Anonym, Mitte 16. Jahrhundert (italienisch)

Ernennungsurkunde (Commissione dogale) für Michele Memmo, um 1550

Die mit Gold gehöhte Gouache dokumentiert einen Rechtsvorgang der venezianischen Geschichte auf eine für die Serenissima im 16. Jahrhundert ganz typische Weise. Derart kostbar gestaltete Pergamenturkunden wurden den verdienstvollen Vertretern der Stadt aus verschiedenen Anlässen übergeben. Sie sind seit dem 15. Jahrhundert in größerer Zahl bekannt.(Anm.1) In diesem Fall erhielt ein gewisser Michele Memmo unter der Regierung des Dogen Francesco Donato (reg. 1545–1553) das Diplom der Ernennung zum „Potesta“ von Cittadella.
Der mit zahlreichen Rüstungsteilen verzierte Rahmen zeigt ein Bildfeld mit dem vor der Madonna und dem Christuskind knienden Memmo. Sein direkt hinter ihm stehender Namenspatron, der Erzengel Michael, hat die Taten Micheles mit einer Waage gewogen. Da sich diese ganz offensichtlich im Gleichgewicht befindet, kann der Heilige vor der Muttergottes für seinen Zögling eintreten. Unterhalb dieser Szene ist ein von Meerwesen umrahmtes Schriftfeld mit dem Hinweis auf den damals herrschenden Dogen angebracht. Unten links und rechts sind zwei Kartuschen mit einem Wappen sowie einer Datierung, deren Angabe („Anno XXVII“) allerdings nicht mit der gesicherten Regierungszeit des Donato übereinstimmt. Die beiden Bildfelder in den oberen und unteren Rahmenleisten zeigen mit dem Markuslöwen das Wappentier Venedigs und den Phönix. Dessen Bedeutung in diesem Zusammenhang ist nicht bekannt, dürfte aber möglicherweise über die Biographie Memmos zu erschließen sein.
Die vom Entwerfer gewählte Komposition gehört zu einer relativ kleinen Gruppe von Commissionalen, bei denen eine figürliche Darstellung und ein unterhalb davon angeordnetes Schriftfeld von einem weitgehend rechteckigen Rahmen umgeben werden. Dieser Rahmen kann wie auf dem Hamburger Blatt oben und unten mittig von einem Bildfeld – häufig mit einer Darstellung des Markuslöwen – ausgestaltet sein. Zumeist finden sich derartige Felder auch an den Längsseiten. Die rein dekorative Gestaltung dieser Längsseiten auf dem Hamburger Blatt stellt eine bemerkenswerte Ausnahme dar.
Die Zuschreibung der Entwürfe der zahlreichen erhaltenen Commissionalen an konkrete Künstler hat in der bisherigen Forschung große Schwierigkeiten bereitet. Offensichtlich gibt es – im Gegensatz zur besser dokumentierten Ölmalerei – für dieses Gebiet deutlich weniger Quellen. Die Rekonstruktion von Hauptmeistern und Werkstätten ist über Anfänge nicht hinausgekommen.(Anm.2) So werden mangels Alternativen zwei der bislang am besten erforschten Künstler – der Maestro To Ve und Alessandro Merli – immer wieder mit neu publizierten Urkunden in Verbindung gebracht.
Angesichts der Vielfalt der erkennbaren Grundformen und der Unterschiedlichkeit der Darstellungen ist es jedoch relativ schwierig, auf stilistischem Weg eine Ordnung zu erzielen. So weisen z. B. die während der Amtszeit des auch für die Hamburger Urkunde verantwortlichen Dogen Donato geschaffenen Urkunden neben manchen Übereinstimmungen auch deutliche Unterschiede auf. So entsprechen sich zwar das Hamburger und ein Birminghamer Exemplar (Anm.3) hinsichtlich der Anordnung von Schrift- und Bildfeld, doch ist die Rahmengestaltung unterschiedlich. Von diesen beiden Urkunden unterscheidet sich wiederum eine dritte, in Cambridge bewahrte Version.(Anm.4) Eine weitere von Donato beauftragte Urkunde – diesmal für Giovanni Antonio Venier – ist durch ein auffallend großes Bildfeld, den Verzicht auf Schrift und durch die bis in die vier Ecken zurückgedrängte Ornamentik charakterisiert.(Anm.5) Ganz offensichtlich existierten für derartige staatliche Dokumente keine einheitlichen Gestaltungsvorgaben. Und sicher scheint auch, dass die Auftraggeber für diese Arbeiten auf verschiedene Künstler zurückgriffen. Vor diesem Hintergrund ist es angesichts des momentanen Forschungsstandes nicht möglich, für das Hamburger Blatt einen konkreten Entwerfer zu benennen. Annäherungsweise schlug Giuseppe Pavanello eine Herkunft des Künstlers aus dem Umkreis Tintorettos vor.(Anm.6)

David Klemm

1 Ilse Schunke: Venezianische Renaissanceeinbände. Ihre Entwicklung und ihre Werkstätten, in: Studi di bibliografia e di storia in onrore di Tammaro de Marinis, 4 Bde., Mailand 1964, Bd. 4, S. 123-200, S. 123–200.
2 Giulia Maria Zuccolo Padrono: Il Maestro „To. Ve” e la sua bottega miniature veneziane del XVIo secolo (1), in: Arte veneta 25, 1971, S. 53-71, S. 53–71.
3 Birmingham, City of Birmingham Museum and Art Gallery. Vgl. Disegni veneti di collezioni inglesi, bearb. v. Julien Stock, Cataloghi di Mostre 43, Ausst.-Kat. Venedig, Fondazione Giorgio Cini, Vicenza 1980, S. 40–41.
4 Cambridge, Fitzwilliam Museum, Morlay Cutting, I, 46. Abb. bei Giulia Maria Zuccolo Padrono: Il Maestro „To. Ve” e la sua bottega miniature veneziane del XVIo secolo (1), in: Arte veneta 25, 1971, S. 53-71, S. 61.
5 Venedig, Museo Correr, cl. III 140; Abb. bei Giulia Maria Zuccolo Padrono: Il Maestro „To. Ve” e la sua bottega miniature veneziane del XVIo secolo (1), in: Arte veneta 25, 1971, S. 53-71, S. 64.
6 Briefliche Mitteilung – übermittelt von Claudia Crosera – vom 6.10.2005.

Details about this work

Gouache mit Gold gehöht, auf Pergament 235mm x 170mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21591 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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