Philipp Otto Runge

Not des Vaterlandes - Vorzeichnung zur geplanten Vorderseite des Umschlags zum "Vaterländischen Museum", 1809

Die zweite Fassung des Entwurfs zur Vorderseite des Umschlags zum „Vaterländischen Museum“ hat Daniel beschrieben: „Unten in der Mitte ein geborstenes Herz, in welches ein Engel mit dem einen Fuße tritt, und in seiner rechten Hand eine Ruthe erhebt, um es zu peitschen. An jeder der beiden Seiten bis auf die Hälfte steht ein Spaten, die Schärfe nach unten gekehrt; darüber erhebt sich dann eine Hellebarde. Unten von dem Herzen aus sprießt die Ranke einer Passionea, sie umwindet mit ihren Blättern Spaten und Speer, oben in der Mitte aber kommen ihre Blumen zusammen und bedecken das Janushaupt, das dort an einem quer über die Spitzen der Speere liegenden Stabe hängt.“ (Anm. 1)
In der „weniger schneidend deutlichen“ Fassung ersetzte Runge das Motiv der Wiedergeburt – symbolisiert durch das Pflügen über dem Gefallenen – durch einen ruten- oder fackelschwingenden Engel, der in ein geborstenes Herz tritt. Feilchenfeldt hat darauf hingewiesen, dass es sich entgegen Daniels Angabe um eine Fackel handelt, was angesichts der Rückseite, auf der das Herz in Flammen steht, wahrscheinlich ist. Die Fackel als Symbol der Liebe verkörpert zusammen mit dem Januskopf die Wiederauferstehung der Nation aus dem geborstenen Herz; Spaten und Hellebarde als Sinnbild für Arbeit und Kampf ermöglichen diese erneute Zeitenwende, an deren Ende die Hoffnung auf die Erneuerung der deutschen Nation steht (Anm. 2). Übernommen hat Runge die Auferstehungssymbolik in Form der sich um Spaten und Hellebarde windenden Passionsblume.
Das der Entwurf trotz der mehr verklausulierten Symbolik für die Zeitgenossen die antinapoleonische Tendenz sichtbar war, belegt Brentanos Brief vom 18. März 1810 an Runge: „Das Blatt, wo der umrankte Stab so gefährlich auf Lanzenspitzen ruht, hat mir besonders wohl gefallen, welches jedoch dieser und jener hier, nach seiner Art in den Geist des Künstlers dringend, ein etwas starkes Parforcestück nannte, ihm schienen Heugabeln sicherer zur Unterlage, besonders da unten schon Spaten stünden. Mögen doch die Leute, die das Herz zerspaltet haben, auch auf diese Art Umschlag und Inhalt beurtheilen, damit sie dem vaterländischen Unternehmen nicht die Wurzeln abstechen; denn ich und andre Freunde haben bereits besorglich für den Fortgang der Zeitschrift mannichfaltig reden hören und hauptsächlich wegen des etwas zu scharf und bizarr ausgesprochnen und bey aller Umsichtlichkeit zu Deutsch deutlichen Circulars.“ (Anm. 3) Auch Daniels Vergleich mit Rückerts „Geharnischten Sonetten“ (Anm. 4), die dieser 1813 unter Pseudonym gegen die napoleonische Fremdherrschaft veröffentlichte, zielt in diese Richtung.
Im Gegensatz zur Datierung in das Jahr 1809 auf der Rückseite des Blattes gibt Daniel als Entstehungsjahr 1810 an; sollte Daniels Datierung zutreffend sein, kämen nur Januar und Anfang Februar in Frage, da Runge bereits am 9. Februar Brentano bittet, bei Gugitz wegen der geplanten Übertragung in den Holzschnitt anzufragen: „Ich oder Perthes sind nächstens so frey, Ihnen eine Zeichnung zu einen Umschlag um ein Journal einzuschicken, den ich gemacht, wir bitten, daß Sie die Mühe übernähmen, mit Herrn Prof. Gubitz daselbst darüber zu sprechen, ob er uns nicht bald damit helfen könte, sie sollte den vierten Theil so groß in Holz geschnitten werden, ich denke, er könte, da es eigentlich der halbe Theil nur ist, diese Reduzieren mit einen Storchschnabel leicht bewerkstelligen.“ (Anm. 5)
Für das Motiv des fackeltragenden Engels hat Klemm als Anregung auf einen geflügelten Putto in einem Kupferstich von Giorgio Ghisi nach Luca Pennis „Apoll und die Musen auf dem Parnass“ verwiesen (Anm. 6), doch sind die motivischen Übereinstimmungen nur allgemeiner Natur. Gleichwohl ist die Anregung durch ähnliche Motive Raffaels und dessen Nachfolge wahrscheinlich.

Peter Prange

1 HS I, S. 360.
2 Vgl. dagegen die Deutung bei Traeger 1975, S. 76, die davon ausgeht, dass das Leid des Krieges, das durch die Rute symbolisiert wird, nur durch Arbeit und Kampf zu überwinden ist.
3 Brief Brentanos vom 18. März 1810 an Runge, vgl. Feilchenfeldt 1974, S. 32-33.
4 HS I, S. 360.
5 Brief vom 9. Februar 1810 an Brentano, vgl. Feilchenfeldt 1974, S. 31-32.
6 Klemm 2012, S. 271, Abb. 34.

Details about this work

Feder in Schwarz, Bleistift 354mm x 234mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34278 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Bildarchiv Hamburger Kunsthalle / bpk, CC-BY-NC-SA 4.0

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