Cornelis Bisschop, zugeschrieben

Eingeschlafene Alte

Eine alte Frau sitzt an einem Tisch und neigt sich über einen aufgeschlagenen Folianten, vermutlich eine Ausgabe der Staatenbibel, die 1637 erstmals veröffentlicht wurde. Gegen die bisherige Auffassung, sie sei beim Lesen eingeschlafen, spricht die leichte Öffnung des linken Auges und das Festhalten des Kneifers. Über dem plissierten weißen Hemd trägt sie eine Pelzjacke, das schwarze Witwentuch umfängt Kopf und Schultern. Auf dem Tisch steht eine ablaufende Sanduhr, daneben das Futteral für den Kneifer. In der Wandnische ein Leuchter, eine Kanne mit Gänsekiel und zwei Bücher. Wenige Farbtöne bestimmen den Gesamteindruck: das Rot der Tischdecke, das Braun des Pelzes und das Schwarz des Kopftuches. Das runzlige Gesicht und die Hände sind sorgfältig wiedergegeben, die Tischdecke, die aufgeschlagenen Buchseiten und der Rock dagegen nur flüchtig ausgeführt.
Die Zuschreibung an Bisschop bleibt ungewiß. Auch im Format vergleichbare Darstellungen alter Frauen, zumeist im Pelz oder in pelzbesetztem Mantel, finden sich bei Ferdinand Bol1 und Nicolaes Maes; dessen Gemälde in Brüssel (dat. 1656)2 und Washington3 stimmen in der Komposition mit Inv. 666 überein. In beiden Fällen erscheint die Frau eindeutig als Schlafende.
Noch im Katalog von 1930 wurde Inv. 666 als Werk des Carel van der Pluym verzeichnet. Zweifel äußerten Bredius und Plietzsch, welcher Abraham van Dijck vorschlug, sowie Gerson, der es Bisschop zuschrieb, was von Brière-Misme abgelehnt, von Sumowski aber bestätigt wurde.4 Das signierte Gemälde einer alten Frau, ehem. Sammlung Earl Spencer (Althorp), auf das sich die Zuschreibung stützt, läßt sich als einziges seiner bekannten Gemälde mit Inv. 666 direkt in Beziehung setzen.5 Wie Bisschop war auch Van Dijck nach Beendigung einer Lehre bei Rembrandt um 1650 in Dordrecht tätig. Ein ihm zugeschriebenes Gemälde in Leipzig wiederum scheint sich auf die Hamburger Komposition zu beziehen. Van Dijck kommt jedoch als Maler von Inv. 666 nicht in Frage, wie der Vergleich mit einem ihm zugeschriebenen Gemälde einer alten, nagelschneidenden Frau in New York nahelegt.6
Das Motiv war durch Darstellungen der Prophetin Hanna vorgeprägt. Tümpel hat gezeigt, wie bei Rembrandt der religiöse Gehalt hinter das Genrehafte zurücktrat.7 Die Annahme, es handele sich bei der Darstellung schlafender alter Frauen um Allegorien der Trägheit, ist für Inv. 666 abzulehnen.8 Die Sanduhr mag als Symbol für das nahende Lebensende stehen.

Thomas Ketelsen 2001

1 Vgl. Eremitage, St. Petersburg, Inv. 763, dat. 1651; Sumowski, Bd. 1, 1983, S. 306, Nr. 141, S. 380, Abb.
2 Lw., 135 x 105 cm, Musée Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel, Inv. 2983; Sumowski, Bd. 3, 1983, S. 2021, Nr. 1366.
3 Lw., 82,2 x 67 cm, Andrew W. Mellon Collection, National Gallery of Art, Washington, Inv. 1937.1.63; Sumowski, Bd. 3, 1983, S. 2022, Nr. 1368. Vgl. auch Maes' Gemälde in Worcester Art Museum (Mass.), Inv. 1924.14; ebd., Nr. 1369.
4 Die in den älteren Katalogen verzeichneten Briefe von Plietzsch, Gerson und Brière-Misme liegen nicht mehr vor.
5 Lw., 145 x 100 cm, bez. C. Bissch[...] 165[?]; E. K. Waterhouse, A Rembrandt Problem solves itself, in: Burlington
Magazine 88, 1946, S. 175, Taf. Abb. A; Sumowski, Bd. 3, 1983,
S. 1966, Anm. 86, S. 1995, Abb; zuletzt Verst. New York
(Sotheby's), 30. 1. 1998, S. 166.
6 Lw., 126,1 x 101,9 cm, Metropolitan Museum of Art, New York, Inv. 14.40.609; briefl. Mitt. W. Liedtkes vom 17. 7. 1998.
7 C. Tümpel, Ikonographische Beiträge zu Rembrandt. Zur Deutung und Interpretation einzelner Werke, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 16, 1971, S. 31-33.
8 Bilder vom alten Menschen 1993, S. 83 f.

Ausst.: Leih-Ausstellung aus Hamburgischem Privatbesitz in der Kunsthalle, Hamburger Kunsthalle 1925, Nr. 260 (als Van der Pluym); Rembrandt's Influence in the Seventeenth Century, Matthiesen Gallery, London 1953, Nr. 19 (als Van Dijck); Luther und die Folgen für die Kunst, Hamburger Kunsthalle 1983, S. 369, Nr. 239; Rembrandt, oder nicht?, Hamburger Kunsthalle 2000, S. 66 f., Nr. 13.
Lit.: Collectie Goudstikker, Amsterdam, Oktober 1917, Katalog 5, Nr. 30, mit Abb. (als unbekannter Meister); Gustav Pauli, Leihausstellung in der Kunsthalle zu Hamburg, in: Cicerone 17/1, 1925, S. 578, 582, Abb. (als Van der Pluym); Gustav Pauli, Die Kunsthalle zu Hamburg 1927. Jahresbericht der Verwaltung, Hamburg 1928, S. 5, 23, Abb. (als Van der Pluym); Katalog 1930, S. 121, Taf. 21 (als Van der Pluym); Arnold Bredius, Karel van der Pluym. Neef en leerling van Rembrandt, in: Oud Holland 48, 1931, S. 258 (nicht Van der Pluym); Katalog 1956, S. 32; Katalog 1966, S. 32; Sumowski, Bd. 3, 1983, S. 1962, 1966, Anm. 85, S. 1994, Abb. (als Bisschop); Bilder vom alten Menschen in der niederländischen und deutschen Kunst 1550-1750, bearb. v. Thomas Döring, Ausst. Kat. Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 1993, S. 83 f., Abb. 77.

Details about this work

Leinwand 115cm x 94cm (Bild) 149cm x 127.5cm (Rahmen) Inv. Nr.: HK-666 Collection: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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