Friedrich Overbeck
Der Triumph der Religion in den Künsten, vor 1840
Noch während Friedrich Overbeck 1829 an seinem Giebelfresko der Portiunculakapelle in der Kirche Santa Maria degli Angeli in Assisi arbeitete (Anm. 1), erhielt er vom Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main den Auftrag zu seinem von der Kritik sehr kontrovers aufgenommenen malerischen Hauptwerk. Der Künstler hatte die freie Wahl des zu malenden Gegenstandes erhalten, er wählte als Motiv zu diesem erst 1840 vollendeten, großformatigen Bild den seinen nazarenisch-romantischen Kunstvorstellungen entsprechenden Titel Der Triumph der Religion in den Künsten (Anm. 2) Das Bild stellt mit seiner Ansammlung von Künstlern, die sich der religiösen Malerei gewidmet haben nicht weniger als Overbecks künstlerisches Programm oder gar Vermächtnis dar. Es wurde durch eine von ihm selbst, in belehrendem Ton verfasste, pädagogische Schrift begleitet, die verschiedentlich heftig kritisiert wurde. (Anm. 3) Gleichzeitig entstand im Auftrag des Künstlers die Umrisslinienradierung von Samuel Amsler.
Die vorliegende Hamburger Grisailleskizze entspricht dem ausgeführten Gemälde in Frankfurt bis auf wenige Details sehr genau. Die Komposition gliedert sich in zwei Teile, den oberen himmlischen Bereich mit der Muttergottes und dem Kind, kniend vor ihr flankiert von König David (für die Musik) und König Salomo (für die Bildhauerei) sowie neben diesen stehend die Evangelisten Lukas (für die Malerei) und Johannes (für die Architektur). Im Hintergrund sitzen Apostel und Engel steigen vom Himmel herab. Sie weisen auf die Vielfalt und Reichhaltigkeit der religiösen Motive hin. Die darunter liegende Szene spielt auf der Erde. Hier sind zahlreiche Vertreter der verschiedenen Künste versammelt. Um den zentralen Brunnen herum postierte Overbeck u. a. Leonardo da Vinci, Vittore Carpaccio, Giovanni Antonio da Pordenone, Antonio Allegri, gen. Correggio und Giovanni Bellini. Sitzend vor dem Brunnen Luca Signorelli und Michelangelo. Auf der rechten Seite im Hintergrund steht eine Gruppe von nordischen Malern, von denen als Pendant zu Raffael – im Sinne der Kunstauffassung der Romantik – hier nur Albrecht Dürer erwähnt sei. Vom Betrachter aus ganz links erkennt man den Dichter Dante umgeben von toskanischen Malern seiner Zeit. Zwischen Dante und dem Brunnen steht Raffael. Er ist in einen weißen Mantel gehüllt – laut Overbeck Sinnbild der Universalität seines Geistes. Um Raffael herum sind die Maler gruppiert, die ihn beeinflusst haben: Fra Bartolommeo, Francesco Francia, Pietro Perugino, Domenico Ghirlandaio und Masaccio.
Overbecks Rückgriff auf Raffaels monumentale Komposition der Schule von Athen und der Disputa in der Stanza della Segnatura im Vatikan (vgl. Inv-Nr. 719, 2020-28-10, 1915-92 und 718) sowie auf das Gemälde der Krönung Mariens, welches sich heute in der Pinacoteca Vaticana befindet, ist augenfällig und bewusst gewählt. Die Person Raffaels nimmt nicht nur im Triumph der Religion in den Künsten eine zentrale Stellung ein, sondern im gesamten Kunstschaffen des Lübecker Malers und des Wirkens seiner Malerschule der Nazarener. (Anm. 4)
Andreas Stolzenburg
Howitt 1886, Bd. 2, S. 55–74; Jahresbericht der Kunsthalle 1888,
S. 42; Kunsthalle zu Hamburg 1887, S. 118, Nr. 653; Boetticher 1898, Bd. 2, S. 206,
bei Nr. 103; Lichtwark 1901, S. 142, Nr. 552 („Die Kunst im Dienste der Religion“); Lichtwark 1910, S. 130, Nr. 1; Krafft/Schümann 1969, S. 248; Hofmann
1974, S. 61, Abb. 73; Hinz 1979, S. 152–153, Abb. S. 4; Ausst.-Kat. Hamburg
1983, S. 476, 494–495, Nr. 370; Ausst.-Kat. Lübeck 1989, S. 148, Nr. 27; Howoldt/
Bauer 1993, S. 156; Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2005, S. 263–264, Abb. S. 51;
Ausst.-Kat. Berlin 2008, S. 58, Nr. 22
1 Thimann 2014, S. [410], Taf. XXV.
2 Ziemke 1972, Bd. 1, S. 266–269, Bd. 2, Taf. 22; Thimann 2014, S. 195–201, S. [400], Taf. XVII.
3 Overbeck [1840]. Vgl. Vischer 1841.
4 Der von Raffaels Werken begeisterte Prince Albert erwab über den Kupferstecher Ludwig Gruner (vgl. Kat. 87) 1846 eine Bleistiftzeichnung dieses Motivs von Overbeck in Rom als Geschenk für seine Frau, Königin Victoria; Ausst.-Kat. London 2010, S. 112–113, Nr. 55.