Carl Hoff, Radierer
nach Franz Pforr, Zeichner

Dürer und Raffael knien vor dem Throne der Kunst, 1832

Aus: "Compositionen und Handzeichnungen aus dem Nachlasse von Franz Pforr. [...]", Frankfurt am Main 1832, Erstes Heft, Blatt 1

In der Mitte dieser radierten Komposition sitzt die Allegorie der Kunst auf einem Thron. In der linken Hand hält die als Frau dargestellte Kunst, von der eine strahlende Gloriole ausgeht, ein Tafel zum Schreiben, in der rechten einen Stift. Zu ihren Füßen kniet links Albrecht Dürer (für die deutsche Nation) und rechts Raffael (für die italienische Nation), die in der Ferne jeweils von den Silhouetten ihrer Wirkungsstätten – Nürnberg mit den Kirchtürmen der Stadt und Rom mit der Kuppel von St. Peter – hinterfangen werden. Carl Hoffs Radierung geht auf eine Zeichnung des früh verstorbenen, neben Overbeck dennoch bedeutendsten Lukasbruders Franz Pforr aus Frankfurt zurück. Pforr zeichnete diese wohl wichtigste Allegorie zur Geschichte des in der deutschen Romantik glorifizierten Künstlerpaars Albrecht Dürer, der für die nordische Renaissance steht, und Raffael als wichtigster Vertreter der Kunst der Renaissance in Italien, als privates Statement seiner künstlerischen Denkweise im Jahr 1808. (Anm. 1) Die Radierung, die für eine weitere Verbreitung dieses Bildthemas sorgte, ist als eine Art programmatisches Titelblatt Teil einer Folge von Graphiken nach Zeichnungen aus dem Nachlass Pforrs, die auf Initiative Friedrich Overbecks 1832 bis 1834 vom Frankfurter Kunstverein herausgegeben wurde.
Overbeck als Verehrer der frühen italienischen Malerei sowie der Werke Raffaels und Pforr als Adept der altdeutschen Richtung um Dürer standen als eng befreundetes Künstlerpaar in einem ähnlichen Verhältnis wie ihre Vorbilder, so dass die Bildnisse Raffaels und Dürers hier sicher auch als versteckte Freundschaftsbilder Overbecks (als Raffael) und Pforrs (als Dürer) zu interpretieren sind. (Anm. 2) Dies zeigt sich in vielen, oft gemeinsam erarbeiteten Bildideen, wie beispielsweise Sulamith und Maria (Anm. 3), verschiedenen Freundschaftsbildern in Form weiblicher Allegorien4 oder der Darstellung Italia und Germania, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nichts anderes als die romantische Idee vom glücklichen, sich positiv ergänzenden künstlerischen Zusammenspiel des Südens und des Nordens versinnbildlichen sollten und die sich als Thema lange Zeit fortsetzten. (Anm. 5)
Es ist nicht zu klären inwiefern Pforrs das Thema sehr sachlich und profan wiedergebende Zeichnung außerhalb des Lukasbundes vor 1832 bekannt gewesen ist. Overbeck schuf 1817 eine sehr ähnliche, neogotisch beeinflusste und von tiefer Religiösität geprägte Zeichnung ähnlichen Motivs. (Anm. 6) Doch spielt die Komposition in der kunsthistorischen Forschung mit Blick auf die in Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (Inv-Nr. kb-1967-767-1) beschriebene Szene eines Traumes, in welchem dem Klosterbruder Dürer und Raffael erscheinen, die Hand in Hand gemeinsam ihre Werke betrachten, eine entscheidende Rolle.(Anm. 7) Pforr illustrierte dieses gemeinsame fiktive Auftreten und schuf damit ein emblematisches Bild der künstlerischen Verschmelzung Deutschlands und Italiens, das unser nördliches Bild vom Süden beherrscht. Im Begleitheft des Frankfurter Kunstvereins heißt es deshalb auch zu Pforrs Bild Raffael und Dürer vor dem Thron der Kunst: „Eine allegorische Composition, wodurch der Künstler andeuten wollte, was er für die Aufgabe der neueren Kunst hielt, nämlich: Verschmelzung des Altdeutschen und des Altitalienischen. Albrecht Dürer und Raphael vor dem Throne der Kunst kniend, welche ihre Namen und Verdienste für eine kommende Zeit aufzeichnet: Im Hintergrund Nürnberg und Rom“. (Anm. 8)
Um 1810 schuf Pforr eine weitere programmatische Zeichnung, die die drei für die nazarenischen Lukasbrüder wichtigen italienischen Musterkünstler – Raffael, Fra Angelico und Michelangelo, alle drei im Dienste der Religion tätig – auf einer Wolke über Rom versammelt. Pforrs Kompositionen von 1808 und 1810 sind im Austausch mit Friedrich Overbeck entstandene, intensive Bekenntnisse zu einer patriotischen neudeutschen Kunst im Sinne einer „synthetischen Raffael-und-Dürer-Repzetion“ (Anm. 9), erweitert durch den Blick auf die altitalienische Malerei (hier besonders Fra Angelico) und auf Raffaels großen Gegenspieler und Kontrahenten Michelangelo.
Andreas Stolzenburg

Lehr 1924, S. 352, Nr. 1; Ausst.-Kat. Mainz 1993, S. 156, Nr. 64;
Thimann 2014b, S. 21, Abb. 7; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 312–313, Nr.
68 (Pforrs Zeichnung hier „um 1810“ datiert; Beitrag Michael Thimann); Thommen 2018, S. 61, Abb. 20 (zur Zeichnung Pforrs); Vignau-Wilberg 2018, S. 132–
138, Abb. 20 auf S. 133; Thimann 2021, S. 69–70, Abb. 5 auf S. 70

1 Zur Datierung der Zeichnung siehe Thommen 2018, S. 61, Abb. 20.
2 Michael Thimann spricht von „Kryptoporträts“; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 312, Nr. 68.
3 Vignau-Wilberg 2018, S. 152–158, Abb. 22 auf S. 153.
4 Sonnabend 2001, S. 56–57, Abb. 7–8; Vignau-Wilberg 2018, S. 138–139. Vgl. die Radierung von Louis Josef Kramp nach der Zeichnung Pforrs in der Mappe Compositionen und Handzeichnungen; Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 73111.
5 Vignau-Wilberg 2018, S. 158–161, Abb. 23 auf S. 160. Vgl. zum Thema „Italia und Germania“ auch Skokan 2009.
6 Friedrich Overbeck, Raffael und Dürer vor dem Thron der Kirche, 1817, Wien, Albertina; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 8, Abb. 1; Vignau-Wilberg 2018, S. 135, Abb. 21. Das Blatt setzt die Kenntnis Pforrs Zeichnung voraus.
7 „- und siehe! da standen, abgesondert von allen, Raffael und Albrecht Dürer Hand in Hand leibhaftig vor meinen Augen und sahen in freundlicher Ruhe schweigend ihre beisammen hängenden Gemälde an.“; Wackenroder/Tieck/ Benz 1797/1979, S. 58.
8 Die Allegorie der Kunst wird hier also eher in der Tradition der Fama oder der Historia gesehen, durch welche die Verdienste der Künstler Dürer und Raffael aufgezeichnet werden. Das hier als Zeichenbrett interpretierte Blatt in der Linken der Kunst dient demnach zum Aufschreiben der Verdienste und nicht zur unmittelbarsten der Künste, der Zeichnung.
9 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 312, Nr. 68 (Beitrag Michael Thimann).

Details about this work

Radierung 136mm x 213mm (Bild) 154mm x 228mm (Blatt) 158mm x 233mm (Platte) 326mm x 443mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 73103 Collection: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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