Willem van Mieris, (?)
Frans van Mieris (der Jüngere), (?)

Trinkender Mann und Magd in einer Fensteröffnung, nach 1699

Von Emke Elen-Clifford Kocq van Breugel wurde das vormals Frans van Mieris (II) zugeschriebene Blatt der kleinen Werkgruppe der detaillierten Gemäldeentwürfe seines Vaters Willem van Mieris angeschlossen. Das zugehörige Bild an unbekanntem Standort – mit einer schwächeren Replik in Basel – stimmt in den Grundzügen mit der Zeichnung überein.(Anm.1) Abweichungen finden sich im Detail: Auf der Zeichnung ist die Tabaksdose geschlossen, der Mann hält die Pfeife mittig bei auswärts gedrehtem Pfeifenkopf, und der Krug des Mädchens steht auf der Fensterbank. Zudem fehlen das Tischtuch und die kleineren Fischstücke, und das Fenster auf der entgegengesetzten Seite des Raumes ist nicht weit geöffnet, sondern nur angelehnt.
Kürzlich wurden Zweifel an dieser Zuordnung geäußert von Robert-Jan te Rijdt, der auf unserer Zeichnung nicht die von Willem van Mieris gewohnte Qualität beobachtete und alternativ wieder die Hand seines Sohnes Frans van Mieris (II) in Betracht zog.(Anm.2)
Bereits von Harzen wurde das Basrelief unterhalb der Fensteröffnung hervorgehoben. Dieses Motiv geht zurück auf ein verschollenes Original des Francois Duquesnoy. Als fester Bestandteil der Gattung „Fensterbild“ von Gerard Dou (1613–1675) eingeführt, blieb es auch unter seinen Nachfolgern ein Standardmotiv, und dies in besonderer Weise bei Willem van Mieris.(Anm.3) Die Wiedergabe skulptierter Rahmenelemente diente den Künstlern nicht nur zur Präsentation ihrer Fähigkeiten in der Wiedergabe unterschiedlicher Materialien, sondern betonte auch den theatralischen Charakter des Fensterbildes.(Anm.4) Hier bietet die Darstellung des von Putten mit einer Maske erschreckten Ziegenbockes auch die Möglichkeit eines moralischen Subtextes, wenn man die gängige Interpretation des Tieres als Symbol der Libido in Betracht zieht.(Anm.5) Dies umso mehr, als die Gegenüberstellung von Dienstmagd und Zecher nicht frei ist von erotischen Untertönen, die durch die auf dem Fenstersims liegenden Schollen unterstrichen wird.(Anm.6)

Annemarie Stefes

1 Aukt.-Kat. Wien, Dorotheum, 9. 3. 1993, Nr. 246; Kunstmuseum Basel, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 140. Im Gegensinn wurde diese Komposition variiert auf dem 1699 datierten Gemälde „Der lustige Zecher“, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. 1768, Sonntag 2006, Abb. 9.
2 Mitteilung vom August 2009 auf Grundlage einer Digitalphotographie. Die qualitativen Unterschiede werden deutlich im Vergleich mit den unter Inv.-Nr. 22170 erwähnten Figurenstudien. Auch der in der gitterartigen Hintergrundschraffur unserem Blatt vergleichbare „Trompeter im Fenster“, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 22582 wirkt lebendiger und sensibler in Modellierung und Linienduktus; ebenfalls eine Zeichnung in Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts, Sammlung De Grez, Inv.-Nr. 4060/2528. Andere Zeichnungen dieser Gruppe stehen unserem Blatt in der etwas ungelenken Linienführung näher, so z. B. das „Alte Paar an einem Fenster“, London, Courtauld Institute of Art, Inv.-Nr. D.1952 RW.4212, und es stellt sich die Frage, ob diese Zeichnungen nicht ebenfalls von der Hand des jüngeren Frans van Mieris stammen könnten.
3 Bei Dou sind dies z. B. „Der Violinspieler“, 1653, Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein, Vaduz-Wien, Inv.-Nr. GE 150, Ronni Baer, Arthur K. Wheelock jr., Annetje Boersma: Gerrit Dou 1613-1675: Master painter in the age of Rembrandt, Ausst.-Kat. Washington, National Gallery of Art, London, Dulwich Picture Gallery, Den Haag, Koninklijk Kabinet van Schilderijen Mauritshuis, New Haven und London 2000, Nr. 20; „Der Gemüseladen“, 1672, London, The Royal Collection, Ronni Baer, Arthur K. Wheelock jr., Annetje Boersma: Gerrit Dou 1613-1675: Master painter in the age of Rembrandt, Ausst.-Kat. Washington, National Gallery of Art, London, Dulwich Picture Gallery, Den Haag, Koninklijk Kabinet van Schilderijen Mauritshuis, New Haven und London 2000, Nr. 35. Bei Van Mieris der „Geflügelladen“, 1714, Rijswijk, Instituut Collectie Nederland, Inv.-Nr. NK 1652, Stephanie Sonntag: Ein 'Schau-Spiel' der Malkunst. Das Fensterbild in der holländischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 132, Berlin 2006, Abb. 36, oder „Der Trompeter“, 1700, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv.-Nr. 1769, Stephanie Sonntag: Ein 'Schau-Spiel' der Malkunst. Das Fensterbild in der holländischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 132, Berlin 2006, Abb. 38.
4 Stephanie Sonntag: Ein 'Schau-Spiel' der Malkunst. Das Fensterbild in der holländischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 132, Berlin 2006, S. 28, 55–59 und 102–104.
5 Zu der erotischen Konnotation vgl. Hans-Joachim Raupp: Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert, Hildesheim u. a., Univ., Diss. 1984, S. 274; Gegenargumente bei Sonntag 2006, S. 102–103, Anm. 106.
6 Zu dem Symbolgehalt der Scholle vgl. Stephanie Sonntag: Ein 'Schau-Spiel' der Malkunst. Das Fensterbild in der holländischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 132, Berlin 2006, S. 186 mit Verweis auf Van Mieris’ Gemälde „Der Trompeter“, siehe Anm. 2.

Details about this work

Schwarze und weiße Kreide auf blauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 277mm x 183mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22171 Collection: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

We are committed to questioning the way we talk about and present art and our collection. Therefore, we welcome your suggestions and comments.

Feedback