Rembrandt Harmensz. van Rijn, Nachfolger
Gerbrand van den Eeckhout, ehemals zugeschrieben

Der zwölfjährige Jesusknabe im Tempel, nach 1655

Der Jesusknabe steht barfüßig im Kreise der Schriftgelehrten, die seinen Ausführungen aufmerksam folgen (Lukas 2,46-47). Eine von Decken behängte Balustrade unterteilt den spärlich ausgestatteten Raum des Tempels, dahinter steht rechts ein Paar, vermutlich Maria und Joseph. Ein aufgeschlagenes Buch zu Füßen des hell gekleideten Gelehrten ist nur noch schwach zu erkennen. Die hohe malerische Qualität des Bildes zeigt sich trotz des schlechten Erhaltungszustandes besonders in der reichen Nuancierung der Weiß-, Grau-, Grün- und Rottöne in den Turbanen der Schriftgelehrten. Eine Zeichnung in Kopenhagen gibt dieselbe Komposition wieder.1 Nach Valentiner handelt es sich um die vereinfachte Kopie nach einer verschollenen Zeichnung Rembrandts, die als Vorlage für Inv. 419 gedient habe. Sumowski sprach sich gegen Rembrandt als Erfinder der Komposition aus und schlug zwischenzeitlich Karel von Savoy vor.
Rembrandts Radierung Der zwölfjährige
Jesus im Tempel von 1652 kann als Vorbild für Inv. 419 angesehen werden. Das Blatt zeigt eine ähnlich friesartige Anordnung der Figuren, der barfüßige Jesus steht ebenfalls in der Mitte vor einer bildparallel angeordneten Balustrade, über die sich mehrere Personen lehnen.2 Rembrandts Zeichnung Christus unter den Schriftgelehrten in Paris wird ebenfalls um 1652 entstanden sein.3 Diese Werke erlauben eine zeitliche Einordnung von Inv. 419, dessen frühest mögliche Entstehung um 1655 anzusetzen ist. Ein alter Mann im Profil auf einer Kreidezeichnung in Haarlem, früher Eeckhout zugeschrieben, ist dem hell gekleideten Schriftgelehrten sehr ähnlich.4
1886 noch als Werk Rembrandts versteigert, schrieb Bredius das Bild Barent Fabritius zu,5 worin ihm später Falck und Valentiner folgten. Zweifel äußerte Friedländer, der schon 1915 Gerbrand van den Eeckhout als Künstler nannte;6 diese Zuschreibung, der Hofstede de Groot zustimmte, wurde im Katalog 1918 aufgegriffen und in den folgenden Katalogen trotz Bedenken übernommen. Eeckhout kann jedoch ausgeschlossen werden, der Vergleich mit seinen Gemälden gleichen Themas in München und Den Haag zeigt dies deutlich.7 Die Figuren, ihre Physiognomien und die malerische Handschrift unterscheiden sich grundsätzlich von Inv. 419. Zuletzt sprach sich Sumowski, nachdem er Rembrandts Sohn Titus und Karel van Savoy in Betracht gezogen hatte, für die Zuschreibung an einen anonymen Rembrandt-Nachfolger aus.8
In Malweise und Komposition läßt sich das Bild einer Gruppe von Historiengemälden zufügen, die früher als Originale Rembrandts angesehen wurden, heute aber seinen Schülern Willem Drost, Abraham van Dijck oder Constantijn van Renesse zugeschrieben werden, die zu Beginn der fünfziger Jahre in der Werkstatt Rembrandts arbeiteten. Viele dieser Kompositionen gehen unmittelbar auf Zeichnungen Rembrandts vom Beginn der fünfziger Jahre zurück. Das Abraham van Dijck zugeschriebene Gemälde Tobias und der Engel in Berlin stimmt in manchen Details mit Inv. 419 überein. Nicht nur die Hände und die nackten Füße des Engels sind wie die des Jesusknaben, vergleichbar sind auch die Farbgebung und pastose Malweise.9

Thomas Ketelsen 2001

1 Feder und Pinsel, braune Tinte über schwarzer Kreide, 143 x 189 mm, Den Kongelige Kobberstiksamling, Kopenhagen,
Inv. 6646; Sumowski, Drawings, Bd. 10, 1992, S. 5246 f. (als Karel van Savoy).
2 Radierung, 126 x 214 mm (Bartsch 65); s. Ausst. Kat. Rembrandt, oder nicht? 2000, S. 72, Abb. 36.
3 189 x 259 mm, Cabinet des Dessins, Musée du Louvre, Paris; Otto Benesch, The Drawings of Rembrandt, 5 Bde., London 1973, Bd. 5, S. 248, Nr. 885, Abb. 1160.
4 The Dutch Drawings in the Teyler Museum. Artists born between 1575 and 1630, bearb. v. M. C. Plomp, Haarlem u. a. 1997, S. 143, Nr. 129.
5 Bredius 1886, Sp. 676: »Kein Rembrandt, sondern ein sehr guter Bernard Fabritius. Einzelne Figuren erinnern sehr an Salomon Koninck.« Hofstede de Groot vermerkte in seinem Exemplar des Auktionskataloges der Sammlung Brenken-Bechade von 1886: »vielleicht Barn. Fabritius« (RKD).
6 Briefl. Mitt. vom 27. 10. 1915 (laut Katalog 1921, S. 45): »eher Eeckhout als Fabritius«.
7 Lw., 68 x 83 cm, dat. 1662, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, München, Inv. 184; Sumowski, Bd. 2, 1983, S. 734, Nr. 436, S. 799, Abb. - Lw., 67 x 89 cm, Den Haag, Rijksdienst Beeldende Kunst, Inv. NK 2311; Sumowski, Bd. 2, 1983, S. 743, Nr. 478, S. 841, Abb.
8 Sumowski, Bd. 4, 1989, S. 2949, Nr. 1933.
9 Lw., 86 x 74 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Inv. 828N; Sumowski, Bd. 1, 1983, S. 668, Nr. 355, S. 676, Abb.; Katalog Berlin 1996, S. 43; Ausst. Kat. Rembrandt, oder nicht? 2000, S. 74 f., Nr. 17. Zu dem Gemälde existiert eine Vorzeichnung Rembrandts, 179 x 263 mm, Cabinet des Dessins, Musée du Louvre, Paris; Benesch 1973 (wie Anm. 3), Bd. 5, S. 254, Nr. 908. Van Dijck werden weitere Gemälde zugeschrieben, die den starken Einfluß Rembrandts zeigen, so etwa eine Abreise Benjamins, die früher Barent Fabritius zugeschrieben war, Holz, 74 x 62 cm, Mauritshuis, Den Haag, Inv. 789; Katalog Den Haag 1996b, S. 383. Auch zu diesem Bild existiert eine (Vor-?)Zeichnung, s. Benesch 1973 (wie Anm. 3), Bd. 4, Nr. 856 (Fabritius?, Ranesse?). Vgl. auch die Drost zugeschriebene Vision Daniels, Lw., 99 x 118,7 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Inv. 828F; Katalog Berlin 1996, S. 42, Abb. 1250.

Ausst.: Rembrandt, oder nicht?, Hamburger Kunsthalle 2000, S. 34 f., 72 f., Nr. 16.
Lit.: Catalog der Gemälde-Sammlungen aus dem Nachlasse der Freifrau von und zu Brenken geb. Freiin von Harthausen und des Herrn Julius Baron Bechade, Reichsfreiherrn von Rochepine, Köln 1886, S. 25, Nr. 82 (als Rembrandt); Arnold Bredius, Auktion von Brenken-Bechade in Köln, 1.-2. April [1886], in: Kunstchronik 21, 1886, Sp. 676 (als Barent Fabritius); Führer 1887, S. 21, Nr. 30 (als Fabritius); Woermann 1892, S. 205, Nr. 259 (als Fabritius); Woermann 1907, S. 246, Nr. 308 (als Fabritius); Katalog 1918, S. 44 (als Eeckhout); Katalog 1921, S. 45; Gustav Falck, Nogle Arbejder af Barent Fabritius, in: Tidskrift för Konstvetenshap 9, 1925, S. 76; Katalog 1930, S. 42 f.; Wilhelm R. Valentiner, Carel and Barent Fabritius, in: Art Bulletin 14, 1932, S. 227, Abb. 28 (als Fabritius); Katalog 1956, S. 54 f. (als Eeckhout); Werner Sumowski, Nachträge zum Rembrandtjahr 1956, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 7, 1957/58, S. 238 f., 297, Abb. 122; D. Pont, Barent Fabritius 1624-1673, Utrecht 1958, S. 133 (nicht Fabritius); Werner Sumowski, Rez. zu D. Pont, Barent Fabritius, Utrecht 1958, in: Kunstchronik 12, 1959, S. 291; Katalog 1966, S. 57 (als Eeckhout); Sumowski, Bd. 4, 1989, S. 2949, Nr. 1933, S. 3000, Abb. (als anonymer Rembrandt-Schüler); Sumowski, Drawings, Bd. 10, 1992, S. 5246 f., unter Nr. 2319axx (als Van Savoy)

Details about this work

Öl auf Leinwand 97.5cm x 129cm (Bild) 120.5cm x 154.5cm (Rahmen) Inv. Nr.: HK-419 Collection: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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