Nicolas-André Monsiau, Zeichner

Der Tod Raffaels, betrauert von Kardinal Bibbiena, Raffaels Schülern und den Freunden des Künstlers / "La Mort de Raphael" (Studie), 1804

Die voll ausgeführte Pinselzeichnung mit dem Tod Raffaels (Inv-Nr. 2019-1), die erst 2019 für das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle erworben werden konnte, ist eine Vorarbeit für das Gemälde gleichen Themas oder eine Wiederholung desselben. Monsiau stellte das Gemälde auf dem Pariser Salon des Jahres 1804 aus. Das Bild ist heute verschollen (Anm. 1), seine Komposition ist aber durch eine Umrissradierung von Charles Pierre Joseph Normand in den von Charles Paul Landon herausgegebenen Annales du Musée et de l’école moderne des beauxarts (17 Bände, Paris 1801–1808) überliefert. (Anm. 2) Die hier wiedergegebene Komposition entspricht der vorliegenden Zeichnung, so dass diese einen guten Eindruck vom Gemälde geben kann. Im Jahr 2020 konnte eine weitere Zeichnung dieses Motivs von Monsiau erworben werden, bei der es sich um eine quadrierte Studie zu der hier vorliegenden Zeichnung handelt, die in vielen Details im Figurenpersonal und in der Stellung derselben noch etliche Abweichungen von der endgültigen Fassung aufweist. (Inv-Nr. 2020-15).
Der christusgleiche Leichnam Raffaels liegt aufgebahrt wie ein Heiliger der katholischen Kirche oder ein Märtyrer der französischen Revolution auf einem Paradebett: Um ihn herum ist eine große Zahl trauernder, ihn bewundernder Männer und Frauen versammelt. Alle geben ihrer Trauer in verschiedenen leidenschaftlichen Gebärden tiefen Ausdruck. Vom auf Stühlen hockenden Zusammengesunken sein, über verzweifelt in die Höhe geworfenen Armen bis zum andächtigen Knien oder dem Küssen der rechten Hand des geliebten Toten. Am Fußende des Betts stehen ein Kreuz und ein Weihwasserbehältnis für die Sterbesakramente. Rechts vorn am Kopf des Verstorbenen sitzt am Bett ein Priester, in der Bibel lesend oder daraus rezitierend. Am Kopfende sieht man – flankiert von hohen, brennenden Kerzen – die von einem Baldachin mit Lorbeerverzierung überragte riesige Leinwand des Gemäldes der Verklärung Christi, ganz so wie es Vasari berichtet hatte: „Nach eingetretenem Tod stellten sie am Kopfende des Saales, in dem er gearbeitet hatte, die Tafel der Verklärung auf, die er für den Medici-Kardinal gefertigt hatte.“ (Anm. 3) An der hinteren Wand hängen, antiken Trophäen gleich, die verehrten Malutensilien Raffaels, seine Pinsel und seine Palette. (Anm. 4) Unter den Trauernden, die in immer größer werdender Zahl von hinten durch die Tür unter dem gelupften Vorhang hereinströmen, befinden sich auch zwei Frauen und mehrere Kinder (Anm. 5) , was die allgemeine Anteilnahme aller, auch des einfachen Volkes, verdeutlichen soll, ohne dass von Monsiau bei den Frauen hier eine persönlich gemeinte Verbindung zu Raffael – z. B. zu seiner Geliebten, der Fornarina – herzustellen ist. Im Durchblick der hohen Tür, über der laut Salonkatalog ein fiktives Porträtmedaillon von Raffaels Lehrer Perugino prangt (Anm. 6) , blickt man auf dieselbe antike Skulptur eines Athleten oder Gladiators, die auf dem Aquarell mit der Präsentation der Verklärung Christi hinter dem Gemälde steht.
Im Salonkatalog von 1804 werden aus der Gruppe der Trauernden folgende Personen explizit hervorgehoben. Es heißt dort, er sei umgeben von dem Dichter Ludovico Ariost sowie seinem Gönner, dem Kardinal Bibbiena, und seinen liebsten Schülern Giulio Romano, Gianfrancesco Penni, Polidoro da Caravaggio, Perino del Vaga, Giovanni da Udine und anderen nicht namentlich genannten. (Anm. 7) Ob alle diese Menschen wirklich Abschied vom toten Raffael nahmen, ist nicht geklärt und nirgends überliefert. Es ist nicht eindeutig möglich, die hier genannten Namen direkt mit den Personen auf der Zeichnung zu identifizieren. Lediglich die Person des Kardinals Bibbiena ist klar als der stehende Würdenträger zu erkennen. Um das Bett herum befinden sich in direkter Nähe in Verzweiflungsposen sicher die genannten Schüler Raffaels. Einer dieser Künstler – wahrscheinlich Gianfrancesco Penni oder Giulio Romano – steht im Blickkontakt mit dem Kardinal und weist emphatisch hinauf zum verklärten Christus, mit dem die Nachwelt den göttlichen Raffael fortan gleichsetzen sollte. (Anm. 8)
Die deutsche Schriftstellerin Helmina von Chézy besuchte 1804 den Pariser Salon. Sie bemerkte folgende, sich kritisch auf den klassizistischen Stil des Künstlers beziehende Worte zu Monsiaus Gemälde Der Tod Raffaels: „Der erblaßte Raphael auf seinem Paradebette, umgeben von seinen Lieblingen und Schülern. Schon der Gedanke dieses Bildes ist rührend, und einer gefühlvollen und tiefen Behandlung werth. Monsiau ist weit unter seinem Sujet geblieben. Es fehlt seinem Gemälde Kraft, Feierlichkeit, Hoheit und Würde. Ich erwähne desselben bloß in Rücksicht des Gegenstandes, der so reich, so tief ist, und aus kräftiger Fülle der Gedanken und der Empfindung dargestellt werden sollte. Es muss eine dem göttlichen Raphael verwandte Seele seyn, die solch einen Gegenstand recht innig fassen und rein würdig aussprechen wollte.“ (Anm. 9) Auch wenn hier die Qualität des heute leider verschollenen Gemäldes eines französischen Klassizisten, der den toten Raffael in seiner Komposition durchaus in der noch jungen Tradition der Revolutionsmärtyrer wiedergibt, von der deutschen Betrachterin als kraftlos und zu wenig feierlich charakterisiert wurde, erscheint ihre Schlussfolgerung, dass ein solch großes und bedeutendes Sujet nur eine dem göttlichen Raffael verwandte Seele malen könne, höchst interessant. Lenkt sie, beeinflusst zweifellos durch die frisch ins Gedächtnis eingebrannte Lektüre von Wackenroder und Tieck (vgl. Inv-Nr. kb-1967-767-1) sowie des befreundeten Friedrich Schlegel, der ab 1802 in Paris lebte, den Blick unwillkürlich auf kommende romantisierende Künstlergenerationen wie den Brüdern Franz und Johannes Riepenhausen mit ihren ausführlichen Schilderungen zu Leben und Tod Raffaels (vgl. Inv-Nr.304, 1949-173, 2019-652-2 bis 13, 1936-21).
Monsiaus Leistung ist aber dennoch für die aufkeimende Raffael-Verehrung nicht hoch genug zu schätzen, handelt es sich doch um die erste malerische Darstellung der schon bei Giorgio Vasari ausführlich geschilderten und in allen späteren Lebensbeschreibungen aufgegriffenen ergreifenden Todesszene des mit 37 Jahren noch jungen Künstlers. (Anm. 10) Zusammen mit der aquarellierten Szene der Präsentation der Verklärung Christi (Inv.-Nr. 2020-17) scheint es, als ob Monsiau durchaus eine Folge von Darstellungen aus der Vita Raffaels illustrieren wollte, die dann zu den ersten ihrer Art in der Kunstgeschichte gehören würden. (Anm. 11)
Andreas Stolzenburg

LIT: Nicht in Aukt.-Kat. Paris 1837; Ausst.-Kat. Paris 1983, S. 155, Nr. 180; Sogliani 2009, Abb. S. 36; Oy-Marra 2015, S. 122, Abb. 2; Ausst.-Kat. Paris, Galerie
Paul Prouté 2015, S. 10–11, Nr. 12; Prat 2017, S. 627, Abb. 1301 auf S. 626 (als
Privatbesitz); Ausst.-Kat. Rom 2020a, S. 64–65, Nr. I.3, Abb. S. 55; Miarelli Mariani 2020, S. 83, Anm. 25

1 Ausst.-Kat. Paris 1804, S. 61–62, Nr. 325. Erwähnt in der Notice su la vie et les ouvrages de M. Monsiau, in: Aukt.-Kat. 1837, S. 5, Nr. 4 („La Morte de Raphaël, acheté par la Société des Amis des arts.“).
2 Annales du Musée et de l’École moderne des Beaux-Arts, Paris 1805, Taf. 49 und 50 nach S. 100, Hamburger Kunsthalle, Bibliothek, Inv.-Nr. kb-1938-7-10- 47.
3 Vasari/Gründler 2004, S. 84.
4 In der Studienzeichnung (Inv.-Nr. 2020-15) ist zusätzlich noch eine Zeichenmappe angebracht.
5 In der Studie (Inv-Nr. 2020-15) nimmt die Frauengruppe noch den vorderen linken Bereich ein, wo in der endgültigen Fassung ein andächtig versunkener, bärtiger Mann (vielleicht der Dichter Ludovico Ariost?) steht.
6 „Le médaillon au-dessus de la porte, représente le Pérugin, maître de Raphaël.“, Ausst.-Kat. Paris 1804, S. 61–62, Nr. 325. Das Medaillon wird ebenfalls durch die beigegebene Palette und den Pinsel als Künstlerbildnis charakterisiert. In der Studie (Inv-Nr. 2020-15) ist an dieser Stelle noch ein nicht identifizierbares Bildnismedaillon, flankiert von einem Greif, zu sehen.
7 „Ce grand homme est répresenté exposé sur un lit de parade dressé devant le Tableaux de la Transfiguration, sons dernier chef-d’œuvres. C’est l’instant où il est assisté des secours de la religion, et où l’on permet à la foule qui s’empresse, de venir contempler en même tems le spectacle touchant de la mort et de l’immortalité. Il est environné dans ce dernieer moments, de l’Arioste, du Cardinal Bibienna [sic], ses amis et ses admirateurs, et de ses plus chers élèves, parmi lesquels sont Jules Romain, Jean-François Penni, dit il fattore, Polidore de Caravage, Perrin del Vaga, Jean da Udine, etc.“; Ausst.-Kat. Paris 1804, S. 61–62, Nr. 325.
8 Auch diese Figur zeigt in der quadrierten Vorzeichnung (Inv-Nr. 2020-159) noch ein gänzlich andere und vor allem wesentlich jüngere Physiognomie.
9 Zit. nach Chézy/Savoy 2009, S. 68–69. 10 Die Zeichnung des Julien de Parme von 1774 folgt nicht der Beschreibung Vasaris, sondern ist eine frei erfundene allegorische Darstellung auf den Tod Raffaels.
11 Im Aukt.-Kat. 1837 sind jedoch nur eine der beiden jetzt in Hamburg befindlichen Zeichnungen und das Gemälde von 1804 erwähnt.

Details about this work

Feder in Braun über Bleistift, hellbraun laviert, auf beigem Papier; Quadrierung 322mm x 272mm (Blatt) 297mm x 266mm (Bild) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2019 mit Mitteln der Campe`schen Historischen Kunststiftung Inv. Nr.: 2020-15 Collection: KK Zeichnungen, Frankreich, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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