
Philipp Otto Runge
Die Lehrstunde der Nachtigall, 1804/05
Unter freier Bezugnahme auf Friedrich Gottlieb Klopstocks Ode Die Lehrstunde konzipierte Runge ab Ende 1801 sein frühes Hauptwerk Die Lehrstunde der Nachtigall, welches sich in der Zweitfassung von 1804/05 erhalten hat. Erstmals argumentierte der Künstler dabei über das Strukturprinzip der Arabeske. Die zweiteilige Komposition setzt sich aus einem Binnenbild und einer als fingiertem Relief gestalteten Rahmenarabeske zusammen, die das Oval symmetrisch umspielt. Das Gemälde lässt sich als Allegorie im Zeichen der Liebe fassen. Dabei hat Runge die Figur der Psyche der zentral positionierten Amor-Psyche-Gruppe mit dem Antlitz seiner zukünftigen Frau Pauline versehen – und damit die mythologische Ebene mit seiner privaten Liebesrealität verwoben. Über die vegetabile Rahmenarabeske wird das Liebesthema auf eine allgemeingültige Ebene gehoben. Kulminierend im leierspielenden Amor entsteigt je ein Genius der Lilien- und der Rosenblüte, womit der Gegensatz von himmlischer und irdischer Liebe beschworen wird.
Markus Bertsch