Johann Evangelist Scheffer von Leonhartshoff
Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes, 1814
Der von seinen Freunden nicht zufällig Raffaellino genannte, aus Fulda stammende Maler und Zeichner Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff hatte seine Ausbildung an der Wiener Akademie erhalten. Er wurde dort durch den Lukasbruder Joseph Sutter beeinflusst und wandte sich von der klassizistisch geprägten akademischen Malerei ab und dem Vorbild der Nazarener, dem göttlichen Raffael zu. Fast alle seine Werke sind fortan vom Geist Raffaels durchwirkt und ahmen seine Anmut, Farbigkeit und Kompositionen nach. (Anm. 1) Bestärkt wurde Scheffer in seiner nazarenischen Haltung durch zwei Italienreisen – 1812 nach Venedig und Ferrara, 1814 nach Mailand, Florenz, Rom, Neapel und Sizilien. Zwischen den beiden Italienaufenthalten lebte Scheffer in Klagenfurt, wo der Fürstbischof von Gurk, Franz II. Xaver von Salm-Reifferscheidt, ihn unterstützte und zum Kammermaler ernannte. In Rom lernte er Friedrich Overbeck kennen und wurde als Mitglied in den Lukasbund aufgenommen. Furore machte sein Frontalbildnis Papst Pius’ VII., für das er 1816 eine Audienz erhalten hatte und den Christus-Orden verliehen bekam, was nicht einmal Vincenzo Camuccini, der 1815 ebenfalls ein Porträt des Papstes geschaffen hatte, gelungen war. (Anm. 2) In Ferrara hatte sich der Künstler 1812 eine Krankheit zugezogen, die, nach einem zweiten Romaufenthalt in den Jahren 1820 und 1821, zu seinem frühen
Tod mit nur 25 Jahren in Wien führte.
Im Jahr 1820 hat sich Scheffer von Leonhardshoff in einem an dem Bildnis des Bindo Altoviti3 angelehnten Selbstporträt, das damals noch für ein Selbstbildnis Raffaels gehalten wurde, als Nachfolger des Urbinaten inszeniert. (Anm. 4) Der Künstler trägt dabei wohl stolz, aber doch zurückhaltend, die vom Papst verliehene Kette mit dem Christus-Orden, der vorn an der Brust hängen wird. Die Komposition wurde 1821 von Franz Xaver Müller als Lithographie vervielfältigt und trug so das raffaelische Bild, das Scheffer von sich selbst konstruierte, in die Öffentlichkeit. (Anm. 5)
Das Hamburger Madonnenbild, das von Michael Krapf 2017 im Verzeichnis der Werke des Künstlers zu den datierten Madonnenbildern um 1815 eingeordnet wurde, ist ein gutes Beispiel für Scheffers Anverwandlung der Malerei des verehrten Raffael. Maria sitzt frontal in einer Weinlaube mit Ausblick in eine weite Flusslandschaft und liest den beiden Knaben vor. Rechts vor ihr sitzt, der sich leicht entgegenbeugenden Mutter zugewandt, das Christuskind auf einer Bank. Ihm gegenüber steht der kleine Johannesknabe mit seinem kleinen Kreuzesstab in einer überraschend nachdenklichen Pose mit der rechten Hand am Kinn, den Christusknaben mit seinem Blick ernst und zugleich zärtlich fixierend.
Es lässt sich kein direktes Vorbild einer der bekannten und gesicherten Madonnen Raffaels erkennen, doch erwecken Komposition und Farbigkeit von Scheffers atmosphärisch dichtem Madonnenbild einen nicht zu verleugnenden raffaelischen Gesamteindruck, der dem Künstler seinen erwähnten Beinamen Raffaellino eintrug. Der von Gustav Pauli in der Literatur zu findende Hinweis auf die Madonna Ansidei (Thronende Maria mit Kind und den Heiligen Johannes d. T. und Nikolaus von Bari; vgl. Inv-Nr.17210e) (Anm. 6) aus San Fiorenzo in Perugia von 1505 bezieht sich nicht auf die Komposition des Schefferschen Gemäldes sondern lediglich auf die Wesensart der Muttergottes, die durch das jeweils auf dem Schoß liegende Buch hier als Lehrende ihres Sohnes und des Johannesknaben charakterisiert wird. (Anm. 7)
Andreas Stolzenburg
Pauli 1931, S. 8; Krafft/Schümann 1969, S. 300; Ausst.-Kat. Wien
1977, S. 111, Nr. D 118 (nicht ausgestellt); Ausst.-Kat. Hamburg 1986, S. 229–
230, Nr. 143; Howoldt/Baur 1993, S. 185; Reiter 2001, S. 74, Anm. 1; Krapf 2017,
S. 238, Nr. 193
1 Siehe dazu den Werkkatalog bei Krapf 2017. 1815 kopierte Scheffer Raffaels Madonna Esterhazy, die sich damals in Wien im Gartenpalais der Familie Esterhazy befand; Krapf 2017, S. 239, Nr. 295. Zur Madonna Esterhazy (1508, 28,5 x 21,5 cm, Öl auf Pappelholz, Budapest, Museum der Bildenden Künste) siehe Meyer zur Capellen 2001, S. 254–257, Nr. 34.
2 Ebd., S. 239, Nr. 200.
3 Vgl. den Stich Raphael Morghens nach dem Gemälde Raffaels; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 204–205, Nr. 31 (Beitrag Michael Thimann), vgl. Abb. 10 auf S. 28.
4 Öl auf Leinwand, 79 x 64 cm, Wien, Belvedere; Krapf 2017, S. 252, Nr. 291, Tafel 19–21 auf S. 109–113.
5 Lithographie, 520 x 415 mm, Exemplar: Wien, Albertina; Krapf 2017, S. 252, Nr. 292. Vgl. Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 206–207, Nr. 32 (Beitrag Michael Thimann); Thimann 2021, S. 74–777, mit Abb. 8 auf S. 75. Die Lithographie wird bereits am 7. Mai 1821 in einem Brief an den Künstler erwähnt („Müller junior […] hat Dein Porträt copiert aber nicht gut.“; Krapf 2017, S. 252, bei Nr. 292), sie wurde aber wohl erst nach Scheffers Tod in nur wenigen Exemplaren gedruckt.
6 1505, Öl auf Pappelholz, 209 x 148 cm, London, National Gallery; Meyer zur Capellen 2001, S. 165–171, Nr. 16. Vgl. Pauli 1931, S. 8; noch so wiedergegeben bei Krapf 2017, S. 238, Nr. 193.
7 Ausst.-Kat. Hamburg 1986, S. 229; Krapf 2017, S. 238, Nr. 193.