Dietrich Ernst Andreae
Selbstporträt im grünen Hausrock
Halbportrait nach links vor dunklem Hintergrund. Der Künstler trägt einen dunkelgrünen Hausrock mit roten Aufschlägen, hält Palette und Pinsel in der Linken und wendet den scharf ausgeleuchteten Kopf mit offenem Haar zum Betrachter. Inv. 185 ist die eigenhändige Wiederholung eines während des Braunschweiger Aufenthalts zwischen 1716 und 1720 entstandenen, signierten Selbstportraits,2 von dem sich eine weitere, halbformatige Version in Hamburger Privatbesitz befindet.3
Das betont schlichte Selbstbildnis unterläuft die spätbarocke Repräsentation motivischer Vorbilder wie das Selbstportrait mit Kerze und Palette Godfried Schalckens,4 in dessen Werkstatt Andreaes niederländischer Lehrer van Bentum seine Ausbildung erhalten hatte. Die forcierte Wendung des Kopfes und das warme, von oben einfallende Licht, mit dem das Gesicht markante Hell-Dunkel-Kontraste gewinnt, verleihen dem Selbstbildnis psychologische Prägnanz. Pauli sprach angesichts des kaum bekannten Œuvres des Künstlers von der »herausfordernden Miene des Verkannten« in beiden Selbstbildnissen Andreaes (siehe auch Inv. 186).5 Gleichzeitig bringen Lichtführung und der erhobene Kopf, der den Betrachter mangels jedes innerbildlichen Raumbezugs in die Untersicht drängt, metaphorisch den Geltungsanspruch des »inspirierten« Künstlers zum Tragen.6
Obwohl wahrscheinlich identisch mit einem 1802 unter dem Namen »Andrae« in Hamburg versteigerten Gemälde, galt Inv. 185 später als ein Werk Johann Kupezkys. Dessen Selbstbildnisse stellen vergleichbare Arbeiten eines Zeitgenossen im deutschsprachigen Raum dar, ohne jedoch die Konzentration der Selbstportraits Andreaes zu erreichen.7 G. W.
1 Bildmaße in der Breite leicht abweichend angegeben (ca. 81,2 x 69,2 cm).
2 Lw., 78 x 64 cm, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Inv. 636; Katalog Braunschweig 1989, S. 23 f., Abb.
3 Lw., 39,5 x 32,8 cm; Walczak 2000, Bd. 2, S. 27, Nr. 18, Abb.
4 Lw., 109,7 x 88,7 cm, um 1692/99, Warwick District Council Art Gallery and Museum, Leamington Spa, Inv. 452; siehe T. Beherman, Godfried Schalcken, Paris 1988, S. 155, Nr. 57, Abb.
5 G. Pauli, Die Sammlung Alter Meister in der Hamburger Kunsthalle, Tl. 1, in: Zeitschrift für bildende Kunst N. F. 31, 1920, S. 22.
6 H.-J. Raupp, Selbstbildnisse und Künstlerporträts, ihre Funktion und Bedeutung, in: Ausst.-Kat. Braunschweig 1980, S. 23.
7 Vgl. Johann Kupezky, Selbstbildnis an der Staffelei, Lw., 94 x 74 cm, um 1710, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Inv. 578; Ausst.-Kat. Braunschweig 1980, S. 62-64, Nr. 10, Abb. Ähnlich das später entstandene Selbstportrait Kupezkys in der Staatsgalerie Stuttgart, Lw., 94 x 74 cm, Inv. 379; Staatsgalerie Stuttgart. Deutsche Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, bearb. v. C. Höper, Stuttgart 1996, S. 62 f., Abb., mit weiteren Varianten.
LIT.: Verzeichnis 1880, S. 13, Nr. 82 (als Kupezky); Katalog 1918, S. 2 (Andreae); Katalog 1921, S. 2; Katalog 1930, S. 2; Katalog 1956, S. 17; Katalog 1966, S. 17; Selbstbildnisse und Künstlerporträts von Lucas van Leyden bis Anton Raphael Mengs, Red. Rüdiger Klessmann, Ausst. Kat. Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 1980, S. 68; Katalog Braunschweig 1989, S. 23; Gerrit Walczak, Dietrich Ernst Andreae (um 1695-1734). Monographie und Werkverzeichnis, 2 Bde., Phil. Diss. Hamburg 2000 (unveröffentl.), Bd. 1, S. 53-61, Bd. 2, S. 25, Nr. 17, Abb.; ders., Dietrich Ernst Andreae (um 1695-1734): Teil 1, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 40, 2000, S. 157-159, Abb. 18; Christina Haak, Das barocke Bildnis in Norddeutschland. Erscheinungsform und Typologie im Spannungsfeld internationaler Strömungen (Phil. Diss. Münster 1999), Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 281, unter Nr. SB 9.