Friedrich Rehberg, Lithograph
nach Giovanni Santi, Maler, Erfinder
Treselly, Drucker

Raffael als Kind mit seinen Eltern / "Rafaello bambino", 1824

In: Rehberg, Friedrich: "RAFAEL SANZIO aus URBINO, Zweiter Teil, Lithographische Versuche nach Rafael [...]", erstes Heft, München 1824, Tafel 2

In der jüngeren Forschung wird der Raffael-Rezeption der deutschen Romantik ein „Sonderweg“ (Anm. 1) bescheinigt, der diese von der künstlerischen und literarischen Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Urbinaten etwa in England, Frankreich oder auch Italien unterscheidet. Zwar zeigte sich ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert ein internationales Interesse an Szenen aus dem Leben des Künstlers (vgl. Ausstellungskatalog „Raffael. Wirkung eines Genies“ 2021 Kat. 157–159, 161.1 bis 12, 163.1 bis 13). Der hauptsächliche Unterschied speziell der deutschen Rezeption bestand jedoch im zunehmenden Stilisieren Raffaels zum heiligen, göttlichen Vorbild und damit zugleich in einem teilweisen Abrücken der Schilderung der Lebensgeschichte durch Vasari, von dem zwar die Betrachtung des Urbinaten als christlicher Künstler übernommen wurde, nicht so jedoch die weltliche Charakterisierung als den Frauen äußerst zugetan. (Anm. 2) Ab 1800 bildete die Beschäftigung mit Raffaels Kindheit einen zunehmenden Schwerpunkt – entsprechend der deutsch-romantischen Wahrnehmung seines frühen Schaffens „aus einer göttlichen Naivität heraus“ (Anm. 3) und dem Bestreben, selbst „wie die Kindlein“ zu werden, um zur ‚reinen‘ und unverfälschten Kunst zu gelangen. (Anm. 4)
Die vorliegende Lithographie, erstmals erschienen 1824 im ersten Heft von Friedrich Rehbergs Lithographische[n] Versuche nach Rafael [...] (Anm. 5), ist ein paradigmatisches Beispiel jener spezifisch deutschromantischen Deutungstradition. Rehberg stellt in chronologischer Reihenfolge neben Arbeiten von italienischen Künstlern des Trecento nicht nur Werke Raffaels, sondern auch (angebliche) Bildnisse des Urbinaten vor. Dieses Blatt bezieht sich auf die Stifterbildnisse der Familie Buffi in der sogenannten Pala Buffi von der Hand Giovanni Santis in der Kirche San Francesco in Urbino. (Anm. 6) Bereits 1811 erschien im Morgenblatt für gebildete Stände ein seitenverkehrter Kupferstich Franz Pforrs und Friedrich Overbecks nach ebenjenem Ausschnitt aus der Pala Buffi, der Eltern und Kind aus dem Bildzusammenhang isoliert, in Umrissmanier abstrahiert und fälschlicherweise als ein frühes Familienportrait der Santis deutet. (Anm. 7) Die Zeichnung zum Stich entstand im Rahmen eines Aufenthaltes der beiden Künstler in Urbino 1810 im Zusammenhang mit der Suche nach (Bild-)Zeugnissen der Kindheit Raffaels. Rehberg selbst scheint die Pala Buffi nicht gesehen zu haben und stützte sich für seine Lithographie möglicherweise auf den Druck im Morgenblatt. (Anm. 8) Seine Bildkomposition behält ihre Proportionen und die Anordnung der Figuren zueinander bei, unterscheidet sich jedoch ansonsten deutlich von ihr im (Wieder-) Schaffen von Räumlichkeit durch das Einfügen architektonischer Elemente wie Wand und Treppenstufen einerseits, von Binnenzeichnung und der Modellierung von Licht und Schatten andererseits, was ihm im Medium der Lithographie sehr gut gelingt. Zugleich drängt das Blatt durch ebenjene Räumlichkeit, die durch Perspektive und Größenverhältnisse eine naturalistische Darstellung klar erkennbar von sich weist, mehr noch als die Zeichnung zu einer Interpretation im Sinne der beschriebenen Deutungstradition des Urbinaten als von Geburt an heiligem Künstler: Der kindliche Raffael kniet durch Stufen und perspektivische Unmöglichkeit deutlich getrennt von seinen Eltern, die durch den Lichtstrahl vielmehr als Vision erscheinen, andächtig im hellen Bildvordergrund, während die Treppe bereits seinen Aufstieg bis hin zu göttlichen Sphären vorwegzunehmen scheint.
Friedrich Rehberg setzte sich bereits im Rahmen seines ersten Romaufenthaltes ab 1777 und seinem dortigen Studium bei Anton Raphael Mengs intensiv mit dem Werk Raffaels auseinander. In den frühen 1820er Jahren beschäftigte er sich auf Anweisung des preußischen Staatsministers Freiherr vom Stein vermehrt mit der Lithographie, da dieser die Technik an der Berliner Akademie einzuführen wünschte und Rehberg dafür als Vermittler vorsah. In diesem Kontext ist vermutlich auch die Wahl dieses Mediums durch den Künstler für seine Lithographische[n] Versuche einzuordnen, die damit von anderen zeitgenössischen Darstellungen der Vita Raffaels wie etwa der Brüder Riepenhausen (Inv-Nr. 2019-652-1 bis -13 und kb-1863-85-304-1 bis -12) abweicht.
Klara Wagner

Andresen 2 (1867), S. 84, Nr. 70.2

1 Thimann 2015, S. 16.
2 Ebd.; vgl. Pfisterer 2012, S. 83–84.
3 Thimann 2015, S. 17.
4 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 154, Nr. 12 (Beitrag Michael Thimann).
5 Die Lithographie ist die zweite von 18 Abbildungen im ersten Heft. Die Lithographischen Versuche nach Rafael erschienen in zwei Heften; zugleich bilden sie den zweiten, illustrierten bzw. illustrierenden Teil von Rehbergs Rafael Sanzio von Urbino.
6 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 152, Nr. 12 (Beitrag Michael Thimann).
7 Der Stich von Overbeck und Pforr erschien unter dem Titel Der junge Raphael und seine Aeltern im Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 141–142, 13./14. Juni 1811, bei S. 564.
8 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 152, Nr. 12, sowie S. 154, Anm. 3 (Beitrag Michael Thimann).

Details about this work

Lithographie 230mm x 179mm (Bild) 230mm x 179mm (Blatt) 378mm x 262mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek. Erworben 2020 vom Antiquariat Meindl & Sulzmann OG, Wien, mit Mitteln des Fördervereins "Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V." Inv. Nr.: kb-2020-328g-2 Collection: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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