Caspar David Friedrich
Meeresufer im Mondschein, 1835/36
Dunkle, regenschwere Wolken treiben langsam nach links. Zwischen ihnen scheint der Mond hindurch. Hell wird sein Licht vom Wasser reflektiert. Zwei Fischerboote mit tiefdunklen Segeln nahen. Dies ist Friedrichs letztes Gemälde. Trotz der Behinderung durch seinen Gesundheitszustand entschied er sich für die selten gewählte Monumentalität des großen Formats. Sie erschien ihm notwendig, um Weite, ja Grenzenlosigkeit anschaulich zu machen. Es ist ein Bild des Übergangs, ein Bild im Angesicht des Todes. Friedrich führt hier die Gestaltungselemente seiner Kunst an die äußerste Grenze; seine Botschaft von der Jenseits-Verheißung ist auf das Notwendige reduziert. Er entleert den Bildraum fast völlig, beschränkt die Gliederungselemente der Komposition auf die Waagerechte des Horizonts und die beiden senkrechten Zeichen der Segelschiffe, baut das Bild in völliger Symmetrie auf und reduziert die Farbskala auf Blau, Grün und Braun.
»Nach langer Zeit habe ich gewagt wieder zu malen und die Freude gehabt das es gegen meine Erwartung gut angefangen.« (1) – So schreibt Friedrich am 14. Oktober 1835, kaum vier Monate nach seinem wohl ersten Schlaganfall. Die Malhand sollte teilweise gelähmt bleiben, was ihn nicht vom Malen abhielt, wenn es wohl auch zunehmend schwerfiel, den Arm wie gewohnt über längere Zeit frei und präzise über der Leinwand zu bewegen. Umso mehr erstaunt das Gemälde „Meeresufer im Mondschein“ mit seinem für Friedrich ungewöhnlich großen Format. Als eines seiner letzten Ölbilder überhaupt wurde es 1836 erstmalig auf der Dresdner Akademieausstellung gezeigt und ein Jahr später durch den Sächsischen Kunstverein angekauft, der für Friedrich in den finanziell eher klammen 1830er-Jahren ein wichtiger Unterstutzer geworden war. (2)
Das Meer spielte bei dem Künstler, der die ersten 25 Jahre seines Lebens an der Küste verbracht hatte, seit jeher eine große Rolle. Auch sonst vereint „Meeresufer im Mondschein“ vertraute Motive Friedrichs: das steinige Ufer, wie es auch in den späten Sepien auftaucht, ineinander verschränkte Anker, kleinere und größere Boote, umgekehrt am Strand liegend, im seichten Wasser ruhend, weiter entfernt treibend, erkennbar erst durch das im Meer sich spiegelnde Mondlicht. Genau hier ist der Mittelpunkt des Bildes, in dem sich die vertikale und die horizontale (zugleich den Horizont beschreibende) Mittelachse treffen und auf den alles ausgerichtet zu sein scheint. Auf den ersten Blick mag die Szenerie etwas monoton wirken, so unbewegt liegt die Nacht da. Wie bewusst Friedrich hier aber auf jegliche Ablenkung verzichtet hat, beweisen jüngste kunsttechnologische Untersuchungen: Im Infrarotlicht wird sichtbar, dass er zunächst zwei weitere Segelschiffe auf offener See angelegt hatte und das größere davon mittig platzierte. Ähnlich wie bei seinem ikonischen „Mönch am Meer“ (Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie) mussten hier offenbar Bildelemente weichen, um den Eindruck der stillen Mondnacht zu verstärken.
Die Werkgruppe der Meeresansichten steht zweifelsohne in der Tradition der Marinemalerei, eine Sondergattung der Landschaft. Ihre Hochzeit hatten die sogenannten Seestücke im 17. Jahrhundert in den Niederlanden, hier konnte das Meer ruhig oder schäumend, idyllisch in bäuerlicher Umgebung oder wild als Schauplatz von Schlachten oder Unglücken erscheinen. In ihnen ließen sich unbegrenzte Weite und atmosphärische Stimmungen ausdrücken – Kriterien, die ebenso auf Friedrichs maritime Landschaften zutreffen. Wahrscheinlich konnte er in der Königlich-Sächsischen Gemäldegalerie in Dresden niederländische Marinen studieren, etwa von Cornelis Leonardsz. Stooter, Pieter Mulier d. Ä. oder Simon de Vlieger. Im Kontrast zu deren aufgewühlten Wassermassen besticht Friedrichs Gemälde durch reduktive Schlichtheit und Einfachheit, in der aber möglicherweise auch Gedanken an die eigene Vergänglichkeit anklingen.
Clara Blomeyer (2023)
(1) Friedrich/Zschoche 2006, Brief Nr. 132, S. 221 f.
(2) So empfahl Carus dem Sächsischen Kunstverein als sein Vorsitzender den Ankauf und angesichts »der großen [finanziellen] Bedrängnis« Friedrichs, die geforderten 300 Taler zu zahlen. Vgl. Hoch 1985, S. 134.