Domenico Cunego, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Firmin Didot, Paris, Verleger

Die Geliebte Raffaels, bekannt als La Fornarina / "Raphaelis Amasia, vulgò La Fornarina", 1835 (2. Pariser Ausgabe, Erstdruck 1772, Erstpublikation 1773)

In: "Schola Italica Picturae", Paris um 1835, Tafel 9

Das heute allgemein unter dem Titel La Fornarina bekannte Gemälde entstand um 1518–1520. Wenngleich die Identität der Dargestellten nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, lässt sich das Modell auch in weiteren Werken Raffaels, so beispielsweise im Triumph der Galatea (vgl. Inv.-Nr. 293), erkennen. Der Umstand, dass die Dargestellte einen Armreif mit dem Namenszug Raffaels trägt, spricht dafür, dass der Künstler selbst intime Beziehungen zu ihr unterhielt. (Anm. 1) Es finden sich weitere Symbole, welche ikonographisch für die Liebe stehen, beispielsweise die Wahl der Pflanzen Quitte und Myrte im Hintergrund oder die zum Herzen geführte rechte Hand. Darüber hinaus erscheint ihre Haltung an eine antike Venus pudica angelehnt und sie ist wie eine Braut gewandet. (Anm. 2) Die von Raffael gewählte Darstellung eines weiblichen Portraits als Aktdarstellung geht auf einen durch Leonardo da Vinci mit seinem Gemälde Mona Vanna geschaffenen Bildtypus zurück. (Anm. 3) Die frühe Rezeption des Gemäldes zeigt sich beispielsweise in der Wiedergabe des Bildnisses als Tondo in einem Deckenfresko der unter der Aufsicht von Giulio Romano ausgemalten Villa Lante al Gianicolo, seinerseits im Medium der Graphik reproduziert unter anderem in Ludwig Gruners Fresco Decorations and Stuccoes of Churches and Palaces in Italy von 1844. (Anm. 4)

Die neuere Forschung geht davon aus, dass Raffael mit dem Gemälde in Anknüpfung an „die antike Vorstellung von den erotischen Musen“ (Anm. 5) im entscheidenden Maße selbst zum Mythos des von seiner Muse inspirierten Künstlers beigetragen hat, der seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und besonders in der Nachfolge von Jean-Auguste-Dominique Ingres‘ 1813/1814 geschaffenem Gemälde Raffael malt die Fornarina in Bezug auf den Urbinaten populär wurde (vgl. Inv-Nr. 20410). Dieser Mythos, an dessen Anfang Raffaels Bildnis in der Forschung gestellt wird, (Anm. 6) stand im Gegensatz zu der in der Nachfolge der Passavant-Biografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkten Konstruktion des Bildes vom vergeistigten, göttlich inspirierten Raffael. Das Gemälde galt als Zeugnis seiner irdischen Liebe (und damit letztlich als Gegenstück zu den bewunderten Madonnen). (Anm. 7) Die Identität der Dargestellten sorgte über Jahrhunderte hinweg für zahlreiche Spekulationen und diverse Legenden. (Anm. 8) Dass es sich bei ihr um eine Bäckerstochter (ital.: fornarina) handele, ist wohl die nachhaltigste unter ihnen. Sie fand ihren Anfang aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem vorliegenden Blatt, welches nachweislich das erste Mal diese Betitelung der Dargestellten in gedruckter Form zeigt. (Anm. 9) Darüber hinaus gilt es als erster Stich nach dem Gemälde. (Anm. 10)

Über die künstlerische Ausbildung Domenico Cunegos ist wenig bekannt; das Kupferstechen eignete er sich wohl im Alter von 18 Jahren autodidaktisch an. In Rom arbeitete Cunego 1761 mit Giovanni Battista Piranesi und später mit Gavin Hamilton zusammen, für den er 1773 rund 22 Stiche für dessen Werk Schola Italica Picturae nach Werken von Raffael, Michelangelo u. a. lieferte, unter anderem auch den hier beschriebenen Stich, dessen Platte ein Jahr vor Erscheinen der Erstausgabe entstand. Vorliegend ist hier ein Druck, der sich in einer um 1835 in Paris erschienenen Gesamtausgabe der Werke Giovanni Battista Piranesis befindet. (Anm. 11) Der Druck muss vor 1823 erfolgt sein, da zu diesem Zeitpunkt die Platte auf Anweisung Papst Leos XII. im Zuge von Maßnahmen zur Wahrung der Sittlichkeit in der Calcografia Camerale überarbeitet wurde; seither ist die Brust der Dargestellten durch ein Tuch verhüllt. (Anm. 12)
Klara Wagner

1 1518/20, Öl auf Pappelholz, 85,5 x 61,5 cm, Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Barberini; Meyer zur Capellen 2008, S. 144–149, Nr. 78, Farbtafel S. 72 und 74. Ursprünglich war das Gemälde mit zwei Flügeln versehen, was auf einen Gebrauch im privaten Kontext hindeutet; Höper, S. 244, Nr. B 28.
2 Höper 2001, S. 244, Nr. B 28; vgl. Meyer zur Capellen 2008, S. 146, Nr. 78. Für eine umfangreiche Analyse und Interpretation der Gewandung der Dargestellten mit traditionellen Elementen der Brautkleidung der Renaissance sowie einer Untersuchung der Verwendung der traditionellen Pose der Venus pudica durch Raffael siehe Lung Clark 2005, beispielsweise S. 230–231. Lung Clark kommt auf Grundlage seiner Untersuchungen und dem Heranziehen weiterer Quellen zum Schluss, dass Raffael die spezifische Komposition nicht als Ausdruck der Scham oder Bescheidenheit (als einem ohnehin im Verlauf der Kunstgeschichte verzerrten und konstruierten Bild des pudica-Typus), sondern vielmehr um des erotischen Potenzials wegen gewählt hat. Zusammen mit den beschriebenen ikonographischen Verweisen auf die Liebe dürfte bereits für zeitgenössische Betrachter der erotische Hintergrund des Bildes ersichtlich gewesen sein. Pfisterer hingegen widerspricht der Haltung einer Venus pudica und verweist vielmehr auf das Drücken der Dargestellten auf ihre Brustspitze – ein Hinweis auf ihre Funktion als Muse, die mit künstlerischer Inspiration nährt; vgl. Pfisterer 2012, S. 88–89.
3 Ausst.-Kat. Hamburg 2019a, S. 86, Nr. 29; vgl. Pfisterer 2012, S. 86; Pfisterer 2019, S. 288–299.
4 Das Tondo ist eines unter vieren mit den Darstellungen weiblicher Bildnisse – ein weiteres erinnert an Raffaels Bildnis der Donna Velata, ein drittes an Sandro Botticellis Darstellungen der Simonetta Vespucci; Hamburger Kunsthalle, Bibliothek, Inv.-Nr. kb-1907-30-22 (Fornarina).
5 Pfisterer 2014, S. 84. Pfisterer plädiert dafür, Raffaels Gemälde vielmehr als „Postulat einer solchen ‚Geliebten’“ zu lesen: „Die Frage, ob sie die tatsächliche Geliebte Raffaels war oder reine Erfindung, wird damit eigentlich nebensächlich. Entscheidend für Raffael war, von sich das Bild eines Kunst- und MusenLiebhabers und die Existenz einer eigenen Muse der Malerei nach dem Modell der Dichter-Musen zu propagieren.“; Pfisterer 2012, S. 94; Pfisterer 2019, S. 288–299.
6 Pfisterer 2012, S. 94.
7 Ebd., S. 83–84.
8 So beispielsweise Achim von Arnims im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1824 erschienene Erzählung Raffael und seine Nachbarinnen, in welcher unter anderem eine schöne Bäckerin Raffaels Geliebte wird; Arnim 1824.
9 Höper 2001, S. 244, Nr. B 28.1.
10 Meyer zur Capellen 2008, S. 146, Nr. 78.
11 Lui 1999, S. 97–98. 1785–1789 hielt sich Cunego darüber hinaus auch in Berlin auf, schulte sich in der Technik des Mezzotinto und verbreitete diese nach seiner Rückkehr in Italien.
12 Höper 2001, S. 244, Nr. B 28.1

Details about this work

Kupferstich 281mm x 191mm (Platte) 575mm x 441mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1915-643-9 Collection: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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