Rembrandt Harmensz. van Rijn, (?)

Landschaft mit einem fast abgestorbenen Baum, um 1650/52

Wie die beiden anderen Landschaften der Zeit um 1650/52 (Inv.-Nr. 22420, 39470) wurde auch dieses Blatt von fremder Hand überarbeitet: Nicht nur die flächig in Hell- und Dunkelgrau abschattierten Partien sind als spätere Ergänzungen zu bewerten, sondern vermutlich auch der vom abgestorbenen Weidenbaum ausgehende belaubte Zweig mit den dürren Ästen.(Anm.1)
Unsere Zeichnung galt vor ihrer Publikation durch Benesch als Kopie nach einer Rembrandt-Zeichnung im Getty Museum.(Anm.2) Als solche wurde sie auch von Holm Bevers auf dem Symposium in der Hamburger Kunsthalle vorgestellt (2008), während Peter Schatborn und Marian Bisanz-Prakken an Rembrandts Autorschaft festhielten.(Anm.3) Dafür spricht schon die große stilistische Nähe zu der auf gleichem Papier gezeichneten Inv.-Nr. 39470. In beiden Fällen thematisierte der Zeichner den Gegensatz zwischen fein schraffierten Partien – dem im Schatten der Bäume gelegenen Gatter – und großzügig gesehenen Laub-gruppen mit ihren teils lappigen, teils schlaufenbildenden Konturen. Übereinstimmend ist auch der sparsame Tintenfluss, der den Zeichnungen dieser um 1650/52 datierenden Gruppe ihren eigentümlich spröden Charakter verleiht.(Anm.4)
Für eine Deutung als eigenhändige Variation der Zeichnung in Los Angeles sprechen zudem die zahlreichen Abweichungen im Motiv. Angefangen von dem ungleich schlichter formulierten abgestorbenen Weidenbaum links bis hin zu den rechts die Straße flankierenden Laubbäumen sind die hier skizzierten Formen in keiner Weise deckungsgleich mit den insgesamt präziser wiedergegebenen Motiven der Getty-Zeichnung. Die beiden Figuren am Ende der Allee fehlen dort, ebenso wie die kirchturmartig spitze Struktur am Ufer des links angedeuteten Gewässers. Etwas unübersichtlich ist hier der Verlauf des Wassergrabens, und das hölzerne Gatter enthält eine zusätzliche Stützstrebe.
Im Vergleich mit unserem Blatt wirkt die Getty-Zeichnung reifer und überlegter in Komposition und Ausführung, und es stellt sich die Frage, ob dies nicht auf den funktionellen Unterschied zwischen Vor-Ort-Aufnahme und Reinzeichnung zurückzuführen ist. Ähnliche Bezüge konnten bei Rembrandt auch für andere in mehreren Fassungen vorliegende Zeichnungen beobachtet werden.(Anm.5)

Annemarie Stefes

1 Darauf verwies schon Stubbe in einem Brief vom 10. 4. 1969 an Eva Benesch.
2 Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Inv.-Nr. 85.GA.95 aus ehemaligem Besitz des Herzogs von Devonshire in Chatsworth, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 6, Nr. 1253.
3 Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; die positive Bewertung wurde von Peter Schatborn in einer E-Mail vom 25. 2. 2008 bestätigt. – Zweifel an Rembrandts Autorschaft äußerten auch die Autoren des Boudewijn Bakker, Mària van Berge-Gerbaud, Erik Schmitz, Jan Peeters: Landscapes of Rembrandt. His favourite walks, Ausst.-Kat. Amsterdam, Gemeentearchief, Paris, Institut Néerlandais, Bussum 1998 und Röver-Kann, in: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, während das Blatt bei Goldner/Hendrix/Williams 1988 als eigenhändige Variante nach der Getty-Zeichnung erwähnt wurde.
4 Zu dieser Gruppe vgl. Holm Bevers: Rembrandt. Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett, Ostfildern 2006, S. 147, bei Nr. 42.
5 Martin Royalton-Kisch: Drawings by Rembrandt and his Circle in the British Museum, London 1992, S. 123; vgl. auch Robinson, in: William S. Robinson, Peter Schatborn: Seventeenth-Century Dutch Drawings - A Selection from the Maida and George Abrams Collection, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Wien, Graphische Sammlung Albertina, New York, The Pierpont Morgan Library, Cambridge (Mass.), The Fogg Art Museum 1991, S. 132 und 134.

Details about this work

Feder in Braunschwarz auf hellbraun getöntem Papier, von späterer Hand überarbeitet mit Pinsel in Hell- und Dunkelgrau, stellenweise ergänzt mit Feder in Braun; Einfassungslinien (Feder in Braun) 126mm x 160mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22818 Collection: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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