Nicolaes Maes
Bildnis eines Herrn, 1676
Nach seiner Übersiedlung nach Amsterdam malte Maes erheblich mehr Bildnisse, allein für 1675 können 32 datierte Porträts nachgewiesen werden.1 Das im Jahr darauf gemalte Bildnis eines Mannes in phantasievollem Kostüm all'antica ragt aus der Reihe der kleinformatigen Brust- oder Halbfigurenbildnisse von 1675-1678 hervor. Der junge Mann mit Allongeperücke lehnt an ein Bassin mit überlaufendem Wasser vor einer Felswand, die ihn wie eine Höhle umfängt. Der Unbekannte trägt eine weiße, goldgesäumte Tunika, darüber ein rotes Samtwams und eine braune Toga aus Seide. Gewänder und Haar sind zügig gemalt, die ockerfarbige Grundierung ist stellenweise sichtbar.
Das ebenfalls 1676 gemalte Bildnis eines jungen Mannes in Genua zeigt die gleiche lässige Pose, der Arm ist dort auf das Postament einer Säule gestützt; im Format ist es halb so groß.2 Übereinstimmungen in Kleidung und Gesichtsausdruck bestehen auch mit dem vermutlich gleichzeitig entstandenen Porträt von Hendrick Meulenaer.3 Wie Meulenaer gehörten Maes' Auftraggeber zu den reichen Kaufleuten oder zu der einflußreichen Gruppe der Regenten und des Adels. Möglicherweise existierte zu Inv. 635 ein Pendant. Ein Bildnis in Sacramento zeigt eine Frau in ähnlicher Pose.4 Auf mehreren Porträts Maes' aus dieser Zeit findet sich auch das Motiv des überlaufenden Brunnens.5
Sumowski deutet die antikisierende Kleidung, die den Status des Dargestellten verbirgt, als Ausdruck des Wunsches, sich »in einer Ansehnlichkeit ohne Bezug zur Realität zu zeigen«. Franits sieht in Maes' Spätstil eine Reaktion auf das veränderte Repräsentationsbedürfnis seiner Auftraggeber. Die Aristokratisierung der Regenten und Kaufleute hatte eine stärkere Hinwendung zum französischen Lebensstil zur Folge.6
Thomas Ketelsen 2001
1 Krempel 2000, S. 100.
2 Lw., 64 x 55 cm, Palazzo Bianco, Genua, Inv. PB 158; Repertory of Dutch and Flemish Paintings in Italian Public Collections, Bd. 1, Liguria, hrsg. v. B. W. Meijer, bearb. v. M. Fontana Amoretti, M. Plomp, Florenz 1998, S. 161, Nr. A 210; Krempel 2000, S. 318, Nr. 178, Abb. 250.
3 Lw., 43,5 x 32,5 cm; M. Spliethoff, Looking for Hendrick Meulenaer, in: The Hoogsteder Journal 6, 1999, S. 14-17, Abb. S. 15; Krempel 2000, S. 321, Nr. A 191, Abb. 277.
4 Lw., 127 x 101 cm, Crocker Art Museum, Sacramento,
Inv. 1968.26; Handbook of Paintings, hrsg. v. R. Vincent West, Sacramento 1979, S. 36 f., 126, Abb.; vgl. auch das Dreiviertelbildnis einer Frau, Lw., 115,5 x 96,5 cm, Verbleib unbekannt; Krempel 2000, S. 318 f., Nr. A 184, Abb. 263.
5 Vgl. Sumowski, Bd. 3, 1986, S. 2032, Nr. 1419, Abb. S. 2145 (Privatbesitz, Deutschland). Zum Motiv des überlaufenden Wassers auf Bildnissen von Frauen als Metapher der Reinheit s. Portretten van echt en trouw. Huwelijk en gezin in de Nederlandse kunst van de zeventiende eeuw, bearb. v. E. de Jongh, Ausst. Kat. Frans Halsmuseum 1986, S. 94, 195.
6 W. Franits, Young women preferred white to brown: Some remarks on Nicolaes Maes and the cultural context of late seventeenth-century Dutch portraiture, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 46, 1995, S. 395-415.
Lit.: Alfred Woltmann, Karl Woermann, Geschichte der Malerei, 3 Bde., Leipzig 1879-1888, Bd. 3/2, S. 724; Woermann 1892, S. 208, Nr. 264; Woermann 1907, S. 250 f., Nr. 313; Lichtwark 1912, S. 20, Nr. 28; Hofstede de Groot, Bd. 6, 1915, S. 576, Nr. 413; Katalog 1918, S. 91; Katalog 1921, S. 94 f.; Katalog 1930, S. 89; Katalog 1956, S. 92; Katalog 1966, S. 96; Meisterwerke 1969, Abb. 109; Sumowski, Bd. 3, 1986, S. 2034, unter Nr. 1427; Bob Haak, Das Goldene Zeitalter der holländischen Malerei, Köln 1984, S. 102, Abb. 178; León Krempel, Studien zu den datierten Gemälden des Nicolaes Maes (Phil. Diss. Bonn 1998), Petersberg 2000, S. 318, Nr. A 179, Abb. 262, S. 88, Taf. XXXI.