Albrecht Dürer

Kopf eines schlafenden Kindes, 1520

Früher unter den deutschen Anonymen inventarisiert, hat erstmals Winkler 1929 das Blatt Dürer zugeschrieben.(Anm. 1) Dabei bezog er sich auf die Nähe zu den ebenfalls zwischen 1519–22 entstandenen Grisaille-Zeichnungen in Bremen, Berlin und Erlangen.(Anm. 2) Wie sehr Dürer sich in diesen Jahren mit der Technik der Grau-in-Grau Zeichnung beschäftigt hat, zeigt auch der 1520 datierte „Kopf einer Frau“ aus London.(Anm. 3) Übereinstimmungen zur Darstellung unseres Blattes finden sich dagegen in den um 1521 geschaffenen „Engelsköpfen“, deren gemeinsames Merkmal der Wolkensaum am unteren Rand ist.(Anm. 4)
Die Datierung am oberen Rand des Blattes stammt eindeutig von Dürer, das Monogramm scheint dagegen von fremder Hand später hinzugefügt worden zu sein. Rätselhaft bleibt weiterhin die Funktion und Bedeutung der Zeichnung innerhalb von Dürers Werk. Überzeugend ist die Nähe des „Schlafenden Kindes“ zur Darstellung des Jesuskindes im New Yorker Gemälde der „Anna Selbdritt“ von 1519 (Anm. 5), auf die Flechsig hinwies.(Anm. 6) Für die Hl. Anna schuf Dürer eine ebenfalls mit Tusche in Schwarz und Grau hinterlegte Vorzeichnung.(Anm. 7) Die Hamburger Zeichnung ist jedoch später entstanden und kann somit nicht als Vorstudie für das Gemälde gedient haben. Winkler vermutete daher 1957, dass es sich bei unserem Blatt um eine Kopie Dürers nach dem eigenen Gemälde handeln könnte.(Anm. 8) Wesentlich zurückhaltender äußerten sich Tietzes, die in der Zeichnung zwar ein Werk von Dürers Hand sehen, den schwarzen Grund aber für später hinzugefügt halten.(Anm. 9) Sie verwiesen auf den Zusammenhang zu Dürers 1520 datiertem Kupferstich der „Maria mit dem Wickelkind“ (Bartsch 38). Ob es sich jedoch bei unserer Zeichnung tatsächlich um die Vorlage für diesen Stich handelt, ist nicht eindeutig zu sagen. Auch die Vermutung, ein unbekannt gebliebenes Gemälde als Schlüsselwerk der zur gleichen Zeit entstanden Kinder- und Engelsköpfe zu sehen, bleibt hypothetisch.(Anm. 10) Nicht nachzuweisen ist ebenfalls Anzelewskys Vermutung, der in unserer Zeichnung die Vorlage für das in der Imhoffschen Sammlung erwähnte Gemälde „Liegendes Kind in einer Landschaft“ sehen will. Als Beleg nennt er einen Holzschnitt der Dürer-Schule mit der Darstellung eines schlafenden Kindes, das in der Haltung des Kopfes gewisse Ähnlichkeit mit der Darstellung unseres Blattes hat.(Anm. 11)
Die Ausführung der Zeichnung lässt vielmehr darauf schließen, dass Dürer das Blatt zwar im Kontext der Kinder- und Engelsstudien geschaffen hat, das Blatt schließlich aber für den Verkauf bildmäßig vollendete. So vermutet Strauss, dass Dürer den schwarzen Grund erst kurz vor seiner niederländischen Reise 1520 hinzugefügt hat. Ob es sich bei der Zeichnung tatsächlich um die im Tagebuch vom 3. Oktober erwähnte Darstellung „eines gemahlt kinds köpfflein“, die Dürer an den „factor portugals“ verkaufte, handelt, ist jedoch nicht nachweisbar.(Anm. 12) Die durch die Grisaille-Technik betont dramatische Wirkung des Blattes mag dazu beigetragen haben, dass die Darstellung des Kindes als Zustand zwischen Schlaf und Tod gedeutet wurde. Panofsky hat als Erster die Andeutung eines „Zwielichts zwischen Leben und Tod“ formuliert und verwies auf theologische Schriften, die einen tragischen Vergleich zwischen dem Schlaf des Kindes und dem Todesschlaf ziehen.(Anm. 13)

Petra Roettig

1 Vgl. Lippmann-Winkler 1929, S. 19, Nr. 832.
2 Bremen, Kunsthalle bis 1945, vgl. Strauss 1974, Bd. 3, S. 1772, Nr. 1519/9, Abb.; Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, KdZ 17655, vgl. ebd., S. 1768, Nr. 1519/7; vgl. auch Anzelewsky, Mielke 1984, S. 139, Nr. 144 mit Abb.; Erlangen, Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek, vgl. Elfried Bock: Die Zeichnungen in der Universitätsbibliothek Erlangen, Frankfurt 1929, S. 55/56, Nr. 177 und 178. Alle abgebildet in Lippmann/Winkler VII, 1929, Taf. 1a.
3 London, British Museum, Sloane 5218–43, vgl. Kat. London 1993, Bd. 1, S. 98, Nr. 215 u. Bd. 2, Pl. 143.
4 Vgl. Strauss 1974, Bd. 4, S. 2128–S. 2142, Nr. 1521/73–1521/80, Abb., sowie die Berliner Zeichnung (Anm. 2).
5 New York, Metropolitan Museum, Inv.-Nr. D 931–1, vgl. Anzelwesky 1991, S. 259–261, Nr. 147, Taf. 158.
6 Flechsig 1931, S. 466.
7 Wien, Albertina, Inv.-Nr. 3160, vgl. Ausst.-Kat. Wien 2003, S. 478–479, Nr. 167.
8 Winkler 1957, S. 262.
9 Tietze 1937, S. 137, Nr. 735.
10 Vgl. Anzelewsky, Mielke 1984, S. 140.
11 Anzelewsky 1991, S. 287, bei Nr. 185 K mit Abb. des Holzschnittes.
12 Vgl. Dürer. Schriftlicher Nachlass, hrsg. v. Hans Rupprich, Berlin 1956, Bd. 1, S. 158, Z. 134–136.
13 Panofsky 1977, S. 53.

Details about this work

Schwarze Kreide, schwarze Deckfarben, mit weißer Deckfarbe gehöht 259mm x 182mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23911 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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