Jacopo Pontormo, eigentlich Jacopo Carucci

Bekehrung und Sieg der Soldaten des Achatius, um 1521

Gemäß der alten Aufschriften auf dem Blatt wurde die Zeichnung von Georg Ernst Harzen dem Sebastiano del Piombo zugeschrieben. Bernard Berenson und Frederick M. Clapp erkannten im frühen 20. Jahrhundert die Autorschaft Jacopo Pontormos, die seitdem niemals angezweifelt worden ist.(Anm.1)
Das Blatt muss in Zusammenhang mit einer Zeichnung Perino del Vagas in der Wiener Albertina diskutiert werden.(Anm.2) Popham erkannte 1945 erstmals, dass beide Entwürfe zu einem Auftrag zur Ausschmückung der Kirche San Salvatore di Camaldoli nahe der Porta di San Frediano in Florenz gehörten. Auftraggeber war die Bruderschaft, die der Erinnerung des Hl. Achatius und den 10.000 Märtyrern gewidmet war. Leider sind nur sehr wenige Dokumente in Zusammenhang mit diesem wichtigen Auftrag erhalten, der aufgrund der 1522/23 in Florenz wütenden Pest unvollendet blieb. Hauptquelle ist Vasari, der allerdings Pontormo nicht erwähnt.
Die Neuausstattung der Kirche begann offensichtlich 1521 mit der Fertigstellung eines Altargemäldes von Sogliani, das den Hl. Achatius zeigt. Franklin vermutete, dass die Bruderschaft diesen Auftrag aus finanziellen Gründen nicht gleichzeitig mit den beiden Fresken erteilt haben dürfte. Der Auftrag für Pontormo und del Vaga müsste dann 1521/22 ergangen sein. Cecchi hat einen Abschluss des Projekts spätestens im November 1522 angenommen, da damals die Mönche aufgrund der Pest ihr Kloster verlassen mussten. Für Perino liegen relativ präzise Daten für einen halbjährlichen Florenzaufenthalt im Jahr 1522 vor. Der Auftrag müsste also zu diesem Zeitpunkt ergangen sein. Schwieriger ist dies für Pontormo festzulegen, da dieser ja in Florenz lebte. Denkbar ist, dass er gleichzeitig mit del Vaga an Entwürfen arbeitete und diese Tätigkeit unterbrach, als er sich Anfang 1523 in das in der Nähe von Florenz gelegene Galluzzo begab.
Während Popham annahm, dass beide Künstler in direkter Konkurrenz miteinander standen, ist wesentlich wahrscheinlicher, dass die Auftraggeber zwei sich ergänzende Darstellungen aus der Legende des von ihnen besonders verehrten Achatius gewünscht haben. Pontormos Zeichnung zeigt dabei den Beginn der Legende in zwei Hauptszenen, während Perino deren Abschluss mit der späteren Verurteilung, der Folter und dem Martyrium darstellt.(Anm.3)
Achatius war der Legende nach der Anführer eines Heeres von 9.000 Soldaten, das von Kaiser Hadrian ausgesandt worden war, um Aufständische in Armenien zu unterwerfen. Doch angesichts der feindlichen Übermacht waren die Soldaten unsicher geworden. Daraufhin wurde ihnen von einem Engel der Sieg versprochen, wenn sie sich zum christlichen Glauben bekehren lassen würden. Nachdem Achatius zugestimmt hatte und die Taufe auf dem Berg Ararat vollzogen worden war, führten sieben Engel die Truppen zum Sieg. Die Bekehrung zum Christentum wurde
vom Kaiser jedoch nicht akzeptiert und er sandte ein Heer zur Vernichtung des Achatius und seiner Soldaten. Während des Kampfes schloss sich zwar ein weiterer Feldherr namens Theodorus den Christen an und Engel versuchten die Soldaten des Achatius zu schützen, doch die Übermacht der Armee des Kaisers war zu groß, sodass die Soldaten des Achatius und des Theodorus schließlich dornengekrönt und von Lanzen durchbohrt den Märtyrertod starben. Einige Überlebende wurden auf dem Berg Ararat als Mahnung gekreuzigt.
Die Hamburger Zeichnung verdeutlicht, dass Pontormo den Kampf gegen die Armenier in den Mittelpunkt gerückt hat. Achatius selbst ist erstaunlicherweise keineswegs als zentrale Figur konzipiert. Offensichtlich befindet er sich – erkennbar an der hoch erhobenen Fahne – hinter der vorderen Kampflinie. Entgegen der Überlieferung sind nicht sieben, sondern nur drei Engel erkennbar. Die Taufe der Soldaten ist relativ kleinformatig zwischen himmlischer und irdischer Zone dargestellt. Den oberen Abschluss der Komposition bildet eine Trinitätsdarstellung.
Pontormos Komposition zeigt demnach – wie Franklin erstmals feststellte – nur die ursprünglich 9.000 Mann umfassende Armee des Achatius. Diese wurde – wie oben erwähnt – erst im späteren Verlauf der Legende durch den Beitritt von 1000 weiteren Soldaten zu jener weithin bekannten Gruppe der 10.000 Märtyrer.
Die Zeichnung genießt seit langer Zeit hohe Wertschätzung. Die Komposition zählt sicherlich zu den komplexesten Entwürfen Pontormos überhaupt. Von besonderer Qualität ist die Darstellung der Figuren, die mit großer Sicherheit und Formschönheit ausgeführt sind. Teilweise hat der Künstler den Rötel verwischt, um die Plastizität der Gestalten zu steigern. Franklin wies darauf hin, dass die Soldaten zum Teil die Gesten der ebenfalls kämpferischen Engel wiederholen, sodass die Komposition durch formale Entsprechungen verknüpft ist. Auffallend ist, dass Pontormo die Kampfhandlungen mit großer Drastik ausbreitet, was in der florentinischen Kunst jener Zeit selten ist. Insgesamt zeigt die Komposition eine für Pontormo ungewöhnliche Dynamik. Selbstverständlich stellt die Präsentation unterschiedlicher Körperhaltungen und ineinander verschlungener Leiber eine Antwort auf Michelangelos und Leonardos berühmte Kartons dar, die im frühen 16. Jahrhundert eine ganze Generation von Künstlern prägten.(Anm.4) Die Komposition wirkt ausgereift und stellt möglicherweise wie Perinos Entwurf ein Modello dar. Hierfür spricht nicht nur die ruhige, ohne erkennbare Pentimenti ausgeführte Zeichnung, sondern auch die Beobachtung, dass Pontormo die Komposition – einschließlich der ungewöhnlich nackten Kämpfer im Vordergrund – später fast identisch in ein Gemälde übernommen hat (siehe unten).
Inwieweit die räumlichen Vorgaben der Mönche die Komposition Pontormos beeinflusst haben, ist nicht mehr genau zu rekonstruieren. Da Pontormos wie auch Perinos Entwurf spitzbogige obere Abschlüsse aufweisen, ist sehr gut denkbar, dass sie für eine Kapellenwand vorgesehen waren. Weil die Erzählrichtung auf Pontormos Entwurf nach links läuft, ist davon auszugehen, dass del Vagas Komposition an einer Wand links oder gegenüber davon vorgesehen gewesen sein muss. Denkbar, wenn auch wenig überzeugend, ist, dass die beiden Entwürfe für zwei benachbarte Kapellen vorgesehen waren. Eine derartige Lösung war zuvor – laut Vasari – von Lorenzo di Bicci in S. Salvatore durchgeführt worden.(Anm.5)
Franklin hat hinsichtlich der Wirkung der beiden so unterschiedlichen Entwürfe vermutet, dass Pontormos Komposition für die Florentiner sicherlich vertrauter gewesen sein muss. Mit Perino del Vaga gelangte ein kräftiger Reflex von Raffaels in Rom entwickelter moderner Bildsprache an den Arno. Er sollte, wie Gnann hervorhob, starken Einfluss auf Künstler wie Salviati, Vasari und auch auf Pontormo selbst ausüben.(Anm.6)
Pontormos Komposition fand auf mindestens zwei Gemälden Verwendung. Auf einer um 1530 entstandenen Version „Martyrium der 10.000“ für das Ospedale degli Innocenti in Florenz verwendete Pontormo seine Komposition ohne nennenswerte Veränderungen im hinteren linken Bildteil.(Anm.7) Im rechten Vordergrund des Gemäldes zeigte er nun zusätzlich die Verurteilung und vorne links und hinten rechts das vielfältige Martyrium. Bei einer wenig später entstandenen, etwas kleineren Variante bildet dagegen die Hamburger Komposition eindeutig das Hauptmotiv.(Anm.8) Im unteren Bereich wurden nur kleinere Änderungen vorgenommen, im Mittelgrund wurden wohl der Übersichtlichkeit halber die Lanzen der Soldaten weggelassen. Weitgehender sind dagegen die Veränderungen im oberen Bereich. Dort ist die Taufe an den linken Rand gerückt, während in der Mitte eine Stadtsilhouette angedeutet ist. Als einzige nennenswerte Zutat ist rechts oben ein Teil des Martyriums erkennbar. Dieses Detail rechtfertigt den Titel des Gemäldes „Martyrium der 10.000 Soldaten“, der ansonsten nicht nachvollziehbar wäre.

David Klemm

1 Die folgenden Ausführungen basieren in wichtigen Punkten auf David Franklins Beitrag im Ausst.-Kat. Leonardo da Vinci, Michelangelo and the Renaissance in Florence, hrsg. v. David Franklin, Ausst.-Kat. Ottawa, National Gallery of Canada, Ottawa 2005. Der dort erwähnte Hinweis, dass das Blatt laut Annotation auch Vasari zugeschrieben worden sei, ist irrig. Diese Bemerkung bezieht sich auf die Herkunft des Blattes und stammt von Georg Ernst Harzen.
2 Wien, Albertina, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. 2933; vgl. Veronika Birke, Janine Kertész: Die italienischen Zeichnungen der Albertina. Generalverzeichnis, Bd. III (Inv. 2401-14325), Veröffentlichungen der Albertina Bd. 35, Wien, Köln, Weimar 1995, S. 1631-1632. Vgl. Raphael und der klassische Stil in Rom 1515-1527, hrsg. v. Konrad Oberhuber, bearb. v. Achim Gnann, Ausst.-Kat. Mantua, Palazzo Te, Wien, Graphische Sammlung Albertina, Mailand 1999, S. 312–313 (Beitrag Achim Gnann).
3 Alessandro Cecchi machte 2001 den wenig überzeugenden Vorschlag, dass zunächst Pontormo den Auftrag erhielt, der dann jedoch durch einen Änderungswunsch der Ikonographie – weg von der Taufe der späteren Märtyrer, hin zur Darstellung des Martyriums selbst – Perino del Vaga zugesprochen wurde. Dies mache eine Datierung der Hamburger Zeichnung um 1521 sehr wahrscheinlich. Für einen derartigen weitreichenden Wechsel von Programm und Künstler gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Es leuchtet nicht ein, dass z. B. der Bekehrungsvorgang weniger wichtig sein soll als das Martyrium. Vgl. Perino del Vaga tra Raffaello e Michelangelo, Ausst.-Kat. Mantua, Palazzo Tè, Mailand 2001, S: 98–99 (Beitrag Alessandro Cecchi)
4 Vgl. ausführlich L’officina della maniera. Varietà e fierezza nell’arte fiorentina del Cinquecento fra le due repubbliche 1494-1530, hrsg. v. Alessandro Cecchi, Antonio Natali, Ausst.-Kat. Florenz, Galleria degli Uffizi, Venedig 1996.
5 Vgl. Leonardo da Vinci, Michelangelo and the Renaissance in Florence, hrsg. v. David Franklin, Ausst.-Kat. Ottawa, National Gallery of Canada, Ottawa 2005, S. 196 (Beitrag David Franklin)
6 Vgl. Raphael und der klassische Stil in Rom 1515-1527, hrsg. v. Konrad Oberhuber, bearb. v. Achim Gnann, Ausst.-Kat. Mantua, Palazzo Te, Wien, Graphische Sammlung Albertina, Mailand 1999, S. 312 (Beitrag Achim Gnann).
7 Florenz, Galleria Palatina, Palazzo Pitti, Inv.-Nr. 1912 n. 182; Costamagna 1994, S. 207–210; L’officina della maniera. Varietà e fierezza nell’arte fiorentina del Cinquecento fra le due repubbliche 1494-1530, hrsg. v. Alessandro Cecchi, Antonio Natali, Ausst.-Kat. Florenz, Galleria degli Uffizi, Venedig 1996, S. 382–383.
8 Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv.-Nr. 1890 n. 1525; Philippe Costamagna: Pontormo, Mailand 1994, S. 210–211; L’officina della maniera. Varietà e fierezza nell’arte fiorentina del Cinquecento fra le due repubbliche 1494-1530, hrsg. v. Alessandro Cecchi, Antonio Natali, Ausst.-Kat. Florenz, Galleria degli Uffizi, Venedig 1996, S. 384.

Details about this work

Rötel 418mm x 368mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21253 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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