Jürgen Ovens, zugeschrieben
Ferdinand Bol, Nachfolger

Ein junger Gelehrter (Theodor Kerckrinck?), um 1660/61

Der junge Gelehrte hat seinen linken Arm lässig auf den Tisch gelegt, die rechte Hand ist gestikulierend erhoben. Auf dem teppichbedeckten Tisch befinden sich ein Himmelsglobus, Bücher, eine Sanduhr und ein Tintenfaß, das die aufgerollte Pergamentrolle beschwert. Er trägt einen rotgefütterten Mantel über einem weißen Hemd mit weiten Manschetten. Um die Säule auf hohem Postament im Hintergrund ist ein grüner Vorhang drapiert. Das Inkarnat des Gesichts und der Hände ist sehr sorgfältig ausgeführt, die gebauschten Ärmel und das Gewand sind hingegen skizzenhaft ausgeführt. Einzelne farbige Schatten etwa unter dem ausgestreckten Finger der rechten Hand oder raffinierte Reflexlichter (das Rot des Mantels zeigt sich in den Silberknöpfen des Wamses) fallen besonders ins Auge.
Das in den Smyrna-Teppich eingewebte Wappen, ein schwarzer Löwe auf goldenem Feld und ein eingefaßter Zirkel, gehört zur Familie Kerckrinck (oder Kerckring) aus Lübeck. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Theodor Kerckrinck (1639-1693) dargestellt.1 Der Großvater Gotthard (Godert) Kerckrinck (1577-1645) und der Vater Dirk (1604- nach 1653) waren als Kaufleute in Amsterdam tätig. Dirk hielt sich 1639 zwischenzeitlich in Hamburg auf, wo sein Sohn Theodor geboren wurde. In Amsterdam praktizierte dieser als Arzt, Anatom und Chemiker; später zog er nach Hamburg, wo er den Titel eines ordentlichen Gesandten des Herzogs von Toskana trug.2 Laut Inschrift ist der Dargestellte 22 Jahre alt. Sollte es Theodor Kerckrinck sein, muß das Bildnis 1661 entstanden sein. Für ein solches Datum sprechen auch modische Details wie das schmale Bündchen des Hemdes.
Die alte Zuschreibung an Ferdinand Bol, die Blankert zurückwies, stützte sich auf den Vergleich mit dem Bildnis eines Herrn mit gelbem Mantel und Überwurf von 1663 in Amsterdam3 und dem Porträt von Pieter Burgersdijk in Leiden4; der Zeigegestus der rechten Hand begegnet auch dort. Bols Mann mit dem fetten Gesicht ist in der Haltung mit auf den Tisch gestütztem Arm ähnlich.5 Blankert sprach sich für einen flämischen oder französischen Künstler aus, eine Datierung gegen Ende des 17. Jahrhunderts sei wahrscheinlich. Sumowski schlug Bols Schüler Gottfried Kneller vor. Dessen Bildnisse von Gelehrten, etwa das von 1668 in Lübeck, gehen unmittelbar auf Vorbilder von Bol zurück; die stilistischen Unterschiede sprechen jedoch gegen Kneller.6
Vermutlich stammt der Maler von Inv. 229 aus Bols engem Umkreis in Amsterdam. Von Isaak Luttichuys, Herman Verelst, Pieter van Aanraadt oder Govert Flinck, auf den Rudi Ekkart verwies, sind vergleichbare Bildnisse bekannt; Flinck hat den Großvater Godert Kerckrinck gemalt.7 Luttichuys' Gemälde in Milwaukee von 1657 folgt demselben Kompositionstyp;8 auffallend ist auch dort der leicht verträumte Blick des jungen Mannes. Auf dem Tisch steht ebenfalls ein Himmelsglobus, vermutlich auch ein Werk von Jodocus Hondius d. J. und Adriaen Veen von 1613, als Ausdruck des Studiums und der Gelehrsamkeit.

Thomas Ketelsen 2001

1 Im Verzeichnis 1863 hielt man den Dargestellten für Alphons X. von Castilien.
2 Zu Kerckrinck siehe Lexikon der hamburgischen Schriftsteller, bearb. v. H. Schröder u. a., 8 Bde., Hamburg 1851-1883,
Bd. 3, S. 564 f.; J. E. Elias, De Vroedschap van Amsterdam 1578-1795, 2. Aufl., Amsterdam 1963, Bd. 2, S. 916.
3 Sumowski, Bd. I, 1983, S. 307, Nr. 147, Abb. S. 386. Bredius hatte die Zuschreibung an Bol unterstützt, Hofstede de Groot schloß sich diesem Urteil nicht an (vgl. Heise, Holländische Reise 1917, Galerieakte).
4 Lw., 124 x 100 cm, bez. FBol 1663, Rijksmuseum, Amsterdam, Inv. 43; Katalog Amsterdam 1976, S. 124. - Lw., 109 x
91,5 cm, Stedelijk Museum De Lakenhal, Leiden, Inv. 32;
Catalogus van de schilderijen en tekeningen, bearb. v.
M. L. Wurfbain, Leiden 1983, S. 73.
5 Lw., 130 x 100 cm, Blaffer Foundation, Houston; Blankert 1982, S. 129, Nr. 91, Taf. 99.
6 Alter Gelehrter, Lw., 135 x 172,5 cm, St. Annen-Museum, Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Lübeck; Sumowski, Bd. 3, 1983, S. 1487, Nr. 974, S. 1496, Abb.
7 Lw., 83 x 65,5 cm; Sumowski, Bd. 6, 1994, S. 3525, Anm. 79, S. 3568, Abb.; Verst. Amsterdam (Christie's), 18. 11. 1993,
Nr. 151. Ein Bildnis des Lübecker Bürgermeisters Heinrich Kerckrinck in Ganzfigur wurde von Kneller 1676 gemalt (im
2. Weltkrieg zerstört); Sumowski, Bd. 3, 1983, S. 1490, unter
Nr. 986.
8 Lw., 97 x 80,5 cm, Slg. Daniel und Linda Bader, Milwaukee; Wisdom, Knowledge & Magic. The Image of the Scholar in Seventeenth-Century Dutch Art, bearb. v. V. Manuth u. a., Ausst. Kat. Agnes Etherington Art Centre, Queen's University, Kingston 1996/97, S. 32 f., Nr. 1.

Lit.: Verzeichnis 1863, S. 37; Katalog 1918, S. 19 f.; Katalog 1921, S. 20; Katalog 1930, S. 17 f.; Katalog 1956, S. 33; Katalog 1966, S. 20; Albert Blankert, Ferdinand Bol (1616-1680). Rembrandt's Pupil, Groningen 1982, S. 180, Nr. R 161 (nicht Bol); Sumowski, Bd. 3, 1983, S. 1490, Nr. 986, S. 1510, Abb. (als Gottfried Kneller).

Details about this work

Öl auf Leinwand cm x cm (Bild) 153cm x 120.5cm (Rahmen) Geschenk der Stadtbibliothek Hamburg, 1862 Inv. Nr.: HK-229 Collection: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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