Ludwig Gruner, (?), Herausgeber; Lithograph
Nicola Consoni, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
nach Raffael (Werkstatt), Maler
J. Aresti, Drucker

Die Auffindung des Mosesknaben, um 1866

Raffaels umfangreiche Illustrationsfolge in den Loggien fand wie wohl kaum ein anderes seiner Werke ein breites Interesse beim Publikum. Hiervon zeugt nicht zuletzt ein bis weit ins 19. Jahrhundert reichendes starkes Interesse der Reproduktionsgraphiker. Zu den letzten druckgraphischen Editionen der Serie vor dem Siegeszug der Fotografie zählt die 1866 von Ludwig Gruner in London herausgegebene Publikation Scripture prints from the frescoes of Raphael in the Vatican. Sie ist aufgrund des gewählten Druckverfahrens von besonderem Interesse.

Das Buch umfasst 52 Chromolithographien der Bibelszenen sowie einen knappen, unpaginierten Text. Wie Charles H. Wright im Vorwort ausführt, wurden die nunmehr in Buchform zusammengefassten Tafeln zuvor in Serien à 6 Blatt einzeln herausgegeben.

Diese Edition hat eine längere Vorgeschichte. Bereits im Herbst 1840 waren der englische Anwalt und engagierte Christ James Hope-Scott und Gruner auf Empfehlung des Malers Julius Schnorr von Carolsfeld zusammengetroffen. (Anm. 1) Scott suchte damals nach guten, aber kostengünstigen religiösen Darstellungen für die Society for the Promotion of Christian Knowledge (S.P.C.K.). Gruner offerierte ihm eine interessante Lösung, denn er versprach Graphiken, die wie Farbholzschnitte wirken, aber tatsächlich mittels eines lithographischen Verfahrens vervielfältigt würden. (Anm. 2) Als Zeichner verpflichtete man Nicola Consoni, der mit dem Schaffen Raffaels bestens vertraut war. Der auch als Maler, Radierer und Restaurator tätige Consoni sollte nicht nur bei diesem Unternehmen, sondern auch in den folgenden Jahrzehnten intensiv mit dem befreundeten Gruner – u. a. für Queen Victoria – zusammenarbeiten (vgl. Inv.-Nr. kb-1863-85-523-8).

Zunächst kam es 1844 wohl noch unter Beteiligung von Hope-Scott nur zu einer kleinen Edition von sechs Loggien-Darstellungen. (Anm. 3) Es dauerte dann noch mehr als zwei Jahrzehnte, bevor das bereits oben erwähnte Gesamtwerk vorlag. Laut dem Vorwort der Buchausgabe von 1866 war die Technik der Chromolithographie aus Kostengründen ausgewählt worden. Tatsächlich ist dieses Verfahren günstiger als das Anfertigen eines Holzschnittes. Für Gruner, der sich in vielfältiger Weise um die graphische Verbreitung der Kunst Raffaels engagierte, ermöglichte dieses Vorgehen den zumindest optischen Rückgriff auf ein im 16. Jahrhundert besonders geschätztes Druckverfahren (Inv.-Nr. 1230, 1296). (Anm. 4)

Gruners Loggien-Reproduktionen sind in der Tradition der Darstellungen dieser Illustrationsfolge besonders und von großem ästhetischem Reiz. Die Wiedergabe der Kompositionen ist detailgetreu, dabei etwas Spielraum für kleinere Abweichungen lassend. (Anm. 5) Geschickt sind die markanten Farben des Originals in variierenden Strichlagen umgesetzt. Faszinierend ist die Wirkung der Farbflächen, die den Erfindungen Raffaels eine ganz ungewohnte, aber sehr kraftvolle und harmonische Wirkung verleiht. Zusammen mit dem großen Format entstanden auf diese Weise Reproduktionen, die sich auch hervorragend als Wandschmuck eigneten.

Das vorliegende Blatt entspricht in der oben erwähnten Publikation Tafel 29 und zeigt die Auffindung von Mose durch die Tochter des Pharaos nach der entsprechenden Szene in der 8. Loggia im Vatikan. Möglicherweise handelt es sich hier um einen Abzug, welcher zu den oben erwähnten, vor Zusammenstellung und Erscheinung in Buchform lancierten Drucken gehört. (Anm. 6)
David Klemm / Klara Wagner

LIT (Auswahl): Wahrscheinlich identisch mit Ruland 1876, S. 220, Nr. XXIX.3;
Ausst.-Kat. Brescia 2020, S. 192–193, Nr. 71

1 Boeckmann 1996, S. 3.
2 Ebd.
3 Ausst.-Kat. Brescia 2020, S. 192.
4 Ebd.
5 Der Anteil von Consoni ist anhand der Bildunterschriften nicht eindeutig erkennbar, da nicht auf allen Blättern sein Name erwähnt ist. Interessanterweise ist Consoni auch nicht auf dem Titelblatt genannt. Dennoch spricht die stilistische Einheit der Blätter und auch die eindeutige Aussage des Vorworts für diesen als Zeichner sämtlicher Darstellungen. Gruner hatte Consoni auch nicht in Zusammenhang mit dem Tafelwerk zur Chigi-Kapelle in S. Maria del Popolo erwähnt. Trotz dieser auffallend unkollegialen Vorgehensweise verband beide Künstler eine jahrzehntelange enge und erfolgreiche Zusammenarbeit.
6 Für den Erfolg der Publikation spricht, dass auch um 1866 eine deutsche Ausgabe unter dem Titel Biblische Bilder nach Raphaels Fresken in den Loggien des Vatican veröffentlicht wurde.

Details about this work

Chromolithographie 393mm x 456mm (Bild) 468mm x 564mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 56956 Collection: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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