Maison Ad. Braun et Cie à Paris & Dornach, Fotograf, Drucker, Verleger
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Die Sixtinische Madonna, 1888

Nachdem die Sixtinische Madonna erstmals in den 1780er Jahren reproduziert worden war, hatten für fast 100 Jahre vor allem Druckgraphiken das Abbild des Gemäldes in alle Welt verbreitet. Spätestens seit den 1870er Jahren verfügte die Fotografie über ausreichend technische Qualität, um mit den traditionellen Druckmedien mithalten zu können. In der Folgezeit sollten die Werke Raffaels fast nur noch mittels Fotografien reproduziert werden. Dadurch wurde das Oeuvre des Künstlers einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht – stärker als dies Druckgraphiken je hätten leisten können.

Großen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte hat die aus Dornach im Elsass stammende Firma Braun (später auch Braun, Clément & Cie). Sie hatte den auf Fotografien basierenden Kohle- bzw. Pigmentdruck perfektioniert und konnte seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts sehr qualitätvolle Wiedergaben herstellen, bei denen auch die Farben adäquat in Schwarzweiß- oder Brauntöne umgesetzt worden waren. (Anm. 1) Um die im 19. Jahrhundert stetig steigende Nachfrage nach Reproduktionen der Sixtinischen Madonna bedienen zu können, bot die Firma Braun ein breites Sortiment an Kohle- bzw. Pigmentdrucken an. Der Verkaufskatalog von 1887 zeigte z. B. das Gemälde in drei Formaten an. (Anm. 2) Bemerkenswert ist eine Ausgabe im halben Originalformat, was allerdings den stolzen Preis von 200 Francs kostete. Die Gruppe von Maria und Kind war in Originalgröße ebenfalls für 200 Francs erhältlich. Zudem gab es Detailaufnahmen vom Hl. Sixtus und der Hl. Barbara. Und auch die beiden Engelchen waren bereits separat als Wandschmuck zu erwerben. (Anm. 3)

Das Interesse für das heute vielleicht weltweit bekannteste Motiv Raffaels war bereits Anfang des 19. Jahrhunderts erwacht. Damals entdeckten Vertreter der Klassik und Romantik die beiden Engelchen und koppelten sie als eigenständiges Motiv aus dem Bild aus. Der aus Kassel stammende August von der Embe malte sie schon um 1805/06. Bereits 1799 schrieb August Wilhelm Schlegel: „Es ist wahr, sie sind Kinder der Erde in bunten Flügelchen. Sie haben einen eigentlichen Charakter, worüber die Söhne des Himmels hinweg sind. Der Größere ist sanfter und männlicher, die Locken liegen ihm auch weicher und ordentlicher an; dem Kleinen sträubt sich das Haar so trotzig um das volle Gesichtchen. Man kann sie nicht ohne Verlangen ansehn, aber dann leitet der älteste mit seinem sinnigen Blick den meinigen doch wieder in die Höhe; heitrer nur, denn alles, was Kind ist, erheitert doch die Seele.“ (Anm. 4)

Die Popularität der Engelchen wuchs stetig und sehr schnell und so wurden bald Produkte des Kunstgewerbes mit dem Motiv hergestellt. Um 1815 zierten sie erstmals Porzellan der Meissener und Berliner Manufakturen. Als Überbringer guter Wünsche wurden sie im Deutschen Kaiserreich als Pressbilder in Poesiealben geklebt, zierten Glückwunschkarten und Stickbilder mit frommen Segenswünschen. (Anm. 5) Bis heute hält ihre Beliebtheit ungebrochen an. Dabei fügte Raffael die beiden Engel am unteren Bildrand erst zum Schluss des Arbeitsprozesses hinzu, denn zunächst hatte er an der Stelle nur Wolken vorgesehen. Da er die Heiligen bzw. die Madonna mit Kind jeweils als Paar dargestellt hat, dürfte für ihn schnell festgestanden haben, auch zwei Engel zu malen. Sie sind jedoch weit mehr als nur ein dekoratives Element. Formal schließen sie die Komposition am unteren Rand ab, doch wird mit ihnen erst der Tiefenraum betont, den die Gottesmutter von der vorderen Bildkante trennt. Ihre Hauptaufgabe besteht allerdings im Warten, was sich deutlich in ihrer Gestik und Mimik widerspiegelt: Sie warten auf die Eucharistiefeier am Altar, um nach der Wandlung die Hostie in den Himmel zu tragen. Ihr kindliches Aussehen rührte und faszinierte die Betrachter. (Anm. 6) Ende des 19. Jahrhunderts begann erstmals ihre Verwendung als Werbemotiv für die Zunft der Apotheker, Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten sie als Karikaturen auf. Bis heute sind die beiden Engelchen ein globales Phänomen: Völlig losgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung zieren sie mittlerweile nahezu alle Konsumartikel, von Postkarten, über Kaffeeprodukte, Schokolade, Seifenverpackungen, Weihnachtsbaumschmuck bis hin zu Toilettenpapier oder Krawatten. Es gibt scheinbar keine Grenzen und keine Tabus, bis hin zu Kuriosem und Kitsch ist die Fantasie der Werbewelt offen. Die beiden Engel der Sixtinischen Madonna sind aufgrund ihrer hohen, internationalen Wiedererkennbarkeit die eigentlichen Werbestars der Welt und demonstrieren paradigmatisch die Folgen der Dekontextualisierung. (Anm. 7)
Sandra Pisot

1 Seit den späten 1880er Jahren erwarb die Hamburger Kunsthalle immer wieder Konvolute aus dem Sortiment der Firma Braun – vor allem auf Bestreben des Direktors Alfred Lichtwark, der die Pigmentdrucke zu didaktischen Vermittlungszwecken einsetzte. Dies führte dazu, dass viele von ihnen z. T. beträchtliche Gebrauchsspuren aufweisen.
2 Vgl. Braun 1887, S. 14.
3 Vgl. ebd.
4 Schlegel/Müller 1799/1996, S. 102. Schlegel passt hier die bei Raffael eigentlich gleichaltrig aussehenden Engel der Idee des Freundschaftsbildes der Zeit um 1800 an, in dem der Ältere als erwachsener und reifer gedeutet wird. Freundlicher Hinweis von Klara Wagner.
5 Vgl. Henning 2010, S. 71.
6 Vgl. Nesselrath 2012, S. 66.
7 Vgl. Derpmann 2012, S. 127.

Details about this work

Pigmentdruck (Kohledruck) 473mm x 379mm (Bild) 584mm x 450mm (Blatt) 698mm x 538mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Archiv Inv. Nr.: R-00043 Collection: © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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