Gustav Heinrich Naecke

Die müßigen Arbeiter auf dem Markt

Die beiden Blätter Inv.-Nr. 44263 und 44264 behandeln Entwürfe zu Kompositionen, die das Gleichnis vom Arbeiter im Weinberg zum Thema haben dürften. In Kapitel 20 des Matthäus-Evangeliums wird das Himmelreich mit einem Hausherrn verglichen, der am Morgen Arbeiter einstellt, damit sie seinen Weinberg bestellen. Er vereinbart mit ihnen einen Tagelohn von einem Silbergroschen. Der Weinbergbesitzer geht noch weitere vier Male auf den Marktplatz um Arbeiter einzustellen und vereinbart jeweils den Tagelohn von einem Silbergroschen.
Am Ende des Tages bezahlt er zuerst den zuletzt Eingestellten, die nur eine Stunde gearbeitet haben, einen Silbergroschen. Auch alle anderen erhalten den vereinbarten Silbergroschen. Die Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, beschweren sich darüber beim Hausherrn, denn sie fordern mehr Lohn, weil sie verhältnismäßig mehr gearbeitet haben. Der Hausherr weist sie aber zurück, indem er die verärgerten Arbeiter daran erinnert, dass sie mit ihm zuvor über die Zahlung eines Silbergroschen übereingekommen waren.
Kat. 44283 dürfte diese letzte Episode des Gleichnisses wiedergeben, die Naeke als vielfigurige Szene in einem Innenhof behandelt. Die kompositionelle Orientierung an Werken der Hochrenaissance ist offensichtlich, aber auch Arbeiten der Nazarener. Oben auf einer Loggia werden die Arbeiter ausbezahlt, diskutierend und das Geld prüfend kommen andere die Treppe herab, während eine weitere Gruppe von vier Arbeitern mit dem Hausherrn – hier im Habitus Christi - über den Lohn diskutiert. Das Papier trägt ein Wasserzeichen der Mühle Whatmann mit der Jahresangabe 1825, die Zeichnung kann also erst nach Naekes Rückkehr aus Italien 1824 in Dresden entstanden sein. In Dresden befinden sich zwei weitere Entwürfe, die dem Hamburger Blatt wahrscheinlich vorausgegangen sind. Auf einem Blatt hat Naeke die vordere Gruppe um den Hausherrn genau ausgearbeitet und durchgeführt, während die Architektur und die hintere Figurengruppe nur skizzenhaft angegeben wird.1 Auf dem anderen Entwurf hat dann Naeke auch die Architektur und die hintere Figurengruppe genau festgelegt.2 Ebenfalls in Dresden befindet sich ein weiterer Entwurf mit dem Thema, der allerdings eine andere Komposition zeigt.3

Auch die andere Szene, die Naeke wie so oft auf der Vorder- und Rückseite variiert hat, dürfte sich auf das genannte Gleichnis zu beziehen sein. Es schildert die Episode, wie der Weinbergbesitzer mehrmals auf den Marktplatz gekommen ist, um weitere Arbeiter einzustellen. Eine Gruppe von Arbeitern lehnt an der Mauer eines Palazzos oder hockt davor, während der Hausherrn zu ihnen tritt, und sie mit seiner auf das Stadttor weisenden Hand auffordert, mit ihm zu gehen. Die Komposition ist auf beiden Seiten nur leicht variiert, doch ist die Szene auf dem Verso zuerst entstanden. Dies belegt nicht nur das nochmalige Herausgreifen einer einzelnen Gruppe der beiden Kauernden rechts auf dem Blatt, was bei Naeke häufig zu sehen ist, auch ist die Komposition insgesamt weniger entschieden und unklarer im Aufbau. Die räumlichen Verhältnisse und Bezüge sind noch nicht eindeutig geklärt, aber besonders die Gruppe der fünf Arbeiter strafft Naeke auf der Vorderseite im Sinne eines pyramidalen Aufbaus. Auch ist der zeichnerische Vortrag durch die Verwendung eines spitzeren Bleistifts bei der Figurengruppe präziser und prägnanter, ein Kennzeichen für die konkretere Beschäftigung mit der Komposition.

Naeke war bekannt dafür, dass er äußerst bedächtig und langsam arbeitete, und entworfene Kompositionen immer wieder neu durcharbeitete, variierte und veränderte. Das Kupferstich-Kabinett in Dresden besitzt mehrere Zeichnungen, die mit der Komposition in Zusammenhang stehen. Drei kleinformatige, skizzenhaft ausgeführte Figurenstudien in Bleistift beziehen sich auf die Gruppe der Arbeiter4, deren Zusammenstellung Naeke auf den Skizzen ausprobiert, dabei durch stärkeren Andruck bzw. Nachfahren des Konturs einzelne Figuren hervorhebend. Zu dieser Gruppe der Arbeiter befinden sich in Dresden insgesamt vier weitere Entwürfe, auf denen die Arbeiter als Einzelstudien genau modelliert und zur Herausarbeitung ihrer Plastizität zusätzlich weiß gehöht sind.5 Diese Studien zu den Arbeitern entsprechen nur teilweise der Hamburger Komposition, doch stimmen sie mit einem Kompositionsentwurf ebenfalls in Dresden überein6, die die Gruppe der Arbeiter in einem anderen Entwurfsstadium zeigt. Auch wenn sich über die Abfolge keine absolute Sicherheit finden lässt, da eine Ausführung nicht bekannt ist, dürfte der genannte Entwurf in Dresden den beiden Hamburger Kompositionsskizzen nachfolgen. Dies gilt ebenso für weitere Entwürfe einzelner Figuren7 und andere Kompositionsentwürfe8, die einem zusätzlich in Feder und Pinsel ausgeführten Entwurf entsprechen.9 Es dürfte sich hierbei um den finalen Entwurf für die Figurengruppe handeln, denn sie entspricht einem quadrierten Kopmpositionsentwurf, der sich kürzlich im Kunsthandel befand und dort irrtümlich Friedrich Overbeck zugeschrieben wurde.10

1 Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Auszahlung des Lohnes, Bleistift, 229 x 275 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 4819.
2 Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Auszahlung des Lohnes, Bleistift, 244 x 244 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 4818.
3 Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Auszahlung des Lohnes, Bleistift, 164 x 229 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 4815.
4 Entwurf für die Gruppe der Arbeiter, Bleistift, 65 x 50 mm, Inv. Nr. C 1919-122; Entwurf für die Gruppe der Arbeiter, Bleistift, 66 x 50 mm, Inv. Nr. C 1919-121; Entwurf für die Gruppe der Arbeiter, Bleistift, 66 x 50 mm, Inv. Nr. C 1919-123, alle drei Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett.
5 Zwei angelehnt Stehende, Bleistift, weiß gehöht, 219 x 292 mm, Inv. Nr. C 4562; Zwei Sitzende mit angezogenen Beinen, Bleistift, weiß gehöht, 219 x 292 mm, Inv. Nr. C 4560; Studie eines schlafenden Arbeiters, Bleistift, weiß gehöht, 215 x 282 mm, Inv. Nr. C 4561; Studie eines schlafenden Arbeiters, Bleistift, weiß gehöht, 217 x 296 mm, Inv. Nr. C 4559, alle vier Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett.
6 Christus und die Arbeiter, Bleistift, 180 x 216 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1983-808.
7 Christus und Johannes, Bleistift, Feder in Grau, Pinsel in Braun, 198 x 231 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 4817.
8 Christus und die Arbeiter, Bleistift, 178 x 236 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1983-805; Christus und die Arbeiter, Bleistift, 223 x 226 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 7819.
9 Christus und die Arbeiter, Bleistift, Feder und Pinsel in Braun, 236 x 247 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 7820.
10 Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, Bleistift, 275 x 300 mm, vgl. Kunstantiquariat Winterberg, Heidelberg, Auktion 84, 12.5.2012, Nr. 322.

Details about this work

Bleistift Technik Verso: Bleistift 156mm x 264mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 44284 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Bildarchiv Hamburger Kunsthalle / bpk, CC-BY-NC-SA 4.0

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