Ernst Meyer, Zeichner

Bildnis einer jungen Römerin, um 1826 (?)

Der im dänischen Altona bei Hamburg geborene jüdische Künstler Ernst Meyer (Anm. 1) war Schüler Christoffer Wilhelm Eckersbergs an der Kopenhagener Akademie und dort mit dem Landschaftsmaler Johan Christian Dahl befreundet. Meyer war neben seiner Genre- und Landschaftsmalerei ein passionierter Zeichner des täglichen Lebens. Sein umfangreicher zeichnerischer Nachlass befindet sich mehr oder weniger geschlossen in Kopenhagen. (Anm. 2)
Nach einem längeren Aufenthalt ab 1819 in München reiste Meyer Mitte Juni 1824 nach Italien, wo er – unterbrochen von Reisen, u. a. 1848/52 nach Hamburg, London und Paris (hier wohnte er im Atelier Franz Xaver Winterhalters) – den Rest seines Lebens in Rom und in Olevano tätig war. Er widmete sich meist Genredarstellungen mit römischen Mädchen (Anm. 3), den in Rom bekannten öffentlichen Schreibern (Anm. 4) und besonders der Welt der Kapuzinermönche in den zahlreichen Klöstern in und um Rom, deren tägliches Leben er mitunter auf humoristische Weise schilderte. (Anm. 5) In Rom stand er trotz seines jüdischen Glaubens über fast 40 Jahre in Kontakt zu den jeweils vor Ort arbeitenden, meist katholischen Künstlern der Gruppe der Nazarener sowie zu verschiedenen Landschaftsmalern wie beispielsweise Franz Ludwig Catel, dessen Werk Meyers künstlerische Arbeit stark beeinflusste. Das höchst präsente und ausdrucksvolle Porträt einer jungen römischen Frau zeichnet sich durch den von Meyer in seinen Bleistiftzeichnungen bevorzugten reduzierten Umrissstil aus. Die Frau ist als Brustbild gegeben und senkt ihren Kopf mit leicht geschlossenen Augen etwas nach unten, was dem Modell eine gewisse schüchtern wirkende Zurückhaltung gibt. Sehr genau wurden von Meyer die hochgesteckten Haare mit den beiden seitlich am Gesicht herabfallenden Locken wiedergegeben. Der Typus des Gesichts entspricht recht genau dem einiger Madonnenbilder Raffaels, die unterbewusst die deutschen Künstler prägten. Aus dem real gezeichneten Modell der jungen römischen Frau wurde im Prozess des Zeichnens nicht zuletzt durch den gewählten scheuen Ausdruck der Frau ein madonnengleiches Bild erschaffen. Ähnlich wie bei den Werken Overbecks (Inv-Nr. HK-2491) oder Scheffer von Leonhardhoffs (Inv-Nr. HK-2527) sowie vieler weiterer, besonders deutscher Künstler in Rom gelang auch Ernst Meyer hier eine solche intensive Anverwandlung bzw. die Übertragung des ursprünglich religiösen Motivs in die zeitgenössische Genremalerei.
Die mit kräftigen Bleistiftstrichen angefertigte Bildniszeichnung im nazarenischen Stil wird in Meyers ersten römischen Jahren entstanden sein6, da sich sein Zeichenstil später hin zu wesentlich breiteren, mit weichem Bleistift ausgeführten dunklen Schraffuren hin veränderte. Der leicht geneigte Kopf wohl dieses Modells kommt auch in einer Kompositionsstudie Meyers vor, in der die Frau, ausgestattet mit einer Spindel, zusammen mit einer älteren sitzenden Frau zwei kleine Kinder in einer weinberankten Loggia beaufsichtigt. (Anm. 7)
Andreas Stolzenburg

Ausst.-Kat. Hamburg, Dr. Martin Moeller 2020, o. S., Abb. 23

1 Zu Meyer siehe Schulte-Wülwer 2000; Schulte-Wülwer 2009, S. 163–182.
2 Der bislang unerforschte riesige Zeichnungsnachlass dieses Hamburger Künstlers befindet sich noch weitgehend unaufgearbeitet in der Graphischen Sammlung (Kobberstiksamling) des Statens Museum in Kopenhagen.
3 Am Marktplatz und Brunnen in Tivoli, 1830, Stiftung Historische Museen Hamburg, Altonaer Museum; Schulte-Wülwer 2009, S. 172, Abb. 90.
4 Der öffentliche Briefschreiber, 1832, Museumsberg Flensburg; Schulte-Wülwer 2009, S. 168, Abb. 88.
5 Ein Knabe wird von seinen Eltern zum Kloster gebracht, 1836, Schleswig, Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf; Schulte-Wülwer 2009, S. 171, Abb. 89.
6 Im Nachlass sind ähnliche Zeichnungen nach weiblichen Modellen, die meist in den 1820er Jahren entstanden sind, so beispielsweise ein „Rom d 16 Feb. [1826]“ datiertes Blatt mit dem physiognomisch ähnlichen Bildnis einer etwas älteren Frau mit vergleichbarer Frisur und das ebenfalls in Rom entstandene Porträt möglicherweise derselben Frau wie auf dem Hamburger Blatt, nur mit anderer Frisur vom „Octob[er] 1826“; beide Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kobberstiksamling (Nachlass Ernst Meyer).
7 Ebd.; nicht datiert.

Details about this work

Bleistift 266mm x 197mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2021 mit Mitteln des Fördervereins "Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e. V." Inv. Nr.: 2021-36 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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