Anonym, 2. Hälfte 16. Jahrhundert (italienisch)

Figur der Maria von einer Verkündigung

Das Blatt gelangte unter der Zuschreibung an Carlo Dolci (1616– 1687) in die Sammlung. Diese bislang gültige Einschätzung ist problematisch, da sich der Zeichenstil nicht überzeugend mit gesicherten Blättern des Künstlers verbinden lässt. So fand das Blatt auch keine Aufnahme in das Werkverzeichnis Dolcis von Francesca Baldassari. Die sehr detaillierte Behandlung des Gewandes und die Vernachlässigung des Kopfes könnte darauf hindeuten, dass der anonyme Künstler hier eine Spezialstudie für ein bislang nicht nachweisbares Gemälde angefertigt hat. Charakteristisch sind die sehr fein und mit viel Geduld ausgeführten Parallelschraffen, und auch die Setzung der Weißhöhungen verrät technische Versiertheit.
Sicherlich dürfte die Zeichnung im zweiten Drittel des Cinquecento oder etwas später entstanden sein. Nicholas Turner und Carel van Tuyll schlugen den Florentiner Maso di San Friano (1536–1571) als möglichen Zeichner vor.(Anm.1) In technischer und motivischer Hinsicht vergleichbar erscheint vor allem ein Blatt in den Uffizien mit einem in dramatischer Bewegung befindlichen Engel.(Anm.2) Hier zeigt sich wie auf dem Hamburger Blatt eine sehr gekonnte Gewandbehandlung, bei der vor allem die plastische Wirkung der sich faltenden und aufbauschenden Stoffe betont wird. Allerdings sind auf der Hamburger Zeichnung die Schraffuren noch feiner und die Weißhöhungen noch effektvoller eingesetzt. Diese erkennbaren Unterschiede lassen Valentino Pace an der Autorschaft des Künstlers zweifeln.(Anm.3) Marina Causa Picone hat das Blatt wenig überzeugend und ohne nähere stilistische Begründung dem Neapolitaner Giovanni Battista Caracciolo zugeschrieben. Angesichts dieser Diskussion scheint eine konkrete Zuordnung an einen Künstler momentan nicht möglich. Eine Entstehung der Zeichnung im Florentiner Kunstkreis des 16. Jahrhunderts ist aber denkbar.
Bei der dargestellten Figur handelt es sich wohl um die Maria einer Verkündigungsszene. Für diese Deutung sprechen die scheue, zurückhaltende Reaktion der Gottesmutter sowie das kleine Podest, auf dem sie kniet.(Anm.4)

David Klemm

1 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28. 10. 2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
2 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 6466 F.
3 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 28.3.2008.
4 Causa Picone auf den Einfluss Annibale Carraccis auf die Haltung der Figur, z. B. auf eine Maria von einer Verkündigung in der Pinacoteca von Bologna. Zwar stimmt die Grundhaltung überein, doch sind zu viele Details unterschiedlich, als dass eine direkte Verbindung daraus gefolgert werden kann. Vgl. Marina Causa Picone: Giunte a Battistello appunti per una storia Critica di Battistello disegnatore, in: Paragone 44, 1993, Nr. 519/521, S. 24-87, S. 38.

Details about this work

Schwarze Kreide, weiß gehöht, auf blauem Papier; aufgezogen 273mm x 192mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21184 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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