Federico Barocci, eigentlich Fiori, Zeichner

Maria mit dem Christuskind auf Wolken, um 1557-1558

Das Blatt wurde bereits von Georg Ernst Harzen als Werk Baroccis eingestuft. Diese Einschätzung wurde lediglich von Janos Scholz angezweifelt, der eine Nähe zu Christofano Allori erkennen wollte.(Anm.1) Die Zeichnung weist einige Unklarheiten auf. So wirkt z. B. das linke Bein der Maria in der groben Form fast männlich. Hinzu kommen zahlreiche Pentimenti. Auch die Anlage der Schraffen wirkt wenig zweckgebunden, sie sollen wohl lediglich die Richtung des Lichtes andeuten. All dies bestätigt Harzens Einschätzung, dass es sich um eine flüchtige Ideenskizze handelt.
Olsen hat das Blatt 1955 erstmals publiziert und in Zusammenhang mit der oberen Hälfte des 1557/60 datierten Altarbildes „Martyrium des Hl. Sebastian“ gebracht. Weitgehend übereinstimmend ist lediglich die Beinhaltung der Madonna. Geändert wurde die Position des Kindes, das sich jetzt links der Mutter in einer mehr sitzenden als stehenden Position befindet. Trotz der nur sehr vagen Bezüge zum Sebastian-Gemälde kann die Zeichnung gemäß den oben gemachten Beobachtungen durchaus als frühe Vorstudie dazu angesehen werden. Für Barocci spricht zudem die Darstellung der Augen, die wie häufig bei ihm aus Knöpfchen oder Kreisen bestehen. Irritierend ist dagegen die bei Barocci höchst seltene grobe Ausführung von Marias linkem Bein. Diese Schwachstelle wäre einzig damit zu erklären, dass die Zeichnung aufgrund des Bezuges zu dem Gemälde zu den frühesten des Künstlers zählt. Im Vergleich zu anderen Gemälden sind relativ wenig Vorstudien erhalten.(Anm.2) Dies könnte an einer zufälligen Überlieferung liegen, vielleicht hat Barocci aber in der Anfangszeit generell weniger Studien angefertigt.
Pillsbury hat auf verschiedene Einflüsse auf Baroccis Entwurf hingewiesen. So lässt die Verwendung von blauem Papier und schwarzer Kreide auf norditalienische Anregungen schließen. Zugleich deutet sich damit die allmähliche Hinwendung des Künstlers zu dem von ihm später bevorzugten malerischen Entwurfsstil an. Die Figur des Christuskindes ist – wie Pillsbury treffend bemerkte – von Giovanni Battista Francos entsprechender Darstellung auf der Radierung „Maria mit Kind und dem Hl. Johannes dem Täufer“ übernommen worden.(Anm.3)
Das Motiv der Madonna mit dem stehenden Christuskind hat Barocci im weiteren Verlauf seiner Laufbahn noch mehrfach beschäftigt. So weist das in Urbania bewahrte, wohl um 1600 entstandene Gemälde „Maria mit dem Christuskind“ in der Grundkomposition deutliche Übereinstimmung mit der frühen Hamburger Zeichnung auf.(Anm.4)
Die Beschriftung auf dem Recto lässt sich nicht sinnvoll auflösen.

David Klemm

1 Kartonnotiz.
2 The Graphic Art of Federico Barocci. Selected Drawings and Prints, bearb. v. Edmund P. Pillsbury, Louise S. Richards, Ausst.-Kat. The Cleveland Museum of Art, New Haven 1978, S. 31.
3 The Illustrated Bartsch, begründet u. hrsg. v. Walter L. Strauss u. John T. Spike, New York 1978- 32 (16), 26 (128).
4 Andrea Emiliani: Federico Barocci (Urbino 1535-1612), 2. Bde., Pesaro 1985, II, S. 372–375.

Details about this work

Schwarze Kreide auf blaugrauem Papier 220mm x 169mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21054 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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