Hans Baldung Grien

Eva und die Schlange, 1510

Baldung zeigt die Gestalt der Eva, wie sie mit dem Apfel in der Hand den Zuflüsterungen der Schlange lauscht. Vorbild für das Motiv war Dürers berühmter Meisterstich Der Sündenfall von 1504. Im Gegensatz zu Dürers Komposition steht hier die Figur der Eva allein im Zentrum des Blattes. So konzentriert sich die Darstellung ganz auf den Moment nach der Versuchung und betont damit bewusst den moralischen Aspekt des Sündenfalls. Weit mehr als seine Vorgänger hat Baldung das „biblische Thema erotisch aufgefasst und diese Erotik aufs stärkste zur Geltung“ gebracht. Virtuos ist die mit sicherer Kontur umrissene, geschwungene Körperlinie der Eva gezeichnet, die durch feine Kreuzschraffuren modelliert wird. Erst danach scheint die Landschaft wie eine Folie dahintergelegt worden zu sein. Diese Hervorhebung der Figur vor der Landschaft erinnert an Dürers 1507 entstandene Adam und Eva-Tafeln (Madrid, Prado), die Baldung sicher gekannt hat.
Andreas Stolzenburg
Das Blatt wurde wiederholt als Teil einer „Adam und Eva“-Komposition angesehen, zu der es ursprünglich ein zweites, links zu ergänzendes Blatt mit der Darstellung des Adam gegeben habe.(Anm. 1) Die im Zentrum des Blattes, im leichten Kontrapost dem Betrachter zugewandte Figur der Eva ist jedoch eindeutig als Einzelfigur konzipiert. Baldungs Eva steht damit im Kontext einer Bildentwicklung, die unter dem Einfluss von Dürers „Adam und Eva“-Kupferstich von 1504 (Bartsch 1) und seinen Madrider Gemäldetafeln von 1507 das heilsgeschichtliche Thema als erotisches Motiv etablierte.(Anm. 2) So wurde Dürers isolierte Darstellung der Figuren zur Voraussetzung von Cranachs und Baldungs Aktdarstellungen, wobei vor allem Baldung die Präsentation des weiblichen Körpers in den Vordergrund stellt und Eva in der Rolle der Verführerin zeigt.(Anm. 3) Die Hamburger Eva bildet den Auftakt zu einer Reihe von „Adam und Eva“-Darstellungen Baldungs, die zwischen 1510 und 1511 entstanden (Bartsch 1–4). Die Zeichnung steht in engem Zusammenhang mit Baldungs Clair-Obscure Holzschnitt „Lapsus humani generis“ von 1511 (Bartsch 3), in dem der Sündenfall als erotische Handlung inszeniert wird. Im „Adam und Eva“-Holzschnitt von 1519 (Bartsch 2) kehrt das Motiv des zweiten Apfels, den Eva in ihrer linken Hand hält, wieder.(Anm. 4)
Als Vorbild für die Zeichnung gilt Cranachs Venus von 1509, die in der Drehung und Proportionierung des Körpers – anders als Dürers Kupferstich – der Hamburger Eva sehr nahe ist.(Anm. 5) Die akzentuierte Konturlinie betont die Plastizität des Aktes, der sich hell von der Landschaft abhebt. Die auffallend „graphische“ Modellierung von Licht- und Schattenzonen durch Kreuzschraffuren und kleine gebogene Häkchen wie bei einem Kupferstich haben zu der Vermutung geführt, dass die Zeichnung als Vorstudie für einen Stich oder einen Holzschnitt diente.(Anm. 6) Das Blatt erscheint jedoch insgesamt zu eigenständig und ausgearbeitet, um allein nur diese Funktion zu erfüllen. Die aus dichten, parallel gesetzten Schraffen gestaltete Landschaft entwickelt sich im oberen Teil des Blattes zu wolkig gekringelten Laubkronen. Ein vergleichbares Motiv findet sich auf einer Landschaftsstudie Baldungs in Kopenhagen, auf deren Rückseite der Baum des Sündenfalls mit der Schlange abgebildet ist.(Anm. 7) Ein direkter Bezug zu unserem Blatt lässt sich auf Grund des fragmentarischen Charakters der Kopenhagener Zeichnung jedoch nur schwerlich nachvollziehen.

Petra Roettig

1 Vgl. Parker 1928, S. 32; Hartmann 1978, S. 8.
2 Madrid, Museo del Prado, Inv.-Nrn. 2177 und 2178, vgl. Fedja Anzelewsky: Albrecht Dürer: Das malerische Werk, Berlin 21991, S. 212–216, Nrn. 103 und 104, Abb. 121–124.
3 Schoen 2001, S. 178–195.
4 Koch 1941, S. 81, daran anschließend Ausst.-Kat. Freiburg 2001, S. 160. Parker 1928, S. 32 vermutete noch, dass Baldung sich einer Naturstudie bediente, wobei sich das Modell auf eine Stütze lehnte.
5 Lucas Cranach d. Ä: „Venus und Amor“, 1509, Öl auf Leinwand, St. Petersburg, Eremitage, Inv.-Nr. 680, vgl. Max J. Friedländer, Jakob Rosenberg: Die Gemälde von Lucas Cranach, Basel, Stuttgart 1979, S. 72, Nr. 22, Abb.
6 Koch 1974, S. 14.
7 Kat. Kopenhagen 2000, S. 101–102, Abb.

Details about this work

Feder in Schwarz 290mm x 212mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22901 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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