnete (Vasen, Gemmen, Sarkophage, Statuen, Reliefs usw.) und in denen er Szenen aus den Werken Homers erkannte. Allerdings geben Tischbeins Darstellungen keinen Handlungsablauf wieder, sondern sind Exempla handelnder Personen im Sinne seiner Charakter- und Tugendlehre. Schüler Tischbeins hatten noch in Neapel seine Darstellungen auf Kupferplatten zum Druck übertragen. Die Zeichnungen, die als direkte Vorlage für die Stiche dienten, sind zumeist nicht mehr vorhanden, sondern beim Übertragen auf die Platte zugrunde gegangen.(Anm. 2)
Im Winter 1818 hatte Tischbein die Beschäftigung mit Homer wieder aufgenommen und bis zum Frühjahr des folgenden Jahres einen ganzen Zyklus mit Szenen aus der Odyssee angefertigt, wie er im April 1819 Rennenkampf, dem Oberkammerherrn des Herzogs, mitteilte: „Für die jungen Prinzen habe ich schon ein Zimmer voll fertig. Die Geschichte des Ulysses von seinen ersten Thaten an und alle Heldenthaten, die er im Kriege that, wo man immer den klugen, weisen, vorsichtigen Mann wirken sieht. Dann die Zurückreise, wo man ihn in so großen Gefahren siehet und er sich mit Klugheit immer herauszuhelfen weiß. Drittens die Ankunft in seinem Vaterlande, wo er die größte Vorsichtigkeit und Geduld haben mußte, wieder in seinem vorigen Besitz zu kommen. Diese Zeichnungen sind alle nach Antiken, und etliche 50 fertig. – Ist das nicht eine herrliche Tapete für die jungen Prinzen? Das war in diesem Winter in den Nebenstunden meine Arbeit.“(Anm. 3) Die für das Prinzenzimmer vorgesehenen Motive sind in den meisten Fällen Kopien oder Varianten nach dem Homerstichwerk. Die Technik dieser Zeichnungen ist zumeist gleich – Sepia und Feder, zumeist weiß gehöht –, und sie tragen eine grün aquarellierte Umrandung. In den Ecken weisen sie häufig Spuren einer ehemaligen Aufhängung auf. Der klassizistische, etwas schematische und spröde Stil bestätigt ihre spätere Entstehung. Die Hamburger Kunsthalle besitzt zehn Blätter aus dieser Serie (Inv.-Nr. 1945-110 bis 1945-118 und 1949-120 und -121) Neben den Zeichnungen in der Kunsthalle befinden sich die meisten Blätter für die Zimmerdekorations-Serie in Oldenburg (Anm. 4), in Düsseldorf (Anm. 5) sowie ehemals im Kunsthandel.(Anm. 6)
Die „Vergötterung Homers“ entstand nach Tafel III in Heft 1 des Homerwerks. Dem Kommentar Christian Gottlob Heynes zufolge entstand die Zeichnung „nach einem silbernen Becher mit erhabenen Figuren. Er ward in den Pomtinschen Sümpfen gefunden, und kam in das Museo Ercolano zu Portici.“ Der heute in Neapel befindliche Becher ist vor Tischbein bereits von Caylus und Millin abgebildet worden (Anm. 7), doch hat Tischbein eine vollständige Abrollung des Gefäßbildes im Sinne von Winckelmanns Beschreibung gegeben.(Anm. 8)

Peter Prange

1 Ähnlich wie bei den Illustrationen zur „Eselsgeschichte“ liegen die Anfänge von Tischbeins Beschäftigung mit Homer während seines Aufenthalts in Italien, doch auf Grund des Einmarsches französischer Revolutionstruppen in Neapel erschien erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland sein Stichwerk „Homer, nach Antiken gezeichnet“ 1801-04 als Heft 1–6 mit Erläuterungen von Christian Gottlob Heyne zunächst bei Dieterich in Göttingen. Jedes Heft sollte außer den Vignetten und Ornamenten sechs Kupfertafeln enthalten, doch nach dem sechsten Heft geriet das Unternehmen ins Stocken. 1819 kaufte Cotta in Stuttgart den Verlag Dieterich zusammen mit einer großen Menge an Zeichnungen und unedierten Kupferplatten. Er ließ 1821 eine Fortsetzung mit Erläuterungen von Ludwig Schorn erscheinen, doch auch diese Ausgabe wurde bereits nach drei Heften 1823 eingestellt.
2 Vgl. hierzu Beate Grubert: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. „Homer nach Antiken gezeichnet“, Diss. Univ. Bochum 1975, S. 113–114.
3 Aus Tischbein’s Leben und Briefwechsel, hrsg. v. Friedrich von Alten, Leipzig 1872, S. 230.
4 Oldenburg, Landesmuseum, Inv.-Nr. 15.000/2093–15000/2120, vgl. Das Homer-Zimmer für den Herzog von Oldenburg. Ein klassizistisches Bildprogramm des „Goethe-Tischbein“, Ausst.-Kat. Oldenburg 1994, S. 87–109, Nrn. 15 a–q.
5 Düsseldorf, museum kunstpalast, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1955/167–1955/177, vgl. Facetten des Barock. Meisterzeichnungen von Gianlorenzo Bernini bis Anton Raphael Mengs aus dem Kunstmuseum Düsseldorf/Akademiesammlung, Ausst.-Kat. Düsseldorf 1990, S. 188, Nr. 78; und Düsseldorf, Goethe-Museum, vgl. Europäische Zeichnungen zur Zeit Goethes. Katalog der Ausstellung im Goethe-Museum Düsseldorf, Ausst.-Kat. Düsseldorf 2005, S. 87, Nr. 112–119.
6 Hinrich Sieveking: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Zeichnungen – Aquarelle, München 1976, Nr. 16–20.
7 Neapel, Museo Nazionale, Inv.-Nr. 2530, vgl. Anne-Claude-P. de Caylus: Recueil d’antiquités égyptiennes, étrusques, grecques et romaines, Paris 1752–1765, Bd. 2, Taf. XLI/I; Aubin Louis Millin: Galerie Mythologique. Recueil de Monuments pour servir a l’étude de la Mythologie, de l’Histoire de l’art, de l’Antiquité figurée, et du langage allégorique des anciens. […], 2 Bde, Paris 1811, S. 67–68, Nr. 549, Taf. CXLIX.
8 Winckelmann hatte Caylus gerügt, weil dieser nur die Vorderseite mit dem Adler, der Zeus in die Lüfte trägt, abgebildet hatte. Vgl. Johann Joachim Winckelmann: Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen, Dresden 1762, S. 57.

Details zu diesem Werk

Pinsel in Braun, mit weißer Deckfarbe gehöht, Randlinie Feder in Braun, grün aquarelliert 382mm x 376mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1949-110 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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