Giovanni Lorenzo Bernini, Bildhauer

Kardinal Alessandro Damasceni-Peretti-Montalto, 1622/23

Kurz vor seinem Tod ließ sich Alessandro Montalto, Kardinalnepot Papst Sixtus’ V. und ein bedeutender Mäzen, von dem 25-jährigen Bernini porträtieren, dessen kometenhafter Aufstieg zum wichtigsten Bildhauer im barocken Rom gerade begonnen hatte. Mittels der Torsion des Oberkörpers, leichter Bewegung im Faltenwurf der Mozzetta sowie des konzentrierten Gesichtsausdrucks gelingt Bernini die Verlebendigung der Marmorbüste – ein Ziel, das seit Pygmalion als ureigene Aufgabe der Bildhauerei betrachtet wird. Mit virtuoser Meißeltechnik hat der Bildhauer veristische Details wie Bartstoppeln und Pockennarben des Kardinals wiedergegeben – diese differenzierte Oberflächenbehandlung des Marmors erzeugt durch die Lichtbrechungen zusätzlich Lebendigkeit. In der Forschung wurde vermutet, dass es sich um eine Grabbüste handeln könnte, belegt ist jedoch nur eine Aufstellung des Werks in der Villa Montalto in Rom. Die 1910 mit der Sammlung Schröder aus London in den Besitz der Kunsthalle gelangte Büste wurde erst 1983 als frühes Meisterwerk Berninis erkannt.

Neela Struck
Ein barhäuptiges Kardinalsportrait mit Mozzetta und leerer Kartusche. Es stellt den Kardinalnepoten Alessandro Damasceni-Peretti-Montalto (1570-1623) dar, der bereits 1585 als Fünfzehnjähriger von seinem Onkel Sixtus V. (1585-1590) ins Kardinalskollegium berufen wurde. Zunächst in der Cancelleria (Innenministerium) tätig, war er um 1590 Kardinallegat von Bologna, blieb aber in Rom, wo er im wesentlichen eine mäzenatische Tätigkeit entwickeltre. Seit 1620 Bischof von Fano, starb er wenige Monate nach Fertigstellung der Büste als beliebter Innenpolitiker des Kirchenstaats in Rom.

Die Beschreibung der Büste ist nicht unabhängig von ihrer ursprünglichen Funktion als Grabbüste zu trennen, denn Ausdruck und Barhäuptikgkeit finden hierin ihre Erklärung wie die Gestaltung von Sockel und Torso: Es ist eine runde oder ovale Nische mit kräftiger Einfassung in abweichender Farbe (grüner, schwarzer oder roter Marmor) vorauszusetzen. Was hier als vollplastische Skulptur in Erscheinung tritt, ist also nicht zuletztauch als reliefhaftes Raumbild mit starker Untersicht zu verstehen. Kopfneigung und Schulterrichtung sind im leichten Kotrapost gegeneinander versetzt. Die ursprünglich auf Hochglanz polierte Mamorfläche reagierte (und reagiert noch) auf feinste Lichteinwirkungen; vor dem diffusen Dunkel der Nischenöffnung betonten sie den Bildcharakter der Skulptur. Auf der anderen Seite sind die plastischen Hervorhebungen am Steinblock körperliche Elemente der Selbstbehauptung gegenüber den anschließenden Architekturteilen der Wandverkleidung mit eingelassener Memorialtafel, zu deren Fertigung es nicht mehr gekommen ist.
Der mimische Ausdruck ist viel zu vielschichtig, um näher bestimmt zu werden. Auf alle Fälle folgt er - gemäß der gegenreformatorischen Bildnis-Tradition - der Topik der "Anima"; in den älteren Grab- und Memorialbildnissen knüpft der junge Bernini ein spätes Beispiel. Auch der Verismus der Pockennarben folgt, wenn er sich nicht auf römische Vorbilder bezieht, älteren Beispielen in der Bildniskunst Berninis, in denen nicht einmal greisenhafte Zahnlosigkeit und Blindheit verhehlt wird. Die Seele also wird - gemäß ihrer aristotelischen Bestimmung durch Thomas von Aquin - in ihrer physischen Vergänglichkeit dargestellt. Dies gestattet dem Bildhauer neben den Verismen und unverwechselbaren individuellen Zügen auch, die Topik antiker Mythologie, den unsterblichen "Geist" sakrileghaft zu vergehen. Der "Spiritus" galt nach Luthers Erinnerung an die neutestamentliche Trennung von Seele und Geist auch im gegenreformatorischen Rom als nicht darstellbar.
Irving Lavin verweist auf einen anderen metaphorischen Bereich: "Auf eine unheimliche Weise erinnern die Verunstaltungen im Gesicht an den Gang der Zeit, vergleichbar der Bewegung in der Draperie, der Drehung des Körpers und der intensiven Konzentration, die das Gesicht belebt."

Details about this work

Giovanni Lorenzo Bernini, (1598 - 1680), 1622/23- ? (1); # (2); Slg. Freiherr Johann Heinrich Wilhelm Schröder (1825-1910), London, ? -1910 (3); Stiftung Freiherr Johann Heinrich Wilhelm Schröder, 1910 (4)

John Henry Schröder (Hamburg 1825 – 1910 Sidmouth, East Devon, UK), kam als Johann Heinrich Schröder und Sohn einer Kaufmannsfamilie zur Welt. Er übernahm 1849 die väterliche Bank J. Henry Schröder & Co in London und anglisierte seinen Namen.
John Henrys Kunstsammlung, die er im Verlauf der 1850er und 1860er Jahre zusammenstellte, umfasste im Jahr 1910 63 Gemälde und sieben Skulpturen von Eduard Müller sowie eine Büste von Gian Lorenzo Bernini. Zu den vertretenen Malern zählten hauptsächlich französische und deutsche Künstler wie Andreas Achenbach, Camille Corot, Jean-Léon Gérôme, Ludwig Knaus, Ernest Meissonier oder Adolph Menzel sowie der Niederländer Lawrence Alma-Tadema. Ab den 1870er Jahren tätigte Schröder nur noch sporadisch Neuerwerbungen. Ab den 1880er Jahren sammelte er vermehrt kunstgewerbliche Gegenstände und konzentrierte sich auf seine Orchideenzucht.
Der Aufbau einer Kunstsammlung ist mutmaßlich mit der Eheschließung mit Eveline Schlüsser (1828-1900) verbunden. Zudem geht der Beginn seiner Sammeltätigkeit mit dem finanziellen Erfolg seiner Firma einher und entsprach zudem dem damaligem Habitus finanziell wohlgestellter Kreise. Dabei unterschied sich John Henrys Sammelschwerpunkt vom allgemeinen Trend, der eher Werke von Alten (niederländischen) Meistern sowie präraffaelitischer Maler bevorzugte. Motivisch überwog in John Henrys Sammlung eine dem akademischen Realismus treue Genre- und Landschaftsmalerei.
Von den ursprünglich 71 Werken befinden sich heute 48 Werke im Eigentum der Hamburger Kunsthalle. Vornehmlich zwischen 1921 und 1932 wurde die Stiftung aufgrund von Verkäufen reduziert. So verließen auch einige Werke von Lawrence Alma-Tadema, Ernest Meissonier oder die sieben Skulpturen von Eduard Müller den Bestand der Hamburger Kunsthalle. Sehen Sie hierzu auch das Forschungsprojekt „Vergangene Werke der Hamburger Kunsthalle“. [# link einfügen]

Weitere Informationen sind zu finden in: Ein Hamburger sammelt in London. Die Freiherr J. H. von Schröder-Stiftung 1910, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, 1984 und Richard Roberts: Schroders. Merchants & Banks, London 1992.

1) Es ist zu klären, wann, wie, an wen und für wie viel Bernini das Werk verkaufte oder gab.
2) #
3) HAHK: Slg 505, Schröder.
4) HAHK: Slg 505, Schröder.

Stand: 29.9.2020, Ute Haug.
Status: in Bearbeitung (die mit # markierten Stellen sind noch zu ergänzen), ungeklärt, unbedenklich.

Haben Sie Fragen, Kritik, Anregungen, weiterführende Informationen? Bitte richten Sie eine Nachricht an Dr. Ute Haug unter ute.haug@hamburger-kunsthalle.de.
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Ein Hamburger sammelt in London. Die Freiherr J. H. von Schröder-Stiftung 1910; Hamburger Kunsthalle, 11.5.-29.7., 1984, S. 17, Abb.-Nr.

Kunsthalle zu Hamburg. Führer durch die Ausstellung der Geschenke und Erwerbungen 1912, 1912, S. 71, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 164

Die dritte Dimension. Plastiken, Konstruktionen, Objekte. Bestandskatalog der Hamburger Kunsthalle, Herausgeber: Georg Syamken, 1988, S. 101-102, Abb., Abb.-Nr.

Das Magazin der Freunde der Kunsthalle, Herausgeber: Freunde der Kunsthalle e. V., 2014, Abb. S. S. 24-25, Abb.-Nr.

Kunst aus acht Jahrhunderten, Herausgeber: Hamburger Kunsthalle und Freunde der Kunsthalle e.V., 2016, S. 45, Abb., Abb.-Nr.

Der Codex Montalto. Präsentation und Rezeption der Antikensammlung Peretti Montalto, Anna Seidel, 2016, S. 71, Abb.-Nr.

Bernini., A. Bacchi, A. Coliva,; Herausgeber: A. Bacchi, A. Coliva; Rom: Museo e Galleria Borghese, 01.11.2017-04.02.2018, 2017, S. 128 u. 130, Abb. S. Abb. S. 129 u.131, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. IV.8.

Gian Lorenzo Berninis Büste Kardinal Alessandro Peretti Montaltos aus der Villa Montalto, Anna Seidel; Herausgeber: Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, 2017, S. 395-424, Abb., Abb.-Nr.

Skulptur für Hamburg. Alfred Lichtwarks Gründung einer Skulpturensammlung in der Hamburger Kunsthalle, Anna Seidel; Herausgeber: Herausgegeben von der Hamburger Kunsthalle, 2021, S. 71, Abb. S. 70, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 38

The Peretti Montalto Collection of Sixteenth and Seventeenth Century Sculptures: Bernini, Giambologna, and Beyond, Anna Seidel; Herausgeber: Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, 2020, S. 182, Abb. S. 182, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 1

Marmor Hamburger Kunsthalle, Freiherr Johann Heinrich von Schröder Stiftung, 1910 Inv. Nr.: S-1918-60 Collection: Alte Meister Bildnachweis: Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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