Paul Schwanicke, Holzschneider
Deutsche Verlags-Anstalt, Xyolographisches Atelier, Holzschneider
nach Carl Grote, Zeichner

Raffael zeichnet die Komposition der "Madonna della Sedia" auf den Deckel eines Fasses, 1895

Aus: Illustrirte Welt. Blätter aus Natur und Leben, Wissenschaft und Kunst zur Unterhaltung und Belehrung der Familie, Jg. 43, 1895, Heft 18, Stuttgart, Berlin, Leipzig, S. 429

Die volkstümliche, von Ernst Christoph Freiherr von Houwald überlieferte bzw. erst 1819 mittels eines Kinderbuchs in die Welt gesetzte reizvolle Idee des auf den Deckel eines Fasses nach der Natur zeichnenden Raffael (vgl. Inv-Nr. kb-2020-455g-2) (Anm. 1) wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts so populär, dass sie noch 1895 als Holzstich nach einer Zeichnung des damals bekannten Illustrators Carl Grote in der populären und weitverbreiteten Familienzeitschrift Illustrirte Welt aufgegriffen wurde.
Die allgemein als modern empfundene Idee des nach der Natur Skizzierens der bildenden Künstler griff auch der kurze Begleittext als frühen Beleg gegenüber den zeitgenössischen Genremalern der Salons und Kunstausstellungen der Jahrhundertwende auf, ohne sicher den eigentlichen, noch gar nicht so lang zurückliegenden Ursprung dieser Künstleranekdote um Raffael auch nur im Entferntesten zu kennen: „Wenn man heute mit großer Gewichtigkeit den Satz verkünden hört, die Natur müsse die oberste Lehrmeisterin eines jeden Künstlers sein, so sollte man glauben, es handle sich dabei um eine ganz neue, ungeahnte Wahrheit. Dem ist nun aber nicht so, denn schon zu allen Zeiten sind die großen Meister bei der größten Meisterin in die Schule gegangen, bei der Natur. Auch der große Raffael holte seine Motive von der Straße, wie uns die Entstehungsgeschichte seiner berühmten Madonna della Sedia lehrt, eine Geschichte, die unsere Leser heute im Bilde so vortrefflich erzählt finden, daß wir sie durch eine Wiederholung im Worte nicht ermüden wollen. Also auch der größte Schönheitsmaler der Welt nahm seine Modelle von der
Straße, obgleich er nicht am Ende des neunzehnten Jahrhunderts lebte. Und wenn er nun doch etwas anders und etwas anderes malte als unsere heutigen Allerallerneuesten – da wird es wohl eben nicht nur an den Modellen und an dem ,,nach der Natur arbeiten“ liegen.“ (Anm. 2)
Carl Grote war ein vielbeschäftigter Zeichner in Hannover, der viele Illustrationen für populäre Zeitschriften wie die Illustrirte Welt oder Die Gartenlaube anfertigte. Seine Illustrationen waren sehr begehrt und wurden häufig, wie wohl beim Hamburger Blatt auch, aus den Zeitungen von Sammlern herausgetrennt und vielfach nachträglich koloriert in Rahmen aufgehängt.
Andreas Stolzenburg

1 Houwald 1819, S. 57–70.
2 Anonym, in: Illustrirte Welt. Blätter aus Natur und Leben, Wissenschaft und Kunst zur Unterhaltung und Belehrung der Familie, hrsg. v. Eduard Hallberger, 43. Jg., Stuttgart, Berlin, Leipzig 1895, Heft 18, S. 430; https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=tew&datum=1895&page=503&size=45 (letzter Aufruf: 2. 2. 2021).

Details about this work

Holzstich auf Zeitungspapier 319mm x 230mm (Bild) 343mm x 253mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Geschenk 2021 von Andreas Stolzenburg, Hamburg Inv. Nr.: 2021-7 Collection: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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