Friedrich Eduard Eichens, Stecher
nach August Ferdinand Hopfgarten, Zeichner
Verlag Alexander Duncker, Berlin, Verleger

"RAPHAEL UND MEISTER ANDREA.", 1840

In: Italia, hrsg. v. Alfred Reumont, 2. Jg., Berlin 1840, Frontispiz

Der als Gutsbesitzer in Holstein finanziell gut ausgestattete Zeichner, Kunsthistoriker und Sammler Carl Friedrich von Rumohr, der nebenbei ein Buch über den Geist der Kochkunst geschrieben hat und einer der wichtigsten Förderer der Kunst der Romantik war, verfasste in seinen späten Jahren, gleichsam als rückwärts gewandten Abschluss seiner langjährigen kunsthistorischen Forschungen zum Werk Raffaels (Anm. 1) auch eine Novelle zum Künstler. In dieser ging es erneut um die Erzählung der Vita des Künstlers als genialisches Wunderkind, das im Angesicht der Natur und durch wohlwollende ältere Lehrmeister zum großen Künstler wird. Rumohr greift jedoch frei in die Lebensgeschichte Raffaels ein und erfindet – in Ergänzung zu der seit Vasaris Vita bekannten Abfolge der Meister Giovanni Santi, dem Vater Raffaels, Perugino und Pinturicchio – einen Lehrmeister namens Andrea d’Assisi, zu dem Raffael als Sechzehnjähriger gelangt. Erst dann begegnet er Perugino und Pinturicchio. Dadurch beabsichtigte Rumohr nochmals der beginnenden und Leben und Werk objektivierenden kunsthistorischen Forschung, zu der er selbst etwas beigetragen hatte, einen romantisch geprägten, aber vermeintlich kunsthistorisch fundierten Bildungsroman gegenüber- zustellen. Literarisch mischt sich bei Rumohr der überschwängliche Ton der Novelle mit dem von ihm benutzten klaren „Vokabular des Kenners und Kunsthistorikers […] der Stil und Formen präzise benennt.“ (Anm. 2)
Alfred von Reumont, in dessen von ihm herausgegebenen, nur in zwei Jahrgängen erschienenen Jahrbuch Italia, Rumohr seine Maler-Novelle erstmals veröffentlichen konnte, gab dem gesamten Band nur ein Frontispiz bei. Dieses illustriert Rumohrs Beitrag, genauer den Beginn der Geschichte zwischen Raffael und dem erfundenen Meister Andrea d’Assisi. Dieser sitzt in einer Kirchenvorhalle – durch den Bogen schaut man hinauf zur imposanten Kirchenanlage von San Francesco in Assisi – auf einem Gerüst, ausgestattet mit Pinseln und Malerpalette in den Händen, und ist damit beschäftigt, ein Fresko der Madonna mit Kind auf die Wand zu bringen. Über eine angestellte Leiter steigt der junge Raffael in eleganter, aber dennoch eher robuster Wanderkleidung mit Stab und seinen in Stoff eingerollten Malutensilien auf dem Rücken auf das Gerüst und blickt gebannt auf das Bild der Muttergottes, während der vornehm gekleidete Meister Andrea ihn eindringlich, aber freundlich betrachtet. Raffael nimmt mit der Geste des Genies als Sechzehnjähriger sofort den Gesprächsfaden auf und beschreibt Meister Andrea, was ihn an dessen Fresko fasziniert und ihn zum Lernen anregt, jedoch nicht ohne eine feine Kritik: „In Eurer Arbeit da, werther Meister, ist ein Etwas, das mir schon deshalb gefallen würde, weil es mir neu ist. Wohl möchtet ihr bis weilen das rechte Antlitz und Wesen der Sachen, welche ihr ausdrücken wollt, nicht völlig erreichen. Alle in die Bildung Eurer Köpfe scheint mir der natürlichen Gestalt viel näher zu kommen, als das Meiste, was ich bisher gesehen. Eure Umrisse haben eine liebliche Rundung, Eure Formen eine gewisse Fülle. Davon möchte ich einiges ablauschen.“ (Anm. 3)
Das Besondere an Rumohrs Novelle ist der Versuch einer Kombination des in diesen Jahren noch unveränderten aktiven Raffael-Kults der Romantik mit der ihm entgegen gestellten kunsthistorischen Versachlichung der Lebensumstände und des künstlerischen Werks und seiner Entwicklung. Rumohr sieht diese weniger einer nicht erklärbaren göttlichen Gabe geschuldet, sondern er sieht dafür die von Raffael gepflegte Praxis einer neuen Naturnachahmung verantwortlich, die zu natürlicheren und weicheren Formen gegenüber dem früheren Linearstil der Quattrocentisten führte. (Anm. 4) Solche objektivistisch begründeten Erklärungen zur Vita und zum Werk Raffaels finden sich bei anderen Autoren der Zeit nicht. Doch insgesamt bleibt Rumohrs Beitrag zur neueren Raffael-Forschung eher bescheiden und überschaubar.
Andreas Stolzenburg

Eichens 1870, S. 137, Nr. 105 (mit falscher Zuordnung); Thimann 2014b, S. 20, Abb. 6; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 114–115, Nr. 4c
(Beitrag Michael Thimann)

1 Rumohr 1831a und Rumohr 1831b. Zu Rumohrs Bild vom Künstler Raffael siehe Osterkamp 2000. Ein Bildnis Rumohrs zeichnete Johannes Riepenhausen 1803 in Göttingen; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 112–113, Nr. 4a (Beitrag Michael Thimann).
2 Ebd., S. 114 (Beitrag Michael Thimann).
3 Rumohr 1840, S. 45. 4 Ebd.

Details about this work

Kupferstich, Radierung 98mm x 73mm (Bild) 178mm x 113mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2020 vom Antiquariat Tautenhahn, Lübeck, mit Mitteln des Fördervereins "Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V." Inv. Nr.: kb-2020-325g-1 Collection: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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