Philipp Otto Runge

Die Heimkehr der Söhne (Kompositionsentwurf), 1800/1

Knapp zwei Monate nach seiner Ankunft in Kopenhagen, kurz vor Weihnachten 1799, schrieb Runge an seinen Vater, dass er plane, den Saal im Wolgaster Haus seines Bruders Jakob auszumalen: „Ich werde gegen Frühjahr wohl schwerlich so weit kommen, daß ich mein Versprechen halten könnte, Jacob’s Saal auszumahlen; ich habe aber recht viele Gedanken darüber. Es wird keinem so leicht eine solche Arbeit angeboten, worin er einen so freyen Willen, und eine so schöne Gelegenheit, ihn auszuführen, hätte, darum möchte ich das so ungerne fahren lassen.“ (Anm. 1) Offensichtlich trug sich Runge schon länger mit dem Gedanken, „auf die große leere Wand unsere Familie zu mahlen“ (Anm. 2) – darauf deutet zumindest die Formulierung, dass Runge das „Versprechen“ dazu gegeben hatte. Äußerungen am 31. Dezember 1799 und am 6. März 1800 Daniel gegenüber (Anm. 3) über den Fortgang der Arbeiten klingen weniger optimistisch als es Traeger Glauben machen möchte, doch am 14. Mai 1800 berichtet Runge, dass er mit den Entwürfen zur „Composition bald zu Ende“ ist, die er den Professoren zur Begutachtung vorlegen wolle (Anm. 4), und fährt fort: „Wegen des Familienstück ist’s recht mein Ernst, nur sehe ich die Ausführung noch nicht recht ein, aber mein Freund Böhndel, der bey Juel mahlt und ein Schüler von dem alten Wiederwelt ist, wird mich mit letzterem bekannt machen und ich habe doch die Hoffnung, damit zu Stand zu kommen. Es wird 12 Fuß lang und 7 hoch, dann behalte ich noch 3 Fuß auf jeder Seite Platz; wie der und die übrigen Wände verziert werden sollen, darüber will ich jetzt noch nichts laut werden lassen.“ (Anm. 5) Mitte Juni waren „diverse Skizzen“ dazu fertig (Anm. 6), und am 23. August berichtete Runge Goethe von einigen Kompositionen, die als Zimmerverzierungen für seinen Bruder gedacht seien, und „erst in schwarz und weißer Kreide zu zeichnen und dann auszumahlen“ seien (Anm. 7). Ende August plante er, bei seiner Rückkehr nach Wolgast im Frühjahr, „alle unsre Bildnisse [zu] machen, die wie ich sie hernach zu dem Familienstück brauchen würde“, doch stehe es ihm „noch immer wie ein fernes Gebürge vor.“ (Anm. 8) Im Januar 1801 schließlich riet Juel, das Gemälde „lieber als Skizze in Oel zu mahlen; dies ist jedoch unterblieben“ (Anm. 9), wie auch die Ausführung als Wandgemälde (Anm. 10) ausblieb. Daniel bemängelte in der Rückschau denn auch, dass das Vorhaben „seinen damaligen Kräften, zumal in der Ausführung, ganz unangemessen“ (Anm. 11) gewesen sei, und die „ungebührliche Größe“; „sie hätten „als kleinere Cabinetstücke ohne Zweifel […] eine angenehmere Würkung gemacht.“ (Anm. 12)
Runge plante das Gemälde zunächst als Innenraumszene, wozu sich eine ausführliche, durch Daniel überlieferte Beschreibung Runges (Anm. 13) und zwei Gesamtentwürfe erhalten haben, die weitgehend Runges Beschreibung entsprechen (Anm. 14). Zu dieser ersten Fassung gehört auch Inv. Nr. 1938-38, die die genaue Konstruktion des Innenraums mit dem Mobiliar zeigt, in den einige der beteiligten Personen als Aktfiguren hineingezeichnet sind. Runge hat erst die räumlichen Fragen geklärt, um in einem zweiten Schritt die Verteilung der Figuren im Innenraum zu klären, doch nimmt es darin nicht die räumlichen Angaben – wie Traeger meint - eines Gesamtentwurfs in ehemaligen Privatbesitz vorweg (Anm. 15), sondern bezieht sich eindeutig auf der ersten Entwurf in Berlin, der als Bilderschmuck im Zentrum den „Triumph Amors“ zeigt (Anm. 16). Das Heimkehrmotiv links, das von der Türöffnung eingefasst wird, die Begrüßungsszene rechts daneben und das Mädchen im Vordergrund, das eine Katze durch einen Reifen springen lassen will, verdeutlichen diesen Bezug (Anm. 17).
Bettina Baumgärtel hat darauf hingewiesen, dass das Heimkehrermotiv auf Angelika Kaufmanns Gemälde „Die Rückkehr des Telemach“ von 1777 zurückgeht, das Runge durch den Punktierstich William Wynne Rylands bekannt gewesen sein könnte (Anm. 18). Auf ihm umarmt ebenfalls am linken Rand der junge Telemach die von einer Treppe herabsteigende Penelope in ähnlicher Weise; es handelt sich dabei aber um keine Kopie, sondern eine eigenständige Anverwandlung, in der Runge die Figuren aus ihrem erzählerischen Kontext löste, sie in ein reales Ereignisbild übersetzte und ihnen portraithafte Züge gab.
Wie sehr es Runge dabei zunächst aber um die perspektivische Festlegung des Innenraums ging, belegt auch die Konstruktionszeichnung auf Inv. Nr. 1938-73 verso. Auf ihr zeichnete Runge neben den perspektivisch fluchtenden Bodenplatten die Horizontlinie und den Fluchtpunkt genau ein. Das Zimmer ist als Kastenraum angelegt, in den Runge die beteiligten Personengruppen als Aktfiguren im Kontur eingezeichnet hat (Anm. 19). Die Figurengruppe mit der Mutter und Mienchen entspricht der ehemals in Privatbesitz befindlichen Fassung (Anm. 20), doch sind die Figuren im Gegensinne angeordnet. Offensichtlich plante Runge, die Komposition in umgekehrter Abfolge auszuführen, so dass die Heimkehrer von rechts das Zimmer betreten hätten.
Orientierte sich Runge in den Interieurszenen nicht nur in der Adaption von Motiven Angelikas Kaufmanns sondern auch in der friesartigen Komposition und der ausdrucksstarken Gebärden noch am Klassizismus, so markieren die Außenraumszenen einen freieren Umgang mit Komposition und Sujet, der den Übergang vom Klassizismus zur Romantik andeutet. Zwei Entwürfe zu den Außenraumszenen haben sich erhalten, die durch ähnliche Darstellungen Juels und Tischbeins angeregt sind. Tischbeins Rückkehrszene in der Albertina (Anm. 21) zeigt nicht nur motivische Ähnlichkeiten, sondern auch stilistische Parallelen mit Runges Entwurf in Stuttgart (Anm. 22), der Traeger zufolge wohl im Herbst 1800 entstanden ist. Danach ist der Hamburger Entwurf (Inv. Nr. 34128) entstanden, den Daniel ausführlich beschrieben hat: „Getuschte Skizze. 1800 in Kopenhagen. […] Die Zeichnung stellt den Eintritt des ältesten Sohnes, und des Künstlers, aus der Fremde zu einem Besuch dar. Die Scene ist in dem Garten des Vaters vor dem niedrigen, mit Brettern gedeckten Gartenhause, in welchem die Thür und ein Fenster offen stehen. Rechts und links steht ein Baum; rechts meist nach der Mitte hin ein Theetisch. Links, hievon der älteste Sohn in den Umarmungen des Vaters und der Mutter; weiter links davon legt die älteste Schwester die eine Hand auf des Vater Schulter und streckt die andre nach dem Bruder Karl aus, welcher dort unter dem Baum stehend den ankommenden Bruder Otto, dem der Reisemantel vom Rücken sinkt, auf das innigste umfasst. Rechts im Bilde hebt sich der Bruder David in die Höhe hinter einer sitzenden, auf der Guitarre spielenden Frau; von da an weiter links hin sind mehrere ältere und jüngste weibliche Familienmitglieder (es war außer der zweyten Schwester in Mecklenburg noch keines der Geschwister verheirathet oder mit Kindern gesegnet, daher die Fictionen unterlaufen) und der Bruder Jacob theils an der Erde im Blumenkramen und mit Schattenrissen, die an die Wand gehängt werden sollen, beschäftigt, jedoch alle zu dem von den Eltern umarmten Bruder freudig aufblickend, dem auch der Bruder Gustav zueilt.“ (Anm. 23)
Runges Bruder Joachim David legt den Arm auf die Schulter der vor ihm Gitarre spielenden, von Daniel unbenannten Frau, die Traeger zu Recht als Davids Braut identifiziert. Er schließt auch aus Analogien zur ersten Fassung, dass es sich bei der davor knienden Frau und dem Mädchen mit dem Schattenriss um Runges Schwester Ilsabe Dorothea Helwig und ihre Tochter Christine handelt. Links daneben kniet Jacob mit seiner Braut Frederike Petersen und Lottchen (Anm. 24); bei den beiden Mädchen hinter dem Tisch dürfte es sich dagegen nicht um Runges Schwester Maria Elisabeth und seine Nichte Wilhelmine Helwig handeln; Maria Elisabeth erscheint nach Stolzenburgs Beobachtungen links neben dem Vater, während es sich bei der hinter dem Tisch stehenden Frau um Christine Helwig und der der am Tisch sitzenden um Christine Helwig handelt (Anm. 25).
Über einzelne motivische Anregungen wie etwa das Begrüßungsmotiv, das von Chodowiecki angeregt ist(Anm. 26), hat Traeger darüber hinausgehend für die überlängten Proportionen der Figuren auf den Einfluß von Runges Lehrer Abilgaard hingewiesen (Anm. 27), auf den auch die prononcierte Lichtregie mit dem abgedunkelten Vordergrundbereich, der mit dem lichterfüllten Mittelgrund kontrastiert, zurückgehen dürfte (Anm. 28). Die Lichtwirkung, die bereits die spätere Tendenz, dem Licht einen von den Gegenständen abgelösten Eigenwert zuzuweisen, in sich trägt, führt in der Kombination von malerischer Pinsel- und konturierender Federzeichnung aber zu einer insgesamt verfestigten Bildstruktur und im Gegensatz zur friesartigen Geschlossenheit auf dem Stuttgarter Blatt zu einer tendenziellen Gruppenbildung. Sie wird im Verhältnis zum Umraum durch die Übergröße der Figuren noch gesteigert und verleiht der Szene einen bühnenartigen Charakter. Deutlich ist ein von Pathosformeln nicht freies Streben nach Monumentalität, mit der Runge eine „intime und oft leicht anekdotische Bildgattung“ (Anm. 29) in den Rang der Portraitkunst erhebt.

Peter Prange

1 Brief vom 10. Dezember 1799 an den Vater Daniel Nikolaus Runge, vgl. HS I, S. 363.
2 Brief vom 14. Mai 1800 an Daniel, vgl. HS I, S. 363.
3 Vgl. HS II, S. 38 und S. 46.
4 Vgl. HS I, S. 363.
5 Vgl. HS I, S. 363.
6 Karl Friedrich Degner (Hg.): Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, Berlin 1940, S. 47.
7 Hellmuth Freiherr von Maltzahn: Runges erster Brief an Goethe, in: Festschrift für Albert Leitzmann, herausgegeben von Ernst Vincent und Karl Wesle, Jena 1937, S. 101.
8 Brief vom 30. August 1800 an den Vater Daniel Nikolaus Runge, vgl. HS II, S. 55.
9 Vgl. HS I, S. 363.
10 Allgemein wird davon ausgegangen, dass Runge das Wandgemälde als Fresko ausführen wollte, doch muss fraglich bleiben, ob er dazu technisch fähig war. Zu diesem Zeitpunkt sind keine Berichte bekannt, die Runges Vertrautheit mit der damals in Norddeutschland ungewöhnlichen Technik belegen, weshalb eher ein großformatiges Leinwandgemälde in Frage kommt.
11 Vgl. HS I, S. 362.
12 Vgl. HS I, S. 364.
13 Brief vom 13. Juni 1800 an den Bruder Karl, vgl. Degner 1940, S. 47-48.
14 Entgegen Isermeyer 1940, S. 126, und Berefelt 1961, S. 127, bezieht Traeger 1975, S. 286-287, Nr. 117, Daniels Beschreibung auf einen verschollenen „Zwischenentwurf“.
15 Die Heimkehr der Söhne, lavierte Federzeichnung, Maße und Standort unbekannt, vgl. Traeger 1975, S. 287, Nr. 118, Abb.
16 Die Heimkehr der Söhne, Bleistift, Feder und Pinsel in Grau, 240 x 406 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 23, vgl. Traeger 1975, S. 286, Nr. 114, Abb.
17 Berefelt 1961, S. 131, sieht das Motiv wie auch allgemein das Sujet von ähnlichen Darstellungen Hardorffs beeinflußt, vgl. dessen Familienbildnis, Feder in Braun, 230 x 315 mm, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 42961.
18 Bettina Baumgärtel: Lasset die Kindlein zu mir kommen. Anglika Kauffmann und Philipp Otto Runge., in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 2009, S. 196, Abb. 2.
19 Schubert 2013, S. 139, hat darauf hingewiesen, dass Runge damit die Arbeitsweise von Historienmalern adaptierte, „da er das Bild wie einen perspektivischen Bühnenraum vorbereitet, in dem er das Figurenpersonal, das in seinen Bewegungen zuvor genau nach dem nackten Modell studiert wurde, anschließend platzierte.“
20 Traeger 1975, Nr. 118.
21 Ehemals Johann Friedrich August Tischbein zugeschrieben, Rückkehrszene, schwarze Kreide, Pinsel in Grau, 193 x 196 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 24439, vgl. Runge 1977, S. 152, und Mildenberger 1986, S. 39.
22 Die Heimkehr der Söhne, Bleistift, Pinsel in Grau, 348 x 475 mm, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv. Nr. 23, vgl. Traeger 1975, S. 287, Nr. 119, Abb.
23 Vgl. HS I, S. 363-364.
24 Mit „Lottchen“ ist Wilhelmine Charlotte Christiane Schilling gemeint, Halbschwester des Buchhändlers Friedrich Perthes und seit 1802 Ehefrau Johann Heinrich Bessers, vgl. Stolzenburg 2012, S. 157, Anm. 40.
25 Stolzenburg 2012, S. 153.
26 Vgl. etwa Chodowieckis Kupferstich für Carl Langs „Almanach“ von 1796 „Glück der Liebe“, vgl. Feist 1979, S. 18.
27 Traeger 1975, S. 28.
28 Bertsch 2009, S. 25.
29 Berefelt 1961, S. 132.

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Feder und Pinsel in Grau und Schwarz 447mm x 630mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34128 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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