Marcantonio Raimondi, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Zeichner, Erfinder
nach Raffael (Werkstatt), Maler

Jupiter liebkost Amor, um 1517 - 1520

Knapp fünf Jahre nachdem Raffael das Wandbild mit dem Triumph der Galatea (Inv.-Nr. 293) gemalt hatte, beauftragte Agostino Chigi den Künstler mit weiteren Ausstattungsarbeiten in seiner Villa. Diesmal ging es um die Loggia im Eingangsbereich. Sie sollte mit Szenen aus dem Mythos von Amor und Psyche zwischen Wohnraum und umgebender Natur vermitteln (siehe Ausst.-Kat Raffael. Wirkung eines Genies 2021 Kat. 56–62). Das Programm nimmt Bezug auf die Hochzeit von Agostino Chigi mit Francesca Ordeaschi am 28. August 1519. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die weitgehend von Raffael entworfenen Malereien vornehmlich von seiner Werkstatt ausgeführt worden.

Raffael fasste die überdachte, zum Gebäude gehörige Loggia als Außenraum in Gestalt einer offenen Pergola auf. (Anm. 1) Die vorhandene Wandgliederung schmückte er mit üppigen Fruchtgirlanden. Zwei große querrechteckige Deckenbilder zeigen Teppiche, die vorgeben, als würden sie als Schattenspender dienen. Dabei wird der Illusionismus so weit getrieben, dass sogar Befestigungslaschen und die Zugspannung der Gewebe erkennbar sind. (Anm. 2) In diesen beiden Feldern sind der Rat der Götter im Olymp (Inv-Nr. 550) und die Hochzeit zwischen Amor und Psyche dargestellt. In den darunter befindlichen sphärischen Dreiecken, den Pendentifs, sind weitere Episoden aus der Erzählung zu sehen. Diese spielen – entsprechend dem Ort der Anbringung – ausschließlich im Himmel.

Während die beiden Hauptszenen zurückhaltend rezipiert worden sind, fanden die Pendentif-Malereien großes Interesse der Reproduktionsgraphiker. (Anm. 3) Dies lag wohl gleichermaßen an der Eleganz der Figurenkompositionen, wie auch an ihrer unübersehbaren Sinnlichkeit – feiern doch Raffaels Entwürfe die Schönheit weiblicher und männlicher Körper. Zu den frühesten Reproduktionen dieser Erfindungen zählen Raimondis Darstellungen von Jupiter liebkost Amor und Amor und die drei Dienerinnen. (Anm. 4) Auf den ersten Blick wirken beide Kupferstiche wie genaue Kopien der Deckenbilder, doch sprechen einige Indizien gegen diese Annahme. (Anm. 5) So zeigen Marcantons Pendentifs unter Verzicht auf die Festons strenge architektonische Rahmungen. Auch gibt es Abweichungen, etwa im Gesichtsausdruck, den Fältelungen der Gewänder oder der Muskulatur. Wahrscheinlich standen demnach Raimondi heute nicht mehr achweisbare Zeichnungen Raffaels als Vorlagen zur Verfügung.

Die Zuschreibung der Kupferstiche an Raimondi war nicht unumstritten, doch hat sich mittlerweile die Autorschaft des Künstlers nahezu einhellig durchgesetzt. (Anm. 6) Die Graphiken bieten signifikante Beispiele für Raimondis Stecherkunst. So vermag er vor allem bei Amor und den drei Dienerinnen den Körpern durch differenzierte Strichlagen starke Plastizität zu verleihen. Überzeugend ist auch die Wiedergabe unterschiedlicher Materialien wie Federn und Haare. Raimondis Zutat ist eine starke Helldunkel-Kontrastierung, die bei den Frauenkörpern einen metallischen Eindruck entstehen lässt. Diese Charakteristika deuten auf Marcantons Spätstil hin, den dieser nach Raffaels Tod entwickeln sollte. Die Entstehung der Kupferstiche dürfte sehr zeitnah zur Ausführung der Malereien, also etwa 1517–
1520, anzusetzen sein. (Anm. 7)
David Klemm

LIT (Auswahl): Bartsch XIV (1813), S. 257, Nr. 342; Shoemaker 1981, S. 148–149,
Nr. 44; Höper 2001, S. 349, Nr. E 8.8 (mit älterer Lit.); Mantua/Wien 1999, S.
134–135, Nr. 75 (Beitrag Achim Gnann)

1 Buck/Hohenstatt 2013, S. 106.
2 Ebd.
3 Höper 2001, S. 348–359.
4 Die Szene wird häufig auch mit Amor und die drei Grazien bezeichnet, doch deutet keinerlei Attribut auf diese Zuordnung hin. Die Szene ist bei Apuleius nicht überliefert. Womöglich sieht man hier die Episode, in der Amor seine Dienerinnen zu der von ihm umworbenen Psyche schickt; vgl. Höper 2001, S. 348.
5 Zur Diskussion siehe Ausst.-Kat. Mantua/Wien 1999, S. 134.
6 Raimondi schuf noch eine dritte Darstellung mit dem fliegenden Merkur; Höper 2001, S. 348–349, Nr. E 8.7.
7 Ausst.-Kat. Mantua/Wien 1999, S. 134.

Details about this work

Kupferstich 316mm x 212mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 287 Collection: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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