Parmigianino, eigentlich Francesco Mazzola

Verkündigung Mariens, 1530 - 1535

Die Zeichnung weist eine wechselvolle Zuschreibungsgeschichte auf. Während Everhard Jabach sie im 17. Jahrhundert als Werk Parmigianinos einstufte, schrieb sie wohl ein anonymer späterer Eigentümer, wie die Inschrift zeigt, Girolamo Mazzola Bedoli zu. Diese Ansicht wurde von Wolf Stubbe bei der Erstpublikation des Blattes 1957 übernommen. Er sah in der Studie eine frühe Ideenskizze für das Verkündigungsgemälde Bedolis in der Galleria Ambrosiana in Mailand.(Anm.1) Diese Verbindung ist vor allem hinsichtlich des Verkündigungsengels ansatzweise nachzuvollziehen; dessen Körperhaltung ähnelt der späteren Lösung auf dem Gemälde. Dagegen ist die Figur der Maria weit von Bedolis Formulierung entfernt. Deutlich unterschiedlich zum Gemälde sind der Hintergrund und die Rahmengestaltung sowie die Verwendung von Ganzkörperfiguren. Die formale Abhängigkeit zwischen Zeichnung und Gemälde ist demnach sehr allgemein, sodass eine enge Zusammenstellung – nicht einmal als frühe Vorstufe – keineswegs zwingend erscheint. Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede blieb die von Stubbe eingeführte Zuschreibung an Bedoli lange Zeit bestehen. Immerhin folgten ihr neben anderen Autoren mit Popham (1964) und Di Giampaolo (1971 und 1997) zwei der größten Kenner Parmigianinos. Erst 2001 hat dann Achim Gnann das Blatt Parmigianino zurückgegeben, eine Einschätzung, zu der im selben Jahr – unabhängig voneinander – auch Py und Stolzenburg gekommen sind. Letztlich hat Veronika Birke das Blatt 2006 in die Nähe Parmigianinos gerückt.(Anm.2)
Die Zuschreibungsgeschichte des Blattes spiegelt die Praxis, Werke, die Jahrzehnte vorher von Parmigianino an Bedoli gegeben worden waren, schließlich wieder ersterem zuzuweisen.(Anm.3) Außerdem setzt sich die Überzeugung durch, dass sich die Qualitäten der Hamburger Zeichnung – große Lebendigkeit, Harmonie der Bewegungen und Anmut sowie die effektvolle Hervorhebung von Licht und Schatten – in Bedolis Zeichnungen nicht in dieser Form finden lassen und daher deutlich für Parmigianino sprechen.(Anm.4)
Franklin stellte 2003 eine Datierung Anfang der 1530er Jahre zur Diskussion. Gnann plädierte 2007 für eine etwas spätere Entstehung. Franklin wies zudem darauf hin, dass die von einem kunstvollen Rahmen umgebene Komposition auf eine mögliche Anbringung in einem Kirchenraum oder einer Kapelle hindeutet.(Anm.5) Dabei ist vorstellbar, dass die Hauptszene als Fresko und der Rahmen in Stuck vorgesehen waren. Eine Ausführung ist nicht überliefert, doch wies Franklin darauf hin, dass sich in Parma zu Lebzeiten des Künstlers eine „Bruderschaft der Verkündigung“ befunden hat, die der Kirche S. Maria delle Steccata angegliedert gewesen ist.(Anm.6)
Di Giampaolo hat 2000 eine freiere und bei weitem nicht so weit ausgeführte Zeichnung mit einer „Verkündigung“ publiziert. Sie könnte als frühe Ideenskizze der Hamburger Zeichnung angesehen werden. Während Di Giampaolo seltsamerweise lediglich diese kleine flüchtige Skizze und nicht das Hamburger Blatt als eigenhändige Zeichnung Parmigianinos anerkennt,(Anm.7) steht für Franklin und Gnann die Autorschaft Parmigianinos an beiden Blättern außer Frage.
Nicht unerwähnt bleiben soll eine Einschätzung David Ekserdjians. Er sah in dem Stil der Zeichnung charakteristische Züge Lucas Vorstermans, der nachweisbar Kopien nach Parmigianino angefertigt hat.(Anm.8)

David Klemm

1 Vgl. Italienische Zeichnungen 1500-1800, bearb. v. Wolf Stubbe, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1957, S. 18, Nr. 72; Mario Di Giampaolo: Girolamo Bedoli 1500-1569, Florenz 1997, S. 122–123, Nr. 15. Das 1531 vollendete Bild befand sich ursprünglich in der Avigni-Kapelle in S. Francesco in Viadana. Seit dem 19. Jahrhundert wird es in der Ambrosiana, Mailand, bewahrt.
2 Mündliche Mitteilung, November 2006.
3 Achim Gnann: London and New York: Correggio and Parmigianino, in: The Burlington Magazine 143, 2001, Nr. 1177, S. 231-234, S. 233. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im Übrigen in der Bewertung der Zeichnungen von Raffael und Giulio Romano ausmachen.
4 Achim Gnann: London and New York: Correggio and Parmigianino, in: The Burlington Magazine 143, 2001, Nr. 1177, S. 231-234, S. 233.
5 The Art of Parmigianino, bearb. v. David Franklin, Ausst.-Kat. Ottawa, National Gallery of Canada, New Haven, London 2003, S. 242, Nr. 72 (Beitrag David Franklin).
6 Ebd. Den Dekorationselementen des Rahmens vergleichbar sind Details auf Parmigianinos Fresken in Santa Maria della Steccata in Parma.
7 The Art of Parmigianino, bearb. v. David Franklin, Ausst.-Kat. Ottawa, National Gallery of Canada, New Haven, London 2003, S. 242 (Beitrag David Franklin).
8 Briefwechsel zwischen David Ekserdjian und dem Kupferstichkabinett vom 22. 4. 1997 und 2. 5. 1997, Archiv des Kupferstichkabinetts.






Die Zeichnung weist eine wechselvolle Zuschreibungsgeschichte auf. Während Everhard Jabach sie im 17. Jahrhundert als Werk Parmigianinos einstufte, schrieb sie wohl ein anonymer späterer Eigentümer laut Inschrift Girolamo Mazzola Bedoli zu. Diese Ansicht wurde von Wolf Stubbe bei der Erstpublikation des Blattes 1957 übernommen. Er sah in der Studie eine frühe Ideenskizze für das Verkündigungsgemälde Bedolis in der Galleria Ambrosiana in Mailand.(FN1) Diese Verbindung ist vor allem hinsichtlich des Verkündigungsengels ansatzweise nachzuvollziehen; dessen Körperhaltung ähnelt der späteren Lösung auf dem Gemälde. Dagegen ist die Figur der Maria weit von Bedolis Formulierung entfernt. Deutlich unterschiedlich zum Gemälde sind der Hintergrund und die Rahmengestaltung sowie die Verwendung von Ganzkörperfiguren. Die formale Abhängigkeit zwischen Zeichnung und Gemälde ist demnach sehr allgemein, so dass eine enge Zusammenstellung - nicht einmal als frühe Vorstufe - keineswegs zwingend erscheint. Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede blieb die von Stubbe eingeführte Zuschreibung an Bedoli lange Zeit bestehen. Immerhin folgten ihr neben anderen Autoren mit Popham (1964) und Di Giampaolo (1971 und 1997) zwei der größten Kenner Parmigianinos. Erst 2001 hat dann Achim Gnann das Blatt Parmigianino zurückgegeben, eine Einschätzung, zu der im selben Jahr - unabhängig voneinander auch Py und Stolzenburg gekommen sind. Letztlich hat Veronika Birke das Blatt 2006 in die Nähe Parmigianinos gerückt.(FN2)
Die Zuschreibungsgeschichte des Blattes spiegelt das Phänomen, Werke, die Jahrzehnte vorher von Parmigianino an Bedoli gegeben worden waren, wieder ersterem zuzuweisen.(FN3) Zum anderen setzt sich die Überzeugung durch, dass die Qualitäten der Hamburger Zeichnung - große Lebendigkeit, Harmonie der Bewegungen und Anmut sowie die effektvolle Hervorhebung von Licht und Schatten - deutlich für Parmigianino sprechen; sich dagegen in Bedolis Zeichnungen nicht in dieser Form aufzeigen lassen.(FN4)
Gnann hat das Blatt in die Bologneser Zeit des Künstlers datiert, wofür die ökonomische Zeichenweise und die langen Züge sprechen. Franklin zog eine etwas spätere Entstehung in Erwägung.(FN5) Er wies zudem darauf hin, dass die von einem kunstvollen Rahmen umgebene Komposition auf eine mögliche Anbringung in einem Kirchenraum oder einer Kapelle hindeutet. Dabei ist vorstellbar, dass die Hauptszene als Fresko und der Rahmen in Stuck vorgesehen waren. Eine Ausführung ist nicht überliefert, doch wies Franklin darauf hin, dass sich in Parma zu Lebzeiten des Künstlers eine "Bruderschaft der Verkündigung" befunden hat, die der Kirche S. Maria delle Steccata angegliedert gewesen ist.(FN6).
Di Giampaolo hat 2000 erstmals eine freiere und bei weitem nicht so weit ausgeführte Zeichnung mit einer "Verkündigung" publiziert. Sie könnte als frühe Ideenskizze der Hamburger Zeichnung angesehen werden. Während Di Giampaolo seltsamerweise lediglich diese kleine flüchtige Skizze und nicht das Hamburger Blatt als eigenhändige Zeichnung Parmigianinos anerkennt(FN7), steht für Franklin und Gnann die Autorschaft Parmigianinos an beiden Blättern außer Frage.
Nicht unerwähnt bleiben soll eine Einschätzung David Ekserdjians. Er hielt den Stil der Zeichnung charakteristisch für Lucas Vorsterman, der nachweisbar Kopien nach Parmigianino angefertigt hat.(FN8)

(FN1) Vgl. Ausst.-Kat. Hamburg 1957, S. 18, Nr. 72; Di Giampaolo 1997, S. 122-123, Nr. 15.Das Bild befand sich ursprünglich in der Aivgni-Kapelle in S. Francesco in Viadana und war 1531 vollendet. Seit dem 19. Jahrhundert wird es in der Ambrosiana, Mailand, bewahrt.
(FN2) Mdl. Mitteilung November 2006.
(FN3) Gnann 2001, S. 233. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im Übrigen im Verhältnis Raffael und Giulio Romano ausmachen.
(FN4) Gnann 2001, S. 233.
(FN5) Franklin 2003, S. 242, Nr. 72.
(FN6) Ebd. Dem Dekorationselemente des Rahmens vergleichbar sind Parmigianinos Fresken in Santa Maria della Steccata in Parma.
(FN7) Franklin 2003, S. 242.
(FN8) Briefwechsel zwischen David Ekserdjian und dem Kupferstichkabinett vom 22.4.1997 und 2.5.1997

Details about this work

Feder in Braun, braun laviert; montiert, umrandet (Feder in Schwarz) und mit einem goldenen Rahmen versehen 145mm x 185mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 52161 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford + Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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