Anonym, 1. Hälfte 16. Jahrhundert (italienisch)

Verschiedene figürliche und dekorative Darstellungen

Die beiden Blätter Inv.-Nr. 21313 und Inv.-Nr. 21314 fanden trotz ihrer interessanten Ikonographie und künstlerischen Qualität bislang wenig Aufmerksamkeit. Dies mag vor allem daran liegen, dass sowohl Deutung und Ableitung der dargestellten Szenen als auch die stilistische Einordnung sehr schwierig sind.
Unverkennbar ähneln sich beide Blätter in ihrer äußeren Erscheinung. Sie wurden über Jahrhunderte hindurch als Paar betrachtet, was auch in der identischen Montierung zum Ausdruck kommt. Die Blätter befanden sich über einen längeren Zeitraum in England, wobei von besonderem Interesse ist, dass der große Sammler Karl I. von England (reg. 1625–1649) mindestens eines der Blätter besaß.
Beide Zeichnungen ähneln sich zudem darin, dass sie mehrere nicht miteinander verbundene Detailstudien unterschiedlicher Größe aufweisen: Neben dem kleinformatigen, in einem Ornament sitzenden Putto findet sich ein von Elefanten gezogener Triumphwagen. Diese Elemente sind derart arrangiert, dass der Eindruck von Musterblättern entsteht. Allerdings spricht das auffallend große Format gegen die Herkunft aus einem Studienbuch. Auch wurden die Verso-Seiten nicht genutzt, was ansonsten bei derartigen Blättern häufig der Fall ist. Als Zeichenmaterial wurde ausschließlich schwarze, feine Kreide verwendet. Eine charakteristische Handschrift ist kaum erkennbar. Vorherrschend ist eine ruhige, sorgfältige Strichführung. Nur vereinzelt ist wie beim Triumphbogen eine relativ flüchtige Zeichenweise erkennbar. Die Darstellung der Figuren ist in den Proportionen sicher, während die Architekturelemente zum Teil geringe Kenntnisse der Perspektive aufweisen.
Unverkennbar ist das Interesse auf die Wiedergabe antiker Kunstwerke ausgerichtet. Sämtliche Darstellungen könnten von antiken Skulpturen, Reliefs und Architekturen entlehnt sein. Allerdings ist es bislang nicht gelungen, auch nur ein exakt entsprechendes Vorbild nachzuweisen. Dies gilt auch für das sogenannte Haus des Pilatus (Inv.-Nr. 21313 links mittig) und den „Triumphbogen des Antonius“ (Inv.-Nr. 21314 unten), die sogar durch Beschriftungen benannt wurden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Blätter – nach bisherigem Kenntnisstand – grundlegend von dem Studienblatt mit überwiegend mittel- bzw. oberitalienischen Kunstwerken (Inv.-Nr. 21205), von denen mehrere konkret nachweisbar sind.
Auch der Vergleich der Detailstudien mit ähnlich gestalteten Kunstwerken ist schwierig. Lediglich für das Satyrweib (Inv.-Nr. 21313 oben links) ist eine ähnliche Figur auf dem Gemälde Piero di Cosimos (um 1462–um 1521) „Die Entdeckung des Honigs“ in Worcester nachweisbar.(Anm.1) Nicht auszuschließen ist, dass beide Künstler auf ein identisches, heute nicht mehr nachweisbares antikes Vorbild zurückgegriffen haben.
Mit einiger Vorsicht kann daher vermutet werden, dass es sich hier nicht um dokumentierende Antikenzeichnungen handelt. Vielmehr versammeln die beiden Zeichnungen Motive, die in Anlehnung an antike Vorbilder, frei interpretierend, bzw. erfindend entworfen wurden. Dies gilt z. B. für den Triumphzug, für den sich hinsichtlich der verehrten Soldaten (Kaiser ?) oder der Siegesgöttin zahlreiche Vorbilder – sei es auf Münzen, sei es als Skulpturen – benennen lassen. Allgemeine Anregungen könnte auch Mantegnas Triumphzug Caesars vermittelt haben; dort findet sich u. a. die Kombination von zwei Jungen, die auf Elefanten sitzen. Das auf dem Blatt erkennbare Interesse für ein Elefantenohr mag von den entsprechenden Darstellungen eines Raffael oder Giulio Romano angeregt worden sein.(Anm.2)
Für eine phantasievolle Interpretation der Antike sprechen auch einige Seltsamkeiten, so die besondere Form des Triumphwagens bzw. die ungewöhnlichen Architekturanordnungen bei der Darstellung des Palastes bzw. beim Triumphbogen. Auch die Kapitellstudie (?) (Inv.-Nr. 21313 unten rechts) dürfte kaum auf eine reale Vorlage zurückgehen.
Folgt man den bisherigen Zuschreibungsvorschlägen, so ist die Entstehung der Blätter im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert anzusetzen. Dies scheint aufgrund der allgemein intensiven Auseinandersetzung mit der Antike und den ansatzweise erkennbaren Grotesken-Elementen denkbar. Eine alte Beschriftung (eines Sammlers ?) nannte als Zeichner Giovanni Francesco Penni (1496–1528), der im Umkreis von Raffael tätig gewesen ist. Mit ihm ließen sich die Grotesken-Elemente und die (vermeintlichen) Rombezüge der Blätter verbinden. Allerdings sind bislang keine vergleichbaren Zeichnungen Pennis bekannt. Harzen lehnte diese Zuordnung entschieden ab und zog zeitweilig Giovanni da Udine (1487–1564) in Erwägung; was allerdings aus stilistischen Gründen auch nicht überzeugend ist.(Anm.3) Wolf Stubbe ordnete die Blätter 1957 dem Kunstkreis von Ferrara zu. In diese Richtung zielte auch Philip Pouncey, der Pirro Ligorio (um 1510–1583) vorschlug.(Anm.4) Wenn sich auch zahlreiche Zeichnungen Ligorios mit Antikenbezügen nachweisen lassen, so erscheint der Zeichenstil jedoch kaum vergleichbar.(Anm.5) Eine genaue Zuordnung der Blätter an einen Künstler ist daher nach wie vor problematisch.

David Klemm

1 Worcester, Worcester Art Museum, Massachusetts. Frdl. Hinweis von Elizabeth McGrath, London, auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 10. 1. 2008.
2 Vgl. z. B. die heute Giulio Romano zugeschriebene „Studie eines Elefanten“ im Ashmolean Museum in Oxford; vgl. Raphael und der klassische Stil in Rom 1515-1527, hrsg. v. Konrad Oberhuber, bearb. v. Achim Gnann, Ausst.-Kat. Mantua, Palazzo Te, Wien, Graphische Sammlung Albertina, Mailand 1999, S. 211. Im Katalog wird vermutet, dass die Studien der Elefanten zum Teil von Antiken inspiriert worden sind.
3 Vgl. Nicole Dacos: La Découverte de la Domus Aurea et la Formation des Grotesques à la Renaissance, Studies of the Warburg Institute, hrsg. v. Ernst H. Gombrich, Bd. 31, London 1969.
4 Archiv des Kupferstichkabinetts.
5 Frdl. Mitteilung von Anna Schreurs, Florenz. Es lassen sich zwar ähnliche Motive – z. B. ein Elefant und ein Bogen ausmachen, – doch ist die Anlage der Figuren u. a. in den Proportionen unterschiedlich.

Details about this work

Schwarze Kreide; montiert und mit aufwendiger Rahmung versehen 327mm x 213mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21313 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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