Caspar David Friedrich

Der Traum des Musikers (Allegorie der himmlischen Musik), um 1830

In einem Brief an den russischen Dichter, Staatsrat und Prinzenerzieher Wassilij Andrejewitsch Shukowskij vom 9. Februar 1830 berichtet Friedrich, dass er für den Thronfolger Alexander vier Bilder ausgeführt hat, bei denen es sich um Malereien handelt, die „nur bei Lampenlicht gesehen werden können […].(Anm. 1) Friedrich teilte ihm in dem Brief die inhaltliche Konzeption der von ihm als Zyklus geplanten Transparentbilder mit, für die er neben der Lichtinstallation auch Musikbegleitung vorsah.(Anm. 2) Mittels musikallegorischer Darstellungen entwarf Friedrich ein ethisch-pädagogisches Konzept, das „die Verwandlung vom dämonischen Zustand der Welt über das Diesseitige, dann das Vergeistigte, bis hin zum Transzendenten“ schildert.(Anm. 3)
Zum Ankauf der Bilder kam es jedoch nicht, erst im Oktober 1835 sind sie wieder Thema der Korrespondenz zwischen Friedrich und Shukowskij.(Anm. 4) Die Transparentbilder waren zunächst bis 1835 in Friedrichs Atelier verblieben, doch am 12. Dezember zum Versand bereit: Eine große Kiste enthielt sechs Ölgemälde und eine kleinere mit „vier durchsichtigen Bilder[n] auf Papier gezeichnet und auf Rahmen gespannt.“ (Anm. 5) Im weiteren Verlauf des Briefes erläutert Friedrich ausführlich die Vorrichtungen für die sachgemäße Aufstellung der Bilder und seine Vorstellungen über die Art der Musik, die die Vorführung der Bilder begleiten sollte. Er wollte auch die Noten beschaffen, denn ein Musikverständiger, dem Friedrich von seinem Vorhaben erzählte, „erboth sich so gleich mir dieselbe deutlich für Musiker in der Musiksprache zu Papier zu bringen.“ (Anm. 6) Friedrich sah in den Transparentbildern ein Mittel zur Anregung der Einbildungskraft und hoffte, im Einklang mit der Musik die Wirkung der Transparente im Sinne eines erzieherischen Gedankens auf den Betrachter zu steigern. Das Zusammenwirken von bildender Kunst und Musik war bereits bei Wilhelm Wackenroder und Ludwig Tieck in Sternbalds Wanderungen ein zentrales Thema (Anm. 7) und wurde von den Künstlern der Romantik – neben Friedrich etwa von Moritz von Schwind oder Philipp Otto Runge – wiederholt aufgegriffen.
Die vier nach St. Petersburg geschickten Transparente sind heute verschollen, doch haben sich drei Zeichnungen dazu erhalten, die den Beschreibungen und den Maßangaben der „weltlichen“, „geistlichen“ und der „himmlischen“ Musik entsprechen. Zu dem dritten Transparentbild – der Allegorie der himmlischen Musik - befindet sich die Zeichnung in der Hamburger Kunsthalle, die Friedrich in seinem Brief aus dem Jahre 1830 beschrieben hat: „Im dritten Bilde sitzt unter hohen Blumen (Malfen) ein junger Musiker schlafend und träumend. Seiner Hand ist die Mandoline entsunken. Auf Wolken senken sich drei geflügelte Wesen singend und spielend zum Schläfer herab. Strahlend ergießt sich das Licht aus der Höhe zur Erde.“ (Anm. 8) Da sich Friedrichs Brief auf die fertiggestellten Transparentbilder bezieht, gibt er damit einen terminus ante, wonach die Hamburger Zeichnung spätestens um die Jahreswende 1829/30 entstanden sein muss.
Werner Sumowski, dem neben dem Hamburger Blatt nur die Harfenspielerin als Verkörperung der geistlichen Musik bekannt war (Anm. 9), nahm bereits eine 1823 oder früher entstandene Sepia an, die nach der Hamburger Zeichnung entstand.(Anm. 10) Tatsächlich ist das Blatt teilweise durchgriffelt und auf der Rückseite mit Kreide geschwärzt, was die Übertragung in ein anderes Medium nahelegt.(Anm. 11) Da ein solches Pausverfahren sich vor allem für Friedrichs Sepiazeichnungen nachweisen lässt, nehmen Somowski und ihm folgend Börsch-Supan Sepien an, die nach den Blättern in Hamburg und Chemnitz entstanden.(Anm. 12) Demnach ist der erwähnte Zyklus von 1830 eine Wiederholung, der in den Maßen von den beiden älteren Zeichnungen abweicht: Während die Blätter in Hamburg und in Chemnitz 722 x 515 mm messen, hatte Friedrich die Maße der Transparentbilder 1830 in der Höhe mit 1 Elle, 13 Zoll. und in der Breite mit 1. Elle, 4 Zoll angeben.(Anm. 13) Dies entspricht etwa dem größeren Maß von ca. 89 x 66 cm (Anm. 14), weshalb die Annahme Sumowski viel Wahrscheinlichkeit hat, bei beiden Zeichnungen handele es sich um Kartons für Sepien. Auch wenn sich die Existenz dieser Sepien bisher nicht nachweisen ließ, ist zudem der Hinweis von Sumowski, dass das Motiv der Harfe auf einem Söller vor gotischer Architektur besonders in den zwanziger Jahren bei Carl Gustav Carus auftaucht (Anm. 15), - seine „Phantasie über die Musik“ (Anm. 16) von 1823 und „Allegorie der Musik“(Anm. 17) von 1826 seien gleichsam Variationen der Erfindung Friedrichs - ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, wollte man nicht eine umgekehrte Beeinflussung annehmen. Auch die Tatsache, dass zwischen Friedrichs Beschreibung und der Hamburger Zeichnung Unterschiede bestehen – auf der Zeichnung senken sich die geflügelten Wesen nicht wirklich zur Erde und auch die Orgel erwähnt Friedrich nicht, die im Übrigen nur von einem, dem mittleren Engel gespielt werden könnte -, dürfte als Hinweis auf eine frühere Entstehung zu werten sein.
Schwieriger ist in diesem Zusammenhang ein drittes Blatt zu beurteilen, das in der Gestalt einer Lauten- und Gitarrespielerin die Verkörperung der weltlichen Musik darstellt.(Anm. 18) Im Gegensatz zu den beiden Blättern in Hamburg und Chemnitz weist es keine Durchgriffelungen auf, ist auf dem Verso nicht geschwärzt, und ist geringfügig größer als die beiden anderen Blätter, die in den Maßen identisch sind. Neben einer roten Tönung des Blattes sind auch die Unterschiede in der zeichnerischen Ausarbeitung auffallend: Für die Architektur auf den beiden Blättern in Hamburg und Chemnitz hat Friedrich ein Lineal oder eine Reißschiene verwendet, auf beiden Blättern erscheint die Zeichenweise zudem vor allem in der Angabe des Konturs insgesamt etwas schematisch, was zusammen mit den Ritzungen und der Schwärzung der Versoseite darauf schließen lässt, dass beide Blätter im Sinne von Werkzeichnungen zur Übertragung benutzt wurden. Demgegenüber erscheint die Zeichnung in Paris im Kontur weniger präzise, die Kreide ist insgesamt malerischer eingesetzt und in der Zeichenweise freier. Ob der andere Ausarbeitungsgrad zusammen mit den fehlenden Durchgriffelungen und der nicht geschwärzten Versoseite für die Zeichnung in Paris einen anderen Werkzusammenhang und damit auch eine andere Entstehungszeit bedeuten könnte, bedarf weiterer Untersuchungen.
Auch für das Hamburger Blatt hat Friedrich auf frühere Studien zurückgegriffen: Sumowski wird der Hinweis verdankt, dass die Malve rechts außen auf ein Blatt aus dem Berliner Skizzenbuch I von 1799 zurückgeht (Anm. 19), die kleine Malve vorne entspricht in Teilen der Pflanzenstudie rechts unten auf einem Blatt ebenfalls im Berliner Skizzenbuch I (Anm. 20), wie auch die beiden links stehenden Pflanzen, für die Friedrich ebenfalls Pflanzenstudien aus dem Berliner Skizzenbuch I verwendete.(Anm. 21) Ergänzend wies Börsch-Supan darauf hin, dass Friedrich für die Pflanze zu Füßen des Sängers auf eine Pflanzenstudie von derselben Seite aus dem Berliner Skizzenbuch I zurückgriff.(Anm. 22)
Nach Gerhard Eimer hat Gunnar Berefelt die Komposition mit dem Besuch des schwedischen Dichters Per Daniel Atterbom 1818 bei Friedrich in Verbindung gebracht (Anm. 23), und in dem Musiker ein Bildnis des Dichters sehen wollen, doch wird diese Annahme durch Friedrichs Äußerungen nicht gestützt. Auch Heynes Behauptung, die Engel würden eine in den Wolken schwebende Kirche anbeten (Anm. 24), entbehrt jeder Grundlage.

Peter Prange

1 Zitiert nach Zschoche 2005, S. 201.
2 „Diese Bilder müßen in Begleitung von Musik gesehen werden. Das erste mit Gesang und Gitarre – daß zweite mit Gesang und Harfenklang. – das dritte mit der Glaßharmonika. – das vierte in Begleitung von fern [zu] hörende[r] rauschende[r] Musik.“ Vgl. Zschoche 2005, S. 201. Deshalb nahmen verschiedene Autoren Anregungen durch Musik und Dichtung an: Bachmann 1960, S. 132-136 sah in der Zeichnung ein melancholisches Trostblatt und verweist auf eine 1817 erschienene Schrift des Trierer und Wormser Domkapitulars Friedrich H. Dalberg, in der er dem Verhältnis von Musik und Melancholie nachgeht. Dobrzecki 1982, S. 152-156 verweist auf Novalis Lied Heinrich von Ofterdingen, das bereits Bandmann 1960, S. 133, Anm. 339 als mögliche Vorlage erwähnt hat. In dem Lied vernimmt ein junger Musiker im Traum eine höhere Musik, die er in der Realität nicht hören und spielen kann. Laut Rzucidlo 1998, S. 75, kam die Anregung zu dem Zyklus von einem nächtlichen Bibelgesang, den Psalmen Asafs, der den gerechten und mächtigen Gott im Saitenspiel preist.
3 Verwiebe 1997, S. 55.
4 Die Annahme von Verwiebe 1997, S. 55, Friedrich habe die Transparentbilder erst 1835 ausgeführt, ist unzutreffend. In seinem Brief vom Februar 1830 spricht Friedrich unmissverständlich davon, dass „vier der besprochenen Bilder ausgeführt sind“ und im Oktober 1835 heißt es, er habe „ zum Beispiel vergessen, 4 Bilder zu gedenken, so ausgeführt bei mir stehen. Diese Bilder sind ganz anderer Art als die so ich im ersten Briefe gedacht nicht in den gewählten Gegenständen allein sondern auch in der Ausführung, sie sind nehmlich auf Papier durchsichtig gemahlt.“ Vgl. Zschoche 2005, S. 220.
5 Zschoche 2005, S. 225. Auch die Tatsache, dass Shukowskij 1836 vom Kontor der Kaiserin Maria Fjodorowna Frachtspesen für „4 Transparente“ erhielt, belegt den Versand, vgl. Heider 1963, S. 376.
6 Zschoche 2005, S. 226.
7 Vgl. dazu Heider 1963, S. 377.
8 Zschoche 2005, S. 201.
9 Harfenpielerin, schwarze Kreide, 722 x 515 mm, Kunstsammlungen Chemnitz, Inv. Nr. Z 420, vgl. Sumowski 1970, S. 85-87; vgl. auch Grummt 2011, S. 847-848, Nr. 936, Abb.
10 Sumowski 1970, S. 213, Nr. 201.
11 Auch das Blatt in Chemnitz ist teilweise durchgegriffelt, die von Sumowski 1970, S. 87, erwähnte Schwärzung der Versoseite ist aufgrund der festen Montierung des Blattes derzeit nicht überprüfbar.
12 Börsch-Supan 1973, S. 404-405, Nr. 345 und 346, Abb.
13 Zschoche 2005, S. 201.
14 Allerdings waren die Transparente mit einem etwa 7,5 cm breiten Rahmen versehen; rechnet man diesen zu den Zeichnungen dazu, dann entspricht ihr Maß etwa dem der Transparente.
15 Sumowski 1970, S. 86.
16 Phantasie über die Musik (Kopie), Gouache, 483 x 387 mm, Klassik Stiftung Weimar, Museen, Graphische Sammlung, Inv. Nr. GHz, vgl. Marianne Prause: Carl Gustav Carus. Leben und Werk, Berlin 1968, S. 86-87, Nr. 1, Abb.
17 Die Musik, Öl/Lw, 23,3 x 21,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie der Neuen Meister, Inv. Nr. 2215 D, vgl. Prause 1968, S. 87, Nr. 6, Abb.
18 Lauten- und Gitarrenspielerin in einer gotischen Ruine, schwarze Kreide, rötlich getönt, 735 x 525 mm, Paris, Musée du Louvre, Départment des Arts Graphiques, Inv. Nr. RF 51893, vgl. Grummt 2011, S. 846, Nr. 935, Abb.
19 Pflanzenstudie, Feder in Schwarz über Bleistift, Pinsel in Grau, 238 x 189 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. SZ 65, vgl. Sumowski 1970, S. 62. Vgl. auch Grummt 2011, S. 150, Nr. 125, Abb.
20 Pflanzenstudie, Feder in Grau über Bleistift, Pinsel in Grau, 237 x 190 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. SZ 61, vgl. Sumowski 1970, S. 62. Vgl. auch Grummt 2011, S. 146-147, Nr. 121, Abb.
21 Pflanzenstudien, Feder in Schwarz über Bleistift, Pinsel in Grau, 242 x 378 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. SZ 82, vgl. Sumowski 1970, S. 62. Vgl. auch Grummt 2011, S. 180-182, Nr. 166, Abb.
22 Börsch-Supan 1973, S. 405.
23 Vgl. Eimer 1963, S. 34, Anm. 76.
24 Heyne 1963, S. 373.

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Schwarze Kreide Inv. Nr.: 41113 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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