
Jean Léon Gérôme
Phryne vor den Richtern, 1861
Phryne, eine Kurtisane aus Thespiai, soll dem griechischen Bildhauer Praxiteles für seine Aphrodite von Knidos Modell gestanden haben. Gérômes Gemälde zeigt sie bei einer Verhandlung vor dem Areopag, vor den sie wegen Gotteslästerung gestellt wurde, da sie ihre Schönheit mit der der Göttin Venus verglichen hatte. Zum Beweis ihrer Unschuld enthüllte ihr Verteidiger Hypereides ihren makellosen Körper und erreichte so ihren Freispruch – ein exemplum für den Sieg des Sehens über das Wort. Gérôme zeigt uns den Moment dieser Enthüllung und die unmittelbar daraus resultierenden Reaktionen: die aufgeregte Schaulust der Richter ebenso wie das „enthüllende Verbergen“ Phrynes, die schamhaft ihr Gesicht verbirgt, zugleich aber ihren Körper den Blicken aussetzt. Die helle, an Ingres gemahnende Glätte des Inkarnats steigert den erotischen Effekt des Bildes, das auf dem Salon von 1861 heftige Reaktionen ausgelöst hatte. Kritiker warfen Gérôme neben Pornographie vor allem die Aktualisierung und Banalisierung des antiken Sujets vor.
Neela Struck