Caspar David Friedrich

Eingang im Kloster Heilig Kreuz in Meißen, um 1824

Das leicht aquarellierte Blatt zeigt eines der Leitmotive in Friedrichs Werk, den Blick durch einen Durchgang bzw. durch ein Fenster in einer geschlossenen Mauer. Hier ist der Blick aus einem Innenraum durch die geöffnete Tür in einen Hof dargestellt, der durch eine gegenüber liegende Wand begrenzt wird. Die Beschriftung benennt das Motiv als Eingang zur Fürstenschule in Meißen, doch hat erst kürzlich Petra Kuhlmann-Hodick die genaue, heute noch existierende topographische Situation beschrieben. Der Raum befindet sich in der Ruine des ehemaligen, am linken Elbufer nördlich von Meißen gelegenen Klosters zum Heiligen Kreuz. Der Blick geht aus einem geschlossenen, gewölbten Raum, der zu dem noch erhaltenen, an den Chor der Kirche angrenzenden Klausurtrakt der Klosteranlage gehörte. Die Gründung der Zisterzienser aus dem 13. Jahrhundert war im 16. Jahrhundert aufgehoben und seitdem dem Verfall anheim gegeben worden, bis im frühen 19.Jahrhundert erste Sicherungsmaßnahmen gab.(Anm. 1) Die Bezeichnung als Fürstenschule auf dem Hamburger Blatt ist darauf zurückzuführen, dass der Fürstenschule nach der Aufhebung des Klosters dessen wichtigste Gebäude überlassen wurden, die sie teilweise noch bis ins 19. Jahrhundert nutzte.
Das Blatt bildet die räumliche Situation getreu im Sinne einer Vedute ab; die unterschiedlichen, den Eingang einfassenden Steinquader sind noch heute genauso vorhanden wie auch der Riss im Mauerwerk des Scheitels unverändert erkennbar ist, zudem hat sich in einem Nachbarraum eine Holztür mit dem gleichen Türgriff erhalten wie ihn Friedrich abbildet.(Anm. 2) Bei allen mimetischen Qualitäten des Aquarells ist aber auch das Bemühen um eine Komposition spürbar: Nicht nur die Tatsache, dass der Blick aus einem eher dunklen Raum in einen anderen, lichtdurchfluteten geht, Friedrich hier also eines seiner Leitmotive des in einer Maueröffnung erscheinenden Lichtes aufgreift, ist ein Indiz dafür, doch auch wie der Durchgang genau in die Mitte gesetzt wird, und zu den Seiten sowie oben und unten rahmende Streifen stehenbleiben, zeigen das Bemühen bereits in der Naturstudie um eine bildhafte Komposition. Friedrich hat das leicht aquarellierte Blatt sicher vor Ort ausgeführt, die Farbproben an den Rändern unterstreichen den Studiencharakter, doch wird er an eine weitere Ausarbeitung gedacht haben, möglicherweise zunächst auch als Aquarell.(Anm. 3) Ein Aquarell ist allerdings nicht bekannt, doch ist die Zeichnung in seinem Atelier geblieben, denn später hat er das Motiv im Atelier in eine bildmäßig ausgeführte Sepia und in ein Ölgemälde übertragen. Auf dem kleinformatigen Gemälde, das Börsch-Supan um 1827 datiert (Anm. 4), hat Friedrich die räumliche Situation etwas verändert, denn hier zeigt er den Blick von einem Innenraum in einen zweiten Innenraum mit einem vergitterten Fenster. Auf der Sepia hingegen hat Friedrich die Komposition des Hamburger Aquarells wörtlich in eine etwas größere Darstellung – das Hamburger Motiv misst etwa 215 x 180 mm - übernommen, einzig der Strauch im lichterfüllten Außenraum ist durch zwei junge Tannen ersetzt.(Anm. 5) Allerdings hat Friedrich in der Sepia die Wirkung des von außen einfallenden Lichts im Sinne seiner Lichtmetapher gesteigert.
Die Sepia hat Werner Sumowski zeitlich mit dem um 1826 entstandenen Lebensalterzyklus in Hamburg in Zusammenhang gebracht (Anm. 6), während Jens Christian Jensen eine Entstehung in den Jahren 1822 oder 1824 annahm, als Friedrich den mit seiner Familie nach Meißen umgezogenen Georg Friedrich Kersting besuchte.(Anm. 7) Die von Börsch-Supan (Anm. 8) vorgeschlagene Datierung in die Spätzeit um 1835-1837 ist jedoch vor allem im Vergleich mit der Sepia Eule in gotischem Fenster in St. Petersburg (Anm. 9) wahrscheinlicher, der auch Hinrich Sieveking und Chritina Grummt folgen. Die Hamburger Naturstudie datierte Sumowski „in ihrer bedachten schraffurenreichen Zeichenweise unter Betonung des Prismatischen der Architektur“ um 1820 oder etwas später; sie dürfte während der für die Zeit um 1822 und für Oktober 1824 (Anm. 10) dokumentierten Aufenthalte in Meißen bei Kersting entstanden sein, möglicherweise angeregt durch Kerstings Innenraumbilder. (Anm. 11)

Peter Prange

1 Kuhlmann-Hodick, S. 123
2 Vgl. Kuhlmann-Hodick 1996, S. 124-125
3 Sieveking 1997, S. 80
4 Toreingang in Meißen, Öl/Lw, 31 x 25 cm, Privatbesitz, vgl. Börsch-Supan 1973, S. 408-409, Nr. 354, Abb.
5 Kammereingang in der Klosterkirche Heilig Kreuz bei Meißen, Bleistift, Pinsel in Braun, 228 x 194 mm
6 Sumowski 1970, S. 153
7 AK Heidelberg 1964, S. 55, bei Nr. 174
8 Börsch-Supan 1973, S. 461, Nr. 458, Abb.
9 Eule in gotischem Fenster, Bleistift, Pinsel in Braun, 378 x 256 mm, St. Petersburg, Staatliche Eremitage, Inv.-Nr. 43908, vgl. Grummt 2011, S. 889-890, Nr. 983, Abb.
10 Vgl. Grummt 2011, S. 785-786, Nr. 860 und 861
11 Vgl. Sieveking 1997, S. 80

Details about this work

Beschriftung: Unten in der Mitte bezeichnet: "Eingang zur Fürstenschule in Meissen." (Feder in Grau)

Beschriftung fremd: Auf dem Verso: oben rechts bezeichnet: "27" (?, Bleistift); unten links: "Caspar David Friedrich f / + zu Dresden d. 7 Mai 1840." (Dahls Nachlassvermerk)

Grummt 854, Hinz 724,

Erworben 1906 von Harald Friedrich, Hannover

Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, Helmut Börsch-Supan, Karl Wilhelm Jähnig, 1973, S. 408, 461, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. bei Kat. Nr. 354, bei Kat. Nr. 458

Zur Deutung der Kunst Caspar David Friedrichs, Helmut Börsch-Supan, 1976, S. 210-211, Abb.-Nr.

Caspar David Friedrich-Studien, Werner Sumowski, 1970, S. 153, Abb.-Nr.

Caspar David Friedrich, Gerd Unverfehrt, 1984, S. 88, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. bei Nr. 32

Caspar David Friedrich und die Landschaft der Romantik, Willi Wolfradt, 1924, Abb. S. 90 auf S. 217, Abb.-Nr.

Romantik im deutschen Norden. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e.V., Hamburg; Hamburger Kunsthalle, 1937, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 122

Caspar David Friedrich 1774-1840, Herausgeber: Werner Hofmann; Hamburger Kunsthalle, 1974, S. 261, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 169, Abb.

Kunsthalle zu Hamburg. Ausstellung von Aquarellen aus dem Besitz des Kupferstichkabinetts, Gustav Pauli; Hamburger Kunsthalle, 1921, S. 12, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 29

Tyska Teckningar från 1800-och 1900-talen; Nationalmuseum Stockholm, 1955, S. 8, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 28

Caspar David Friedrich. Pinturas y dibujos; Museo del Prado, Madrid, 1992, S. 208, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 68, Abb.

Caspar David Friedrich. Der künstlerische Weg, Thomas Kellein; Kunsthalle Bielefeld, 1998, S. 153, Abb. S. Taf. o.S., Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 66

Kunsthalle zu Hamburg. Verzeichnis der Geschenke und Erwerbungen des Jahres 1906, Alfred Lichtwark, 1906, S. 42, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 104

Caspar David Friedrich - seine Zeichnungen in der Hamburger Kunsthalle; Hamburger Kunsthalle, 1990, S. 10, 35, Abb. S. 25 auf S. 27, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 44

Kunst in Dresden 18.-20. Jahrhundert. Aquarelle - Zeichnungen - Druckgraphik. Ausstellung zur Erinnerung an die Gründung der Dresdner Kunstakademie 1746; Kurpfälzisches Museum, Heidelberg, 1964, S. 55, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. bei Kat. Nr. 174

Caspar David Friedrich. Die Erfindung der Romantik, Herausgeber: Hubertus Gaßner; Museum Folkwang, Essen; Hamburger Kunsthalle, 2006, S. 372, Abb. S. S. 238, Abb.-Nr.

Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk, Marianne Bernhard, Hans H. Hofstätter, 1974, S. 813, Abb. S. S. 722, Abb.-Nr.

Deutsche Zeichenkunst der Goethezeit. Handzeichnungen und Aquarelle aus der Sammlung Winterstein, München, 1958, S. 27, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. bei Nr. 40

Deutsche Zeichnungen 1800-1850 aus der Sammlung Winterstein; Lübeck, 1969, S. 36, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. bei Nr. 50

Von Füssli bis Menzel. Aquarelle und Zeichnungen der Goethezeit aus einer Müncher Privatsammlung, Hinrich Sieveking; Kunstsammlungen zu Weimar, Haus der Kunst, München, Städelsches Kunstintitut und Städtische galerie, Frankfurt am Main, 1997, S. 80, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. bei Nr. 22

Die Kunst des 19. Jahrhunderts, Propyläen - Kunstgeschichte, Bd. 11, Berlin 1966, Rudolf Zeitler, 1966, S. 193, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 9

Caspar David Friedrich. Die Zeichnungen. Das gesamte Werk, Christina Grummt, 2011, S. 27, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 854

Caspar David Friedrich. Die Zeichnungen. Das gesamte Werk, Christina Grummt, 2011, S. 27, 349, 776, 779-781, Abb., 860, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 854, bei Nr. 348, bei Nr. 852, bei Nr. 951

Caspar David Friedrich: Leben und Werk, Jens Christian Jensen, 1999, S. 40, 146, Abb. S. 29, Abb.-Nr.

Zwei Aquarelle Caspar David Friedrichs in Dresden und Anger, Petra Kuhlmann-Hodick, 1996, S. 123, Abb.-Nr.

Die Kunst der Wahrnehmung, Caspar David Friedrich als Zeichner, Christina Grummt; Herausgeber: Margit Kern, Thomas Kirchner, Hubertus Kohle, 2004, S. 274-286, Abb.-Nr.

Caspar David Friedrich als Zeichner. Ein Beitrag zur stilistischen Entwicklung und ihrer Bedeutung für die Datierung der Gemälde, Sigrid Hinz, 1966, S. 117, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 724

Zur Frage der Repliken bei C. D. Friedrich, Werner Sumowski; Herausgeber: Kurt Wettengl, 1990, S. 45, Abb.-Nr.

Vergleich: Caspar David Friedrich - wo alles begann, Friedrich, Caspar David , 1774-1840 (KünstlerIn); Birkholz, Holger , 1968- (HerausgeberIn); Kuhlmann-Hodick, Petra , 1958- (HerausgeberIn); Buck, Stephanie , 1964- (HerausgeberIn); Wagner, Hilke , 1972- (HerausgeberIn); Alpermann, Linda (VerfasserIn); Amstutz, Nina , 1983- (VerfasserIn); Bielmeier, Katrin , 1975- (VerfasserIn); Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Herausgebendes Organ); Kupferstich-Kabinett (Gastgebende Institution); Albertinum (Gastgebende Institution); Sandstein Kommunikation GmbH (Verlag), 2024, S. 164, Abb. S. 164, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 170

Bleistift, Pinsel in Braun, Aquarell 275mm x 216mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 41107 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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